Die Regenbogenfahne an der Marienkirche im sächsischen Pirna hat für Wirbel gesorgt. Das Symbol für die Freiheit sexueller Orientierungen hing im Mai erstmals an dem bekannten Sakralgebäude.
Zuvor hatte Pirnas parteiloser Oberbürgermeister Tim Lochner das Hissen der bunten Fahne vor dem Rathaus verweigert. Er begründete seine Entscheidung mit dem Neutralitätsgebot.
"Billige politische Einmischung"
Das Agieren der Kirchgemeinde anlässlich des Internationalen Tages gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit bezeichnete Lochner als "billige politische Einmischung" und zog darüber hinaus NS-Vergleiche.
Mit einer solchen Reaktion hatte der Pirnaer evangelisch-lutherische Pfarrer Cornelius Epperlein nicht gerechnet. Die Gemeinde habe "schlicht und einfach den Platz bieten" wollen, sagt er.
Angefragt wurde sie vom Verein CSD Pirna. Für das Hissen der Fahne habe die Gemeinde viel Anerkennung aus der Stadtgesellschaft erhalten, sagt Epperlein. Es habe aber auch einen Kirchenaustritt gegeben.
Gesellschaftliche Spaltung
Der Eklat um die Fahne ist nur ein Ereignis unter anderen, in denen Kirchgemeinden herausgefordert sind - in Sachsen und überall dort, wo rassistische und menschenverachtende Statements abgegeben werden. In Pirna treibt Lochner, der für die AfD angetreten war und seit Februar Oberbürgermeister ist, die gesellschaftliche Spaltung offenbar weiter voran.
So etwa lautete ein Kommentar unter einem Post von Lochner: "Dem Pfarrer nur noch 9 mm." Epperlein hat Anzeige erstattet. "Wir wollen nicht über jedes Stöckchen springen", sagt der Pfarrer, "aber wenn sie so hoch hingehalten werden, dass es bis zum Mordaufruf geht, können wir das nicht ignorieren."
Für ihn sei es "eine Selbstübung, sich nicht von allem aufregen zu lassen, aber dort, wo bestimmte Grenzen überschritten werden, eben auch nicht zu schweigen".
"Ohne Schubladen"
Ähnlich sieht das auch der evangelische Pfarrer Lothar Gulbins im etwa 30 Kilometer entfernten Sebnitz, mitten in der Touristenregion Sächsische Schweiz.
Gemeinsam mit seinem Kollegen aus dem benachbarten Hohnstein, Sebastian Kreß, hat er die Gesprächsreihe mit dem Titel "Ohne Schubladen" initiiert. Sie soll den Dialog fördern - in einer Region, in der bei der jüngsten Europawahl 39,5 Prozent die AfD wählten.
Für den Austausch von Argumenten brauche es eine offene Atmosphäre, sagt Gulbins. Dies könne Kirche herstellen. Es lohne sich, "heikle Themen anzusprechen und Räume zu öffnen". "Ohne Schubladen" veranstalten die beiden Pfarrer zudem gern außerhalb der Kirchräume, sie wollen Schwellenängste abbauen.
"Strategie der Abgrenzung"
Kreß findet, dass viele Menschen auch "ein stückweit hilflos sind". Es werde nicht mehr so oft miteinander geredet, nur noch übereinander - das sei ein großer Verlust. Dabei spiegelten ihm Gespräche immer zurück, "was hier brodelt". Eine "Strategie der Abgrenzung" sei daher nicht wirklich zielführend, sagt Kreß.
"Wir müssen nicht in allen Dingen einer Meinung sein", sagt Gulbins. Aber es gebe Grenzen und die seien von der Menschenwürde bestimmt. "Wenn führende Rechtsextremisten auf dem Marktplatz sind, dann engagieren wir uns", betont er mit Blick auf die Situation im Jahr 2020.
Damals hatte die AfD in Sebnitz eine Kundgebung mit dem früheren AfD-Chef in Brandenburg, Andreas Kalbitz, angemeldet. Die Kirchen luden zu einem Friedensgebet ein, beteiligten sich an einer Menschenkette.
"Position beziehen"
Wegen des gesellschaftlichen Engagements bekommen die Pfarrer manchmal auch Gegenwind, auch aus den eigenen Reihen. Doch Gulbins ist überzeugt: "Wo menschenverachtende Parolen gebrüllt werden, dort muss man Position beziehen."
In diesem Jahr organisierten Kreß und Gulbins zusammen mit der Stadtgesellschaft eine Demonstration in Sebnitz für Demokratie und Menschenwürde. An der Pirnaer Marienkirche soll unterdessen bald wieder die Regenbogenfahne wehen. Die Kirchgemeinde will sie zum CSD im Juli hissen.