Neue Forschungen zu Pius XII. und Entnazifizierung

Vergeben und vergessen

Bevor der Kalte Krieg heiß wurde, stellten die Alliierten die Kriegsverbrecher vor Gericht und veranstalteten Entnazifizierungstribunale. Ein Historiker beschäftigt sich mit dem Einfluss des Papstes auf die Nürnberger Prozesse.

Autor/in:
Christiane Laudage
Büste von Papst Pius XII bei seiner Weihnachtsansprache 1942 / © Wolfgang Radtke (KNA)
Büste von Papst Pius XII bei seiner Weihnachtsansprache 1942 / © Wolfgang Radtke ( KNA )

Nur wenige Wochen nach dem Kriegsende in Europa, am 2. Juni 1945, hielt Papst Pius XII. eine Ansprache vor dem Kardinalskollegium. Er stellte fest: Die katholische Kirche war ein Opfer der Nazis. Die Kirche habe sich früh gegen die Nazis positioniert. Die Deutschen dürften auf keinen Fall unter die Kollektivschuld fallen.

Wenn die Schuldigen bestraft worden sind, dann müssten die Deutschen wieder in die Familie der Nationen aufgenommen werden. Die katholische Kirche wäre wichtig für die Durchsetzung eines echten wahren Friedens. Und die wahre Bedrohung läge im Bolschewismus.

Papst Pius XII. (KNA)
Papst Pius XII. / ( KNA )

Programmatische Ansprache

Der in den USA lehrende Historiker Gerald Steinacher bewertet die Ansprache des Papstes als programmatisch im Hinblick auf die Bewältigung des Zweiten Weltkriegs und der nötigen Neuordnung. Er hat jüngst zwei Aufsätze veröffentlicht, die sich mit dem Einfluss des Papstes auf die Nürnberger Prozesse beschäftigen. 

Die Alliierten hatten sich darauf festgelegt, nach dem Krieg die Verantwortlichen für den Völkermord vor Gericht zu stellen. Entsprechend fanden zwischen November 1945 und April 1949 insgesamt 13 Prozesse gegen die Elite des "Dritten Reichs" statt. Am bekanntesten ist der erste Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Dazu kamen noch die Entnazifizierungstribunale vor Ort. 

Vorsichtige Kritik an den Nürnberger Prozessen 

Historiker Steinacher sagt, Papst Pius XII., seine engsten Mitarbeiter, zusammen mit verschiedenen Kardinälen und Bischöfen, waren grundsätzlich gegen die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse und die Entnazifizierung. Zunächst äußerte der Vatikan nur vorsichtige Kritik im Hinblick auf eine "Siegerjustiz" und verwarf alle Ideen einer deutschen Kollektivschuld. Für den ersten Nürnberger Prozess stellte er Unterlagen über die Verfolgung der katholischen Kirche zur Verfügung. Mit der Zeit nahm der Widerstand deutlich zu. 

Kardinal Josef Frings (KNA)
Kardinal Josef Frings / ( KNA )

Am Tag, nachdem die Todesurteile im Hauptkriegsverbrecherprozess vollzogen wurden (16. Oktober 1946), sprach sich der Kölner Erzbischof, Kardinal Josef Frings, für ein sofortiges Ende der Prozesse und der Entnazifizierung aus. Steinacher stellte fest, dass von kirchlicher Seite grundsätzlich nicht zwischen Kriegsverbrecherprozessen und den Entnazifizierungstribunalen unterschieden wurde. 

Protest gegen die Maßnahmen der Alliierten

Zusammen mit dem Münchner Weihbischof Johannes Neuhäusler, dem Erzbischof von Salzburg Andreas Rohracher, dem späteren päpstlichen Nuntius und US-Bischof Aloysius Muench, Kardinal Amleto Cicognani, dem New Yorker Erzbischof Kardinal Francis Spellman und Monsignore Giovanni Montini, dem späteren Papst Paul VI., fand sich eine informelle Gruppe zusammen, die im Protest gegen die Maßnahmen der Alliierten vereint war. Sie konnten der Unterstützung des Staatssekretariats und des Papstes sicher sein. 

Täter unterstützt 

Neben ihrer offen ausgesprochenen Kritik versuchten sie das Vorgehen der Alliierten zu unterminieren, fand der Historiker heraus. Kurzum, fasst Steinacher zusammen, sie haben moralische, finanzielle und materielle Unterstützung für angeklagte oder verurteilte Täter geleistet. Von Kardinälen bis hin zu Priestern in Pfarreien hätten sie sich für große und kleine Nazis eingesetzt, immer hätten sie einen Grund gefunden, um Nachsicht oder Schutz vor Strafen zu bitten.

Eine Frau betrachtet Fotografien von Häftlingen im Konzentrationslager Auschwitz / © Harald Oppitz (KNA)
Eine Frau betrachtet Fotografien von Häftlingen im Konzentrationslager Auschwitz / © Harald Oppitz ( KNA )

Papst Pius XII. habe sich etwa mit einem Gnadengesuch für Arthur Greiser eingesetzt, das in Polen Empörung auslöste. Greiser wurde wegen hunderttausendfachen Mordes, Deportation von Polen zur Zwangsarbeit sowie Ausplünderung des polnischen Volkes angeklagt. Pius XII. bat auch um Gnade für Hans Frank oder Otto Ohlendorf, der im Osten als Chef einer Einsatzgruppe fast 100.000 Menschen umbringen ließ. Die Liste ließe sich verlängern, meint Steinacher.

"Rattenlinie" des Vatikans 

Er hat bereits früher zur sogenannten "Rattenlinie" geforscht, also der Hilfe zur Flucht für mutmaßliche oder angeklagte Kriegsverbrecher. Der Historiker hat viele Belege in Archiven gefunden, wie der Vatikan darin involviert war.

Warum setzte sich Pius XII. für Kriegsverbrecher ein? Es ging ihm in erster Linie um die Rettung der Seelen, meint Gerald Steinacher und zitiert Schwester Pascalina Lehnert, die Haushälterin und Assistentin des Papstes. "Die Sorge um die Rettung der Seelen war immer das wichtigste Anliegen von Pius XII."

Gemeinsame Feind stand im Osten

Außerdem trieb den Papst die Sorge, eine harsche Entnazifizierung würde Deutschland und Westeuropa schwächen und zu einem leichten Opfer für den Kommunismus machen. Er wollte die Re-Christianisierung des Kontinents. Als der Kalte Krieg Ende der 1940er Jahre heiß wurde, so Steinacher, entsprach das päpstliche Vorgehen den geostrategischen Realitäten. Der gemeinsame Feind stand im Osten. 

Quelle:
KNA