"Catholics for Kamala" hoffen auf Erneuerung der US-Kirche

"Ein ideologischer Grabenkampf in der Kirche"

In Chicago wurde Kamala Harris offiziell als Präsidentschaftskandidatin bestätigt. Hinter ihr stehen auch die "Catholic Democrats". Obwohl ihre Partei im Konflikt mit den US-Bischöfen steht, hoffen sie auf eine Erneuerung der Kirche.

Kamala Harris / © Julia Nikhinson (dpa)
Kamala Harris / © Julia Nikhinson ( dpa )

Listen to the interview in English here.

DOMRADIO.DE: Die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris, spricht sich für ein liberales Abtreibungsrecht aus. Ein Standpunkt, für den die US-Bischofskonferenz ihre Partei deutlich kritisiert. Sie sprechen für die "Catholic Democrats", wie können Sie eine Position unterstützen, die im Konflikt mit der katholischen Lehre steht?

John P. Whelan / © privat
John P. Whelan / © privat

John P. Whelan (Gründer der "Catholic Democrats", Mitglied der Aktion "Catholics for Kamala"): Die Frage wird uns oft gestellt. Seit 20 Jahren fragen mich Journalisten: Sind Sie Pro-Choice oder Pro-Life, also für oder gegen ein Recht auf Abtreibungen? Ich mache immer den Punkt, dass ich das eigentlich nicht die richtige Frage finde. Der Großteil der Katholiken in den USA ist Pro-Choice und Pro-Life. In anderen Worten: Sie sehen, dass die Frage der Abtreibungen eine moralische ist, sie haben Bedenken, aber sie finden, dass das keine Frage ist, bei der die Regierung die letztendliche Entscheidung treffen sollte. Die sollte bei der Frau liegen, in Abstimmung mit ihrer Familie, ihrem Pastor und den Ärzten. 

Es ist aber auch einfach zu verstehen, warum diese Frage für viele Konservative eine Entweder/Oder-Entscheidung ist. Vielen geht es dabei um die Frage der rechtlichen Rahmenbedingungen. Solle Abtreibung legal sein, oder nicht? Das Problem mit dieser Argumentation ist, dass zum Beispiel in vielen Ländern Südamerikas Abtreibungen komplett illegal sind, es aber trotzdem eine höhere Abtreibungsrate als in den USA gibt. 

Interessanterweise war 2016, am Ende der Obama-Präsidentschaft, die Zahl der Abtreibungen in den USA niedringer, als zur Zeit der Legalisierung mit dem Urteil "Roe v. Wade" 1973. In den letzten 40 Jahren ist die Abtreibungsrate in den Regierungszeiten der Demokraten immer zurückgegangen. Wenn die Republikaner an der Macht waren, haben die Zahlen stagniert. Unter Präsident Trump sind sie sogar noch nach oben gegangen. 

John P. Whelan

"Der Großteil der Katholiken in den USA ist Pro-Choice und Pro-Life."

Wenn der Knackpunkt kein Kulturkampf ist, sondern der wirkliche Schutz des Lebens, dann ist das Verbot von Abtreibungen meiner Ansicht nach nicht der weg dahin. 

DOMRADIO.DE: Hauptberuflich sind Sie Arzt mit Schwerpunkt auf katholischer Bioethik. Warum nimmt die Frage des Abtreibungsrechtes für die Katholiken eigentlich so eine große Bedeutung ein, wenn andere ethische Fragen wie die Todesstrafe oder die Aufnahme von Geflüchteten fast schon unter den Tisch fallen?

Whelan: Ich denke am Ende ist das wirklich eine Frage des Geldes. Konservative Kreise sehen, dass die Frage der Abtreibungen die Wähler mobilisiert wie keine andere. In der "Pro Life"-Bewegung steckt sehr viel Geld drin, das unter anderem aus der Ölindustrie kommt. Öl und Gas ist eine enorme Geldquelle in den USA. 

Es gibt deutliche inhaltliche Überschneidungen bei Leuten, die gegen Maßnahmen für den Klimaschutz sind und denen, die gegen Abtreibungen sind. Amy Coney Barrett zum Beispiel, die neueste Richterin am Obersten Gerichtshof, berufen von Präsident Trump, hat einen Vater, der Lobbyist der Ölindustrie ist. 

Klimaschutz ist die größte moralische Frage, der wir uns im 21. Jahrhundert stellen müssen, was auch Papst Franziskus in "Laudato si" deutlich macht. Die Schwerölindustrie in den USA wird nicht von heute auf morgen verschwinden, aber sie realisiert, dass sie ihr Geld für die "Pro Life-Bewegung einsetzen kann, als Ersatz für den Kampf gegen Klimaschutzmaßnahmen. 

DOMRADIO.DE: Seit dreieinhalb Jahren haben Sie mit Joe Biden einen katholischen Präsidenten. Spielt die Konfession des Regierungschefs für Sie als Katholik eigentlich eine Rolle?

