Widerstand der Luxemburger Pfadfinder im Zweiten Weltkrieg

Untergrund und Uniform

Am 10. Mai 1940 marschieren die Deutschen in das Großherzogtum Luxemburg ein. Der unabhängige Staat hat keine Möglichkeiten, sich militärisch zu verteidigen. Die luxemburgischen Pfadfinder beginnen eine Revolution.

Autor/in:
Alex Witte
Pfadfinder Symbolbild / © Andrew Medichini (dpa)
Pfadfinder Symbolbild / © Andrew Medichini ( dpa )

Für die Deutschen ist es ein Leichtes, bereits zum zweiten Mal im noch jungen 20. Jahrhundert die territoriale Souveränität von Luxemburg zu verletzen. Die Deutschen sehen die Luxemburger damals als "volksdeutsch" – also quasi als Deutsche, die "irrtümlich" nicht auf deutschem Territorium leben. Hitler und die NSDAP wollen sie "heim ins Reich" holen – wenn nötig auch gegen ihren Willen. 

Doch die Luxemburger wollen sich der deutschen Annexion nicht einfach so beugen, auch wenn es einige Sympathisanten gibt, die entweder aus Überzeugung oder Opportunismus mit den Deutschen kollaborieren. Ein Großteil der Bevölkerung nimmt erst einmal eine abwartende Haltung ein, doch ironischer Weise wächst unter der Nazibesatzung das Nationalbewusstsein der Luxemburger. Sie machen keinen Hehl daraus, dass sie die deutsche Besatzung ablehnen und in der Folge kommt es immer wieder zu Sticheleien, Provokationen und Sabotageakten. 

Katholische Pfadfinder sind die "fanatischsten Gegner"

Eine besonders unbequeme Gruppe sind die "Scouten" – die Luxemburger Pfadfinder. In einem Sicherheitsbericht vom Juni 1940 findet sich folgende Einschätzung ihrer Haltung: "Innerhalb der Schulen und Internate zeigen sich nach wie vor die katholischen Pfadfinder als die fanatischsten Gegner deutsch-freundlich gesinnter Schüler". Mitte Juli 1940 schließlich wird aus dem individuellen Widerstand der Pfadfinder ein organisierter. 

Zu verdanken ist das vor allem den Distriktkommissaren Tony Noesen, Georges Everling und Jang Muller. Sie stellen die erste luxemburgische Pfadfinder-Widerstandsorganisationen auf die Beine. Einige Wochen später treffen sich über 40 Ranger und Rover – also Pfadfinder der Altersstufen 17 bis 23 Jahre – im "Wëllefcherssall" unter der Herz-Jesu-Kirche in Esch an der Alzette. Hier beschließen die Jugendlichen gemeinsam Widerstand zu leisten, die jüngeren Pfadfinder aber zu deren Schutz aus der Sache rauszuhalten. Doch bereits kurze Zeit später werden die Pfadfinder unter dem sogenannten "Stillhaltekommissar" verboten. 

Organisierte Widerstandsgruppen

Die Pfadfinderverbände setzten ihren Widerstand nun überall im Land im Geheimen fort und verschmelzen nach und nach gemeinsam mit anderen Widerstandsgruppen zur "Lëtzebuerger Vollékslegioun". Diese nutzt vielerorts die bestehenden Strukturen der Pfadfinder für ihre Widerstandsarbeit. Zwischenzeitlich werden auch immer wieder Mitglieder von den Nationalsozialisten verhaftet, doch der Widerstand ist nicht kleinzukriegen. 

Diese "Résistance" – also der Widerstand – der neben den Pfadfindern aus Privatpersonen und ehemaligen Politikern der aufgelösten Parteien sowie deren Familien besteht, organisiert in dieser Zeit die Ausreise von Kriegsflüchtlingen ins "sichere" Ausland wie die Schweiz oder England. Außerdem verstecken sie luxemburgische Fahnenflüchtlinge und vermittelt entkommene Kriegsgefangene von den alliierten Luftstreitkräften an die Maquis – eine französisch-belgische Widerstandsgruppe, die sich in den Wäldern und Bergen versteckt hält. 

