Analyse nimmt Wahlprogramme in Sachsen unter die Lupe

AfD und BSW stechen häufig heraus

Wie viel Christliches steckt in den Landtagswahlprogrammen der Parteien? Das haben die Länderbüros der Kirchen in Sachsen vom katholischen Sozialwissenschaftler und Moraltheologen Peter Schallenberg untersuchen lassen.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Wahlzettel und Buttons der verschiedenen Parteien in Deutschland (shutterstock)
Wahlzettel und Buttons der verschiedenen Parteien in Deutschland / ( shutterstock )

Die Analyse stelle ausdrücklich keine Wahlempfehlung dar, sondern solle eine Orientierungshilfe aus Sicht der christlichen Sozialethik zur eigenen Wahlentscheidung sein, betonen die Initiatoren des Katholischen und des Evangelischen Büros Sachsen sowie der Katholischen Erwachsenenbildung im Freistaat. 

Sie beauftragten mit der Untersuchung Peter Schallenberg, Moraltheologe an der Theologischen Fakultät Paderborn und Leiter der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach, die zum Jahresende aufgelöst wird.

Peter Schallenberg, Moraltheologe an der Theologischen Fakultät Paderborn und Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) Mönchengladbach, am 23. Mai 2023 in Mönchengladbach / © KSZ (KNA)
Peter Schallenberg, Moraltheologe an der Theologischen Fakultät Paderborn und Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) Mönchengladbach, am 23. Mai 2023 in Mönchengladbach / © KSZ ( KNA )

Auch "Newcomer" BSW im Blick

Analysiert werden die Programme der sechs aussichtsreichsten Parteien im Freistaat. Bei der jüngsten Wahlumfrage kam da die AfD auf 30 Prozent, die CDU landete bei 29 Prozent, BSW bei 15  Prozent, SPD und Grüne bei je 7 Prozent und die Linkspartei bei 3 Prozent. Die FDP spielt keine Rolle mehr.

Dafür wird "Newcomer" BSW in den Blick
genommen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat bei  den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September realistische Chancen,
aus dem Stand in Regierungsverantwortung zu kommen.

Untergliedert ist die Studie in fünf Themenbereiche, denen jeweils der sozialethische Bewertungsmaßstab vorangestellt wird. Die Bildungspolitik wird demnach in allen Wahlprogrammen umfassend behandelt. 

BSW, CDU, Linke, AfD und Grüne wollen die Kita Beiträge entweder senken oder ganz abschaffen und sich für kostenlose Mittagessen einsetzen. Das BSW will verpflichtende Sprachtests für Kinder im Grundschulalter. Keineswegs dem Ideal der Bildungsgerechtigkeit entsprechend sei die AfD-Forderung, den Anteil nicht-deutschsprachiger Kinder in Kindertagesstätten auf zehn Prozent zu begrenzen, um die angemessene Sprachentwicklung der anderen Kinder nicht zu beeinflussen.

Mehrheit der Parteien für mehrgliedriges Schulsystem

Für das mehrgliedrige Schulsystem, das auch aus Sicht der christlichen Sozialethik favorisiert wird, sind CDU, AfD und BSW, während Grüne und Linke auf die Förderung von Gemeinschaftsschulen setzen. Die Forderung der Linken nach Abschaffung von Hausaufgaben, Schulnoten und Studiengebühren entspreche aus Sicht der Soziallehre dem Grundsatz möglichst individualisierter Förderung.

Bei den Lehrinhalten möchten Union und Linke einen "demokratiepositiven Unterricht politischer Bildung zur Bekämpfung jeder Form von Extremismus", Grüne und AfD votieren für eine Förderung der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). 

Symbolbild Rucksack, Stifte und Bücher für den Unterricht / © NYS (shutterstock)
Symbolbild Rucksack, Stifte und Bücher für den Unterricht / © NYS ( shutterstock )

Union, Linke, AfD und Grüne sehen den Bedarf einer berufsorientierten Schulbildung in Zusammenarbeit mit Handwerk und Industrie. Der AfD zufolge soll die Schule "einen wesentlichen Beitrag zur positiven Identifikation junger Menschen mit der eigenen Kultur und Heimat leisten." Das sei, so die Studie, explizit und ausgrenzend auf ethnisch deutsche Menschen bezogen.

Insgesamt falle auf, dass das AfD-Programm einen "konsistent kritisch-ausgrenzenden Blick auf Kinder mit Migrationshintergrund wirft, durchaus völkisch-nationalistisch", da diese angeblich den Lehrermangel verschärften und im Fall ungenügender Sprachkenntnisse den Lernfortschritt der deutschsprachigen Schüler behinderten.

Maßnahmen zur Entlastung von Familien 

Die Parteien sehen laut Studie verschiedene Maßnahmen zur Entlastung von Familien vor: Union und Linke wollen Eltern eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung ermöglichen. Die AfD fordert eine Entlastung bei Gebühren und Abgaben. Die Grünen planen einen flächendeckenden Ausbau der Kinder- und Familienzentren in Kitas und Schulen. Die SPD setzt auf Förderung der Kinderbetreuung, eine sozialere Wohnungspolitik für junge Eltern sowie den Ausbau der Vereins- und Verbändelandschaft. 