Joe Biden / © Susan Walsh (dpa)
Joe Biden / © Susan Walsh ( dpa )

Whelan: Ich denke, dass es ehrenwerte und moralische Politiker in allen religiösen Ausprägungen gibt. Die katholische Soziallehre hat einen großen Einfluss auf die Politik der USA immer schon gehabt, unabhängig davon, wer Präsident ist. Ich habe 2020 ein Buch geschrieben, in dem ich mich aus katholischer Perspektive für Joe Biden ausgesprochen habe. Darin sage ich, dass es gerade seine Katholizität ist, die ihn dazu bringt, sich für die Schwachen und Ausgegrenzten der Gesellschaft einzusetzen. Ich denke also schon, dass die Religion für Biden und seine Politik eine große Rolle spielt. 

Kamala Harris wurde als Baptistin erzogen, ihr Vize-Kandidat Tim Walz ist Lutheraner. Ich denke im größeren Kontext kann man sagen, dass sie die gleichen moralischen Werte und Prinzipien vertreten, wie Joe Biden als Katholik. 

DOMRADIO.DE: Denken Sie denn, dass der Kandidatenwechsel von Biden zu Harris für die katholischen Wähler in den USA eine Rolle spielen wird? Dass es jetzt kein Katholik mehr ist, für den sie als Präsidenten stimmen können. 

Whelan: Ich glaube nicht, dass das eine besonders große Rolle spielen wird. Die meisten Katholiken mit denen ich rede, sind eher erleichtert, dass Kamala Harris den Wahlkampf übernommen hat. Sie kann ihre Ansichten und Überzeugungen auf eine Art ausdrücken, mit der Biden Probleme hatte. Da es in der Politik keine großen Unterschiede zwischen den beiden gibt, glaube ich nicht, dass das eine ausschlaggebende Rolle spielen wird. 

John P. Whelan

"Präsident Biden hatte immer eine Zielscheibe auf dem Rücken, weil ihn einige als 'schlechten Katholiken' dargestellt haben."

Falls überhaupt, dann wird es ihr eher helfen. Präsident Biden hatte immer eine Zielscheibe auf dem Rücken, weil ihn einige als "schlechten Katholiken" dargestellt haben. Ähnlich war das schon beim demokratischen Kandidaten John Kerry 2004. Ein enormer Geldbetrag wird in konservativ-katholischen Kreisen genau in diese Botschaft gesteckt. Kamala Harris muss sich darüber keine großen Gedanken machen, obwohl sie natürlich aus den rechtsreligiösen Kreisen genauso mit Angriffen rechnen muss.

DOMRADIO.DE: Und wie Sie sagen, vertritt sie die gleichen Werte wie Biden, weshalb das für die katholischen Wähler keine Rolle spielen sollte.

Whelan: Ich glaube nicht, dass sich dadurch irgendjemand davon abhalten lässt, für sie zu stimmen.

DOMRADIO.DE: Zum Ende noch ein interessanter Vergleich zu Deutschland: Bei uns hält sich die katholische Kirche seit Jahrzehnten aus der Parteipolitik raus. Große Schlagzeilen hat es gemacht, als sich die Deutsche Bischofskonferenz Anfang des Jahres gegen die AfD ausgesprochen hat. 

In den USA ist das anders, da geht es sogar so weit, dass die Bischöfe debattiert haben, ob sie Politikern der Demokraten die Kommunion untersagen können, wenn sie mit ihrer Parteilinie im Konflikt mit der katholischen Lehrmeinung stehen. Woher kommt diese Verquickung von Kirche und Politik in den USA?

Whelan: Auch wenn es so scheinen mag, das ist keine neue Entwicklung in unserem Land. Präsident Kennedy hat 1960 gesagt: "Ich weiß, dass ich nicht die Stimmen der Bischöfe bekommen werde, aber wenigstens habe ich die Nonnen hinter mir." Die Bischofskonferenz in den USA ist seit vielen Jahren einiges konservativer eingestellt, als der Rest der Kirche. Wenn man dann noch bedenkt, welche Rolle das Geld der rechtskatholischen Kreise im Moment spielt, überrascht das alles nicht. 

Wir erleben einen ideologischen Grabenkampf innerhalb der katholischen Kirche. Viele Katholiken sehen das durchaus kritisch. Ich würde sogar sagen, dass die Kirche in den USA im Moment in einer ordentlichen Krise steckt. Nach der Pandemie ist die Zahl der Kirchenbesucher nicht mehr nach oben gegangen. Eine neue Studie besagt, dass gerade noch zwei Prozent der Katholiken sonntags in die Kirche gehen. 

John P. Whelan

"Die Sünde des Sexismus in unserer Kirche können wir nicht länger ignorieren."

Warum kann die Kirche die Menschen nicht mehr begeistern? Ich glaube die Frage kann und muss man stellen. Wir haben jetzt darüber gesprochen, welche Rolle die Katholiken für Kamala Harris spielen. Man müsste die Frage eigentlich umdrehen: Welche Rolle spielt Harris für die Katholiken und die Kirche? 

Wenn wir das erste mal eine Frau als Präsidentin wählen, wird mehr als deutlich, welches Problem die katholische Kirche mit Frauen in Führungspositionen hat. Die Sünde des Sexismus in unserer Kirche können wir nicht länger ignorieren. Ich weiß, dass auch in Deutschland die Frage des Frauendiakonats heiß diskutiert wird. Werden wir als US-Katholiken darüber anders denken, wenn wir eine Präsidentin haben? Wird das enttäuschte Katholiken zurück zur Kirche bringen? Diese Fragen würden unter einer Harris-Präsidentschaft sicher an Bedeutung gewinnen. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Quelle:
DR