Verstecktes Referendum wird schallende Ohrfeige

Im Oktober 1941 führen die Deutschen in Luxemburg eine Volkszählung durch. Sie erhoffen dadurch zu beweisen, dass sich die Luxemburger eigentlich als Deutsche verstehen. Mittels dieser Volkszählung, die eigentlich ein verstecktes Referendum ist, soll die Eingliederung Luxemburgs ins Deutsche Reich legitimiert werden. Deswegen fragen die Deutschen bei der Volkszählung die Faktoren Nationalität, Sprache und „Rasse“ ab. Doch die Widerständler erkennen schnell die Absichten hinter der scheinbar unschuldigen Volkszählung und verteilen in den Tagen davor Flugblätter mit der Aufforderung "dräimol Lëtzebuergesch" (dreimal luxemburgisch) zu antworten. 

Das Resultat: Angeblich folgen über 90 Prozent der Befragten den Empfehlungen der Widerständler, manche Quellen sprechen sogar von 98 Prozent. Auch wenn sich diese Zahlen heute nicht mehr verifizieren lassen und wahrscheinlich übertrieben waren, ist dies eine klare Ohrfeige für die Deutschen. Sie brechen die Volkszählung deshalb vorzeitig ab. Doch zu diesem Zeitpunkt ist bereits klar, dass sie die Luxemburger nicht friedlich "heim ins Reich" holen werden. Der zuständige Gauleiter lässt daraufhin 200 Resistenzler verhaften. Ihnen droht Haft, Deportation in Konzentrationslager oder Zwangsumsiedlung. Zwei der Resistenzler werden vier Monate später geköpft.

Lieber sterben als dienen

Einen Höhepunkt findet der Widerstand Ende August 1942. Denn am 30. August wird Luxemburg zwangseingegliedert. Das bedeutet, dass ab jetzt auch die luxemburgische Jugend zum Wehrdienst eingezogen und an die Ostfront geschickt wird, um dort für einen Krieg zu töten und zu sterben, der nicht ihrer ist. Am Folgetag bricht deshalb in Wiltz ein Streik aus, der sich schnell zum landesweiten Generalstreik ausweitet. Erst verweigern einige Wiltzer Beamte den Dienst, dann streiken die Mitarbeiter der IDEAL-Lederwerke. 

Die Kunde vom Streik verbreitet sich von dort aus schnell in alle Teile des Landes. Bereits am Folgetag legen die Fabrikarbeiter im Südwesten die Arbeit nieder – trotz Androhung der Todesstrafe. Auch die Bergarbeiter, Postmitarbeiter, Lehrer und Landwirte beteiligen sich. 

Volle Härte der Deutschen

Ab dem 3. September ebben die Streikaktionen allmählich ab. Die Deutschen reagieren mit voller Härte und wollen an den Teilnehmern ein Exempel statuieren. Die Gestapo verhaftet, verhört und foltert viele Teilnehmenden. 21 Streikleiter werden durch Standgerichte zum Tode verurteilt, im SS-Sonderlager Hinzert bei Trier erschossen und verscharrt. Als Folge des Streiks werden außerdem an die 2.000 Luxemburger verhaftet, unter ihnen auch 290 Schüler, die in Umerziehungslager in Deutschland verschickt werden. 

Aus den Jahrgängen 1920 bis 1927 werden mehr als 10.200 junge Luxemburger ins deutsche Heer eingezogen – unter ihnen viele Scouten. Mehr als ein Drittel von ihnen verweigert es, die Wehrmachtsuniform anzulegen, obwohl die Strafen dafür Deportation, KZ-Inhaftierung und Exekutionen sind. Der Naziterror endet für die Luxemburger erst im September 1944 mit der Befreiung durch die Alliierten.  

Quelle:
DR