Sie war Jüdin, Atheistin, Philosophin, Frauenrechtlerin, Lehrerin, Christin, Ordensfrau und wurde vor gar nicht langer Zeit, nämlich am 1. Oktober 1999, zusammen mit Birgitta von Schweden und Katharina von Siena zur Schutzpatronin Europas erhoben. Edith Stein ist eine der großen Frauengestalten der Kirche des 20. Jahrhunderts und gilt damit als eine moderne Heilige.
In einer von Gottvergessenheit und Menschenvernichtung geprägten Zeit ergreift sie in ihrem gedanklichen Ringen um Wahrheit den Weg des Glaubens und tritt schließlich mit ihrer ganzen Existenz für Jesus Christus ein.
Erst kürzlich ist eine weitere Debatte um die Bedeutung ihrer Person entbrannt. Denn aktuell mehren sich die Stimmen, die sich dafür stark machen, die 1891 in Breslau geborene und 1942 in den Gaskammern der Nationalsozialisten umgekommene Edith Stein zusätzlich noch zur Kirchenlehrerin zu erheben.
Eine Frau, die der Welt etwas zu sagen hat – das meinen nicht nur die, die Tag aus, Tag ein in ihrer unmittelbaren Nachfolge leben und ihr innerhalb ihres Klosters ein lebendiges Andenken bewahren.
Erinnerung an das Glaubens- und Lebenszeugnis Edith Steins
Zum Abschluss der jährlich stattfindenden Edith Stein-Woche im Kölner Karmel, in den 1933 die vom jüdischen Glauben konvertierte Philosophin im Alter von 42 Jahren eingetreten ist, hat der Kölner Erzbischof mit den dort lebenden Ordensschwestern den 82. Jahrestag ihrer Ermordung mit einem Hochamt begangen, in dem er eindringlich an das Glaubens- und Lebenszeugnis dieser 1998 von Papst Johannes Paul II. in Rom heiliggesprochenen Karmelitin erinnerte. Traditionell gestalten die Schwestern diese Woche mit zusätzlichen Gebetszeiten, in dessen Zentrum sie diesmal die Bitte um Frieden stellten.
Nirgendwo – außer noch im Karmel im niederländischen Echt, wo Schwester Teresia Benedicta 1938 nach ihrer Flucht vor den Judenpogromen in Deutschland Aufnahme findet – lasse sich authentischer das Fest dieser Heiligen feiern als im Kölner Karmel, betont er gleich zu Beginn des Pontifikalamtes, an dem auch Geistliche teilnehmen, die sich zurzeit im benachbarten Edith Stein-Archiv zu internationalen Studien aufhalten und ihren Teil dazu beitragen, dem geistlichen Erbe dieser wissenschaftlich hochbegabten Frau immer wieder neue Facetten abzugewinnen.
In Köln sei sie im Noviziat gewesen, habe die Profess abgelegt und letztlich ihren Weg ins Martyrium begonnen. Und bis heute würden hier im Karmel, wo Teresia Benedicta a cruce – den Namen "Die Gesegnete vom Kreuz" hatte sie nach ihrem Klostereintritt bewusst erwählt – zu Hause gewesen sei, noch immer Menschen von ihrem Glaubenszeugnis berührt und angesteckt, ihren eigenen Glaubensweg zu gehen, stellt Kardinal Woelki fest, so dass sie im Herzen so vieler Menschen und Theologen präsent bleibe. "Mit ihr zusammen treten wir unter das Kreuz Jesu, das in der Feier der Eucharistie – gerade auch an diesem besonderen Festtag – gegenwärtig wird."
Leidenschaftlich auf der Suche nach der Wahrheit
Für seine Predigt wählt er drei zentrale Worte, mit denen er das Wesen und Wirken Edith Steins nachzeichnet: Wahrheit, Liebe und Opfer. Wörtlich sagt Woelki: "Wir leben in einer Welt, in der wir uns an Fake News gewöhnt haben, in der entscheidend ist, ob sich eine Geschichte entsprechend gut verkaufen lässt – auch unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt."