Die AfD plant die Einführung eines "Baby-Begrüßungsgeldes" in Höhe von 5.000 Euro, allerdings nur für Eltern mit alleiniger deutscher Staatsbürgerschaft, die seit mindestens zehn Jahren in Sachsen leben und einen Ausbildungs- oder Studienabschluss haben.

Beim Thema Abtreibung gehen die Aussagen der Parteien auseinander: Linke und Grüne wollen einen flächendeckenden, einfachen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ermöglichen. Die Union lehnt eine Aufweichung der derzeitigen gesetzlichen Regelung ab, die AfD geht so weit, ein "Grundrecht" auf Abtreibung konsequent abzulehnen und die
derzeitigen Zugangsmöglichkeiten verschärfen zu wollen. 

"Der Grund dafür bleibt verborgen, da explizit kein Bezug genommen wird zum christlichen Menschenbild", kritisiert die Studie. Würde und Schutzbedürftigkeit des Lebens erschöpften sich aber nicht in Propagierung hehrer bioethischer Prinzipien und müssten sich in jedem Fall genauso auf die Asylpolitik und eine menschenwürdige Behandlung von Migranten erstrecken.

AfD-Aussagen widersprechen Sozialethik

Bei der Integrationspolitik liegt ein Schwerpunkt auf Spracherwerb: SPD, Grüne und BSW fordern Ausweitungen der Sprachkurse. Die Grünen möchten zusätzlich, dass Verwaltungsanträge mehrsprachig zur Verfügung gestellt werden. Auch die CDU möchte die Integration stärken, fordert aber auch eine Obergrenze für Asylbewerber und die Begrenzung des Familiennachzugs auf die Kernfamilie.

Abgelehnte Asylbewerber steigen in ein Flugzeug / © Daniel Maurer (dpa)
Abgelehnte Asylbewerber steigen in ein Flugzeug / © Daniel Maurer ( dpa )

Unter fast allen Parteien bestehe ein Konsens, die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe von Migranten zu fördern, heißt es in der Studie. Nur bei der AfD fänden sich fast ausschließlich Pauschalforderungen, etwa ein generelles Verbot für religiöse Gesichtsverschleierung im öffentlichen Raum. Moscheeverbände sollten überwacht, der Bau neuer muslimischer Gotteshäuser in Sachsen möglichst verhindert werden. 

"Diese Positionen sind aus Sicht einer christlichen Sozialethik in ihrer Pauschalität zu verurteilen, da sie den Prinzipien der Barmherzigkeit und der Solidarität, auch der Gerechtigkeit im Staat, entgegengesetzt sind", so die Studie.

Unterschiede bei Klima, Wirtschafts- und Sozialpolitik 

Wirtschafts- und Sozialpolitik nehmen in allen Wahlprogrammen breiten Raum ein. Bis auf Die Linke und das BSW bekennen sich laut Studie alle Parteien, entweder implizit (CDU, SPD) oder explizit (AfD, Grüne), zum Modell der Sozialen Marktwirtschaft. Größere Unterschiede gebe es beim Thema Steuern. Insgesamt sollen Steuern gesenkt oder gar abgeschafft werden. Zum Beispiel Rentensteuer: CDU, BSW; CO2-Steuer: AfD; Grundsteuer: AfD, BSW; Grunderwerbsteuer:  CDU, Linke. 

Als einzige Partei möchte das BSW die Vermögenssteuer wieder einführen. Das sei aus Sicht der christlichen Sozialethik nicht unumstritten, da im Zentrum der Sozialen Marktwirtschaft der Schutz des Privateigentums einerseits wie auch der Schutz der Freiheit unternehmerischer Aktivitäten andererseits stehe.

Klima und Umweltpolitik kommen bei der AfD und dem BSW anders als bei den anderen Parteien eher am Rande vor. Obwohl sich beide darin ähnelten, dass sie überwiegend auf Anpassung an den Klimawandel und nicht auf Prävention setzten, steche die AfD mit ihrem polarisierenden Narrativ heraus, der menschengemachte Klimawandel sei eine wissenschaftlich nicht belegte Behauptung. Deshalb müsse die Energiepolitik auch nicht angepasst werden. Die Union setzt beim Klimaschutz auf marktwirtschaftliche Instrumente, während SPD und Grüne für ein deutlich strikteres, gesetzlich reglementiertes Vorgehen sind.

Insgesamt gibt die Studie einen guten Überblick und vermittelt auch Orientierung für die Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg, wo die Programme ja ähnlich sind. Gleichwohl fällt auf, dass der kritischen Auseinandersetzung mit der AfD erkennbar der meiste Raum gegeben wird.

IW Köln: AfD hat deutlich weniger Anlaufstellen als andere Parteien

Die AfD ist laut einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mit ihren Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger weniger präsent als andere Parteien in Deutschland. "Das Selbstbild der Partei, besonders volksnah zu sein, trügt mindestens hinsichtlich ihrer Verankerung in der Fläche", sagte der Politikwissenschaftler und Studienautor, Knut Bergmann, am Montag in Köln mit Blick auf die Parteigründung vor zehn Jahren. Um die Präsenz der Parteien vor Ort zu ermessen, hat das IW-Team die Verfügbarkeit von Anlaufstellen der Parteien untersucht.

Bonbon der AfD (shutterstock)
Quelle:
KNA