DOMRADIO.DE: Ihre Ausstellung trägt den Namen "Und vergib uns unsere Schuld?" Sie stellen mit Ihrer Ausstellung die Frage nach der Schuld der Kirchen im Nationalsozialismus. Warum haben Sie sich für das Fragezeichen dahinter entschieden?
Andreas Joch (Kurator der Ausstellung): Schuldfragen sind immer schwierig. Wir haben immer unterschiedliche Perspektiven darauf. Wir können nach moralischer Schuld fragen oder nach juristischer Verantwortung. Diese Perspektiven wollen wir in der Ausstellung aufgreifen.
Moralisch ist die Bewertung natürlich eindeutig: Die Kirchen werden ihrer Verantwortung nicht gerecht und sie machen sich schuldig. Sie sind über die Verbrechen der Nationalsozialisten gut informiert und stellen sich dennoch nicht geschlossen gegen das Regime. Teilweise unterstützen sie das Regime sogar und bereiten ihm den Weg.
Aber wir müssen uns als Ausstellungsmacher natürlich auch die Frage stellen: Was ist unser Ziel? Wir wollen einerseits unseren Besucherinnen und Besuchern historische Fakten zugänglich machen, andererseits wollen wir auch ein sehr breites Spektrum an möglichen Verhaltens- und Handlungsweisen in der Zeit des Nationalsozialismus aufzeigen.
Christinnen und Christen in Europa müssen sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen. Das tun sie vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Situation, der politischen und rechtlichen Bedingungen und auch vor dem Hintergrund ihrer biografischen Prägung. Und wenn wir da genau hinschauen, dann entsteht eben ein Bild mit sehr vielen Grautönen, was auch von Wandel und Widersprüchen geprägt ist.
DOMRADIO.DE: Beim Thema "Die Nazis und die Kirchen" fallen einem Leute wie der Protestant Dietrich Bonhoeffer ein, der Katholik Alfred Delp, Edith Stein, Maximilian Kolbe, Franz Jägerstätter. Sie alle haben aus Glaubensgründen den Nazis widerstanden und dafür am Ende mit dem Leben bezahlt. Waren das in der Gesamtschau eher Ausnahmen?
Joch: Es gibt in beiden Kirchen mutige Männer und viele mutige Frauen, die bereit waren im Widerstand gegen den Nationalsozialismus alles auf's Spiel zu setzen. Aber man muss ganz klar sagen, dass ihre Geschichten nicht beispielhaft sind.
Das kann man zwar manchmal annehmen, wenn man sich die ältere Kirchengeschichtsschreibung anschaut, die die Geschichte der Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus gerne als Widerstandsgeschichte geschrieben hat. Aber das ist eben die Ausnahme.
Schauen wir uns die Biografie von Elisabeth Schmitz an. Sie war eine evangelische Lehrerin, die schon Mitte der dreißiger Jahre eine beeindruckend klare Denkschrift über die Verbrechen an den Jüdinnen und Juden in Deutschland verfasst hat und sich damit auch an viele Theologen und Geistliche gewendet und die Kirche mit klaren Worten zum Widerstand aufgerufen hat, die aber letztlich völlig erfolglos mit diesem Bemühen blieb.
Aus ihren Briefen und ihren Ego-Dokumenten spricht dann auch ganz klar ein hohes Maß an Frustration und Verzweiflung darüber, dass sich die Kirche nicht bewegt und sich nicht stärker für Jüdinnen und Juden einsetzt. Und gleiches erleben auch andere, die sich in den Kirchen für Verfolgte einsetzen und versuchen, Jüdinnen und Juden stärker zu schützen.
DOMRADIO.DE: Was unterscheidet die Rolle der evangelischen Kirche von der der katholischen Kirche während der Nazizeit?
Joch: Wir haben, wenn wir auf die historische Prägung der beiden Institutionen blicken, ganz klare Unterschiede, die das Handeln in der Zeit des Nationalsozialismus prägen. Aber das ist ein sehr komplexes Feld und ich glaube, es ist auch nicht hilfreich hier eine bewertende Antwort zu geben.
DOMRADIO.DE: Wie nähert sich die Ausstellung diesem komplexen Feld an?
Joch: Wir stellen in der Ausstellung zehn Leitfragen, die die Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung begleiten sollen und die hohe Komplexität und Ambivalenz in leichter verdauliche Päckchen gliedern sollen. Wir versuchen, in zehn Themenbereichen möglichst viele Facetten des Themas abzubilden.
Wir schauen uns nicht nur die Aspekte an, die wir gerade schon angesprochen haben, wie die Rolle der evangelischen oder der katholische Kirche im Widerstand. Wir richten unseren Blick auch auf die Gesellschaft der Weimarer Republik, auf die Religionsvorstellungen und die Religionspolitik der Nationalsozialisten, und auf die Diskussion und Aufarbeitung der Schuldfrage in den Kirchen nach 1945.
Das heißt natürlich auch, dass wir in den Themenbereichen notwendigerweise verkürzend vereinfachen. Man könnte zu jedem Thema eine eigene Sonderausstellung machen. Ich glaube aber, dass dieser breite Blick auf das Thema wichtig ist, um den Besucherinnen und Besuchern eine ausgewogene Bewertung unserer Eingangsfrage "Und vergib uns unsere Schuld?" zu ermöglichen und gewachsene Perspektiven auf diese Frage, nach dem Verhältnis zwischen Religion und Nationalsozialismus möglicherweise korrigierend oder verschiebend zu ermöglichen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.