Erschwerend komme hinzu, dass jeder seine eigene Wahrheit habe. Was also ist Wahrheit? Und wessen Wahrheit gilt? Edith Stein sei leidenschaftlich auf der Suche nach der Wahrheit gewesen, betont der Kardinal. Über den Atheismus ihrer Jugend und viele Zweifel habe sie nach dem gesucht, was über dem Menschen sei. Trost habe sie schließlich im Kreuz gefunden und festgestellt: Gott ist die Wahrheit.
Weiter führt er aus, dass kaum ein Begriff so oft missbraucht werde wie das Wort Liebe. Ihrem Wesen nach aber sei Liebe sich selbst vergessend und auf die anderen gerichtet. So behutsam Edith Stein auch damit umgegangen sei, sie sei ein Beispiel für einen Menschen, der die Liebe gelebt habe: als Krankenschwester im Lazarett, als Lehrerin, als Ordensfrau und später im Lager von Auschwitz-Birkenau – so jedenfalls habe man über sie gesprochen – als Engel, der sich um die Kinder verzweifelter Mütter gekümmert habe. Für die Liebe habe sie ihr eigenes Leben gegeben, ihr Leben durch den Opfertod beglaubigt.
Gestorben für die Rettung Deutschlands
Heute sei das Wort "Opfer" völlig aus der Mode gekommen, kritisiert der Kardinal. "Niemand spricht mehr von Opfer." Auch mit dem Wort "Messopfer" tue man sich schwer. Dabei habe es durchaus seine Bedeutung. Denn es sei ein Irrtum zu meinen, größtmöglichen Erfolg auch bei geringster Anstrengung haben zu können. "Erfolg kostet immer ein Stück unseres Lebens, bis hin, dass er das Leben kosten kann."
Dann zitiert Woelki Edith Stein selbst. In ihrem Testament vom 9. Juni 1939 schreibt sie: "Schon jetzt nehme ich den Tod, den Gott mir zugedacht hat, in vollkommener Unterwerfung unter Seinen heiligsten Willen mit Freuden entgegen. Ich bitte den Herrn, dass Er mein Leben und Sterben annehmen möchte zu seiner Ehre und Verherrlichung, für alle Anliegen der heiligsten Herzen Jesu und Mariä und der Heiligen Kirche, insbesondere für die Erhaltung, Heiligung und Vollendung unseres heiligen Ordens, namentlich des Kölner und Echter Karmels, zur Sühne für den Unglauben des jüdischen Volkes und damit der Herr von den Seinen aufgenommen werde und sein Reich komme in Herrlichkeit, für die Rettung Deutschlands und den Frieden der Welt, schließlich für meine Angehörigen, lebende und tote und alle, die Gott mir gegeben hat: Dass keiner von ihnen verloren gehe".
Aus dem niederländischen Echt nach Auschwitz deportiert
Abschließend berichtet der Erzbischof von dem Mut, mit dem sich Edith Stein ihrem Martyrium gestellt, ihre Schwester Rosa an der Hand genommen und gesagt habe: "Komm, wir gehen für unser Volk." Wenige Tage zuvor, am 2. August, hatten zwei SS-Männer aus dem Karmelitinnenkloster der niederländischen Stadt Echt die Ordensfrau Teresia Benedicta und deren leibliche Schwester Rosa abgeführt.
Beide wurden sofort deportiert und erreichten schon bald ihre letzte Station: die Rampe des Konzentrationslagers von Auschwitz. Die Geschwister wurden nicht für das Arbeitslager registriert, sondern sofort in die Gaskammern geschickt.
"Geben wir uns in ihre Hand", beendet Woelki seine Predigt über den Leidensweg der Heiligen und heutigen Europapatronin, "und bitten wir um ihre Fürsprache bei dem, dem sie im Sterben gleich geworden ist!" Dann dankt er den mitfeiernden Karmelitinnen für ihr Dasein und ihr Gebetsleben. Und er beglückwünscht sie dazu, dass einst aus ihrer Gemeinschaft eine so große Frau des Glaubenszeugnisses hervorgegangen sei.