Irgendwann haben die Blasen an den Füßen schon sehr wehgetan, sagt Eva Sowada. Und doch ist es keine Leidensgeschichte, von der sie spricht. Durch die Schmerzen wurde sie von der "ganz tollen und wunderbaren" Gemeinschaft begleitet, sagt sie.
Sie ist unterwegs mit der Kevelaer Bruderschaft Bonn und die Pilger hätten sie unterstützt, wenn sie nicht weiterkonnte. Und so habe sie sich die ganze Zeit aufgefangen gefühlt. Auch in den Momenten, in denen sie gar keine Lust mehr hatte, weiterzulaufen.
Nun steht sie aber in Kevelaer, am Ende ihrer Pilgerreise. Ihre Füße trugen sie in den vergangenen dreieinhalb Tagen 124 Kilometer weit. Sie pilgerte dieses Jahr zum ersten Mal von Bonn nach Kevelaer, zum Gnadenbild der Muttergottes.
Die Wallfahrt hat Tradition. Seit genau 325 Jahren, dem Jahr 1699, läuft die Bruderschaft von Bonn in das kleine Dörfchen am Niederrhein, mit dem noch kleineren Wallfahrtsbildchen. Bloß 7,5 mal 11 Zentimeter groß zeigt es die "Trösterin der Betrübten", wie es auch genannt wird, vor der Silhouette Luxemburgs.
Was wären das für Christen, die andere vom Pilgern ausschließen?
Es war eine Freundin, die in Sowada die Pilgerlust weckte. "Sie hat immer so toll und liebevoll von dem Pilgern erzählt", sagt sie, sodass sie dann selber irgendwann die Initiative ergriff und fragte: "Glaubst du ich kann das auch? Dürfte ich da auch mitlaufen?" Natürlich durfte sie. Was wären das auch für Christen, die andere vom Pilgern ausschließen?
Doch man sollte nichts dagegen haben, wenn plötzlich alle ohne sichtbaren Einsatz gemeinsam zu beten beginnen. "Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade." Einfach so. Zuerst ein Ave Maria, dann ein Vaterunser. "Vaterunser im Himmel, geheiligt werde dein Name." Das können sie eine ganze Zeit lang durchhalten, während sie in Zweierreihen über Straßen oder Feldwege wandern. "Das Gebet hat mir sogar geholfen, wenn es schwierig wurde", sagt Sowada. Diese Spiritualität, in der man auf einmal versinke, habe sie als etwas ganz Besonderes erlebt.
Die Entdeckung der Langsamkeit
Dabei könnte man meinen, das Pilgern sei an sich schon Beten, bloß mit den Füßen. Zum Ziel könnte man natürlich auch schneller kommen, das ist klar. Aber das muss man ja nicht. Viel mehr entdeckt man die Langsamkeit wieder. Es gibt keine Eile, keine Aufgabe, nichts wartet. Und der Weg fordert keine besondere Achtsamkeit. Er lädt dazu ein.
Auf der Zielgraden, kurz vor Kevelaer, kommt man an hoppelnden Feldhasen vorbei und Schmetterlinge tanzen in der Luft, direkt vor der Nase. Am Wegesrand schlängelt sich ein Bachlauf und das gleichmäßige Stapfen der Wanderer, das Gebet und die Natur liefern den Rhythmus, um einen Schritt vor den anderen zu setzen.
In Kevelaer angekommen werden die Pilger erstmal von den Menschen am Wegesrand begrüßt. Einer freut sich und lacht ihnen entgegen. Er hat Rosen im Arm und drückt einigen Pilgern eine in die Hand. Die Bruderschaft wird begleitet von Blechbläsern, sie pilgern durch die Innenstadt, bevor sie in die Marienbasilika einziehen, wo ein Hochamt gefeiert wird.
"Show können die Katholiken"
Festliche Gewänder, zehn geweihte Priester, etliche Ministranten und Helfer waren dabei. Über 800 Pilger feierten den Gottesdienst. Acht Pilgergruppen aus Deutschland und der Niederlande kamen zusammen. Die Liturgie, der Weihrauch und die von Elmar Lehnen phänomenal gut gespielte Orgel erzählten etwas von Schönheit und Größe. "Show können die Katholiken", sagte ein Gottesdienstbesucher zu seiner Sitznachbarin, als der festliche Tross im Orgelspiel und in ästhetischer Gewalt in die Basilika einzog.
Nach der Messe ziehen die Pilger zum Gnadenbild "Consolatrix Afflictorum", was übersetzt "Trösterin der Betrübten" heißt. Hier sieht niemand betrübt aus. Aber wie Rainer Killich, der Generalsekretär der Kevelaer Wallfahrt, weiß, hat jeder eigene Gründe zum Pilgern. "Manchen brennt etwas auf dem Herzen, was sie hier in Kevelaer loswerden möchten", sagt er, "manche sehen in der Wallfahrt einen Grund zum Danke sagen, weil sie etwa eine Operation überstanden haben."
Die Menschen fänden Trost im Pilgern, in der Gemeinschaft, in den Gesprächen, in der Stille, in den zufälligen Begegnungen. "Bei all den großen Problemen, die die Kirche hat", sagt er, "sei das Pilgern etwas, was die Menschen gerne pflegen". Das sei gelebte Kirche.