Das Herz ihres Babys hatte einfach aufgehört zu schlagen, ohne dass sie es bemerkt hatte. Eine so genannte stille Fehlgeburt. Bei der Vorsorgeuntersuchung in der zehnten Woche stellte ihre Frauenärztin dies fest.
"Das hat meine Welt total aus den Fugen gerissen", berichtet Natascha Sagorski. "In meiner Schwangerschaft war alles so, wie es sein soll. Mir war morgens übel. Ich hatte keine Blutung. Mein Körper hatte noch gar nicht realisiert, dass das Kind nicht mehr lebt." Einen Tag nach der Diagnose fand die Ausschabung statt; dabei wird der tote Embryo und der Mutterkuchen aus der Gebärmutterhöhle entfernt, um das Infektionsrisiko zu senken, meistens unter Vollnarkose.
Als Sagorski danach nach einer Krankschreibung fragte, lehnte die verantwortliche Ärztin ab: "Sie brauchen keine Krankschreibung. Sie können morgen wieder arbeiten gehen." Es war dieser Satz, der bei Natascha Sagorski haften blieb. "Ich dachte erst, ich müsste funktionieren", erzählt sie. "Dann merkte ich, dass ich das nicht kann."
Jede dritte Frau ist betroffen
2022 startete Sagorski eine Petition zum gestaffelten Mutterschutz, die bis zum Bundesrat gereicht wurde. Vor der Sommerpause haben die Länder eine Entschließung an die Bundesregierung gegeben, in der sie die Einführung eines gestaffelten Mutterschutzes nach einer Fehlgeburt deutlich vor der 20. Woche fordern. Das heißt: Je länger die Frau schwanger war, desto länger soll auch Mutterschutz gewährt werden.
Laut internationalen Statistiken und Schätzungen des Berufsverbands der Frauenärzte hat etwa jede dritte Frau mindestens eine Fehlgeburt in ihrem Leben.
Eine offizielle Statistik gibt es nicht: Aktuell bekommen Frauen, die ihre Kinder während der Schwangerschaft verlieren, erst dann Mutterschutz, wenn sie entweder die 24. Schwangerschaftswoche erreicht haben, also im 7. Monat sind, oder wenn das tote Kind mehr als 500 Gramm wog. Und erst ab diesem Zeitpunkt sind Fehlgeburten auch meldepflichtig.
Totaler Schock und geplatzter Lebenstraum
"Für die meisten Frauen ist eine Fehlgeburt ein totaler Schock und ein geplatzter Lebenstraum", sagt Psychologin Kathryn Eichhorn, die an der Universität der Bundeswehr in München mehrere Studien zum Thema leitet und die psychischen Folgen von Fehlgeburten untersucht. Hinzu komme häufig das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.
Mutterschutz auch nach frühen Fehlgeburten sei deshalb "überfällig", findet die Forscherin. Wichtig sei aber, dass er freiwillig bleibe: "Es gibt auch Frauen, die Arbeit in so einer Situation als stützend empfinden. Sie lenkt ab und stärkt die Selbstwirksamkeit, die gegen das Ohnmachtsgefühl hilft, das viele haben." Zudem wolle auch nicht jede Frau offenbaren, dass sie schwanger gewesen sei und das Kind verloren habe.
Bei den meisten der Frauen, die sie in ihrer Psychotherapeutischen Praxis sieht, sei die Krankschreibung beim Arzt kein Problem gewesen, sagt Eichhorn. Allerdings mangele es manchmal an Einfühlsamkeit: "Das liegt daran, dass Gynäkologen nicht ausreichend darin geschult werden, wie sie etwa mitteilen, dass das Herz nicht mehr schlägt. Sie sind hier mit ihrer eigenen Hilflosigkeit konfrontiert."
Viele haben ein Gefühl des Versagens
Viele Frauen erzählen ihrem Umfeld erst nach der zwölften Woche, dass sie schwanger sind - weil erst dann die Schwangerschaft als relativ stabil gilt. Dadurch werden Fehlgeburten selten thematisiert, obwohl sie oft vorkommen. "Man hat dadurch das Gefühl, bei allen anderen funktioniert es. Nur Du hast versagt", sagt Sagorski, die mittlerweile zweifache Mutter ist.
Zudem stießen Frauen auf Unverständnis, wenn sie unter einer Fehlgeburt litten, die in den ersten drei Monaten stattgefunden habe, so Eichhorn. Da man von außen noch nichts sehe, "ist für das Umfeld da jetzt noch nix. Für die Frau ist das Leben mit Baby aber schon Teil ihrer Fantasie", sagt Eichhorn.
Verschiedene Trauerprozesse
Der Verlust eines Babys kann auch krank machen: Frauen haben im Mittel nach Fehlgeburten ein erhöhtes Risiko, an einer Angststörung, Depression oder einer Traumafolgestörung zu leiden, so die Therapeutin - besonders, wenn sie bereits psychische Vorerkrankungen haben. Der Trauerprozess verlaufe grundsätzlich sehr unterschiedlich; manchmal werde die Partnerschaft sehr belastet, manchmal schweiße der Verlust zusammen. Und es könne einen Unterschied machen, ob die Frau vor der Fehlgeburt bereits Mutter war oder nicht.
Wichtig sei das psychologische Signal, das bei der Einführung des Mutterschutzes auch nach frühen Fehlgeburten vor der 12. Woche gegeben werde, so Eichhorn: "Damit wird die Mutterrolle anerkannt." Sich krankschreiben lassen zu müssen, um das Erlebte verarbeiten zu können, könne dagegen das Schamgefühl verstärken, das betroffene Frauen ohnehin oft hätten: "'Mit meinem Körper stimmt etwas nicht, ich kann kein Kind austragen.'"
Offenerer Umgang mit dem Thema Fehlgeburt
Die Expertin plädiert zudem für einen offeneren Umgang mit dem Thema. Dies sei früher noch stärker tabuisiert worden. Doch noch immer träfen betroffene Frauen auf Widerstand, wenn sie versuchten, sich der Umgebung mitzuteilen. "Das ist auch ein Schutzmechanismus. Die eigene Endlichkeit ist für Menschen schwer auszuhalten - besonders zu einem Zeitpunkt, wenn das Leben beginnt."
Sollte der Bundesrat Erfolg haben und die Bundesregierung einen gestaffelten Mutterschutz einführen, kämen laut Berechnungen des Vereins der Innungskrankenkassen IKK Kosten in Höhe von insgesamt knapp 30 Millionen Euro auf die gesetzlichen Kranken- und Umlagekassen zu. Allerdings nur, wenn alle betroffenen Frauen die Möglichkeit auch in Anspruch nähmen, womit laut Kassen nicht zu rechnen ist.