DOMRADIO.DE: Knapp 607.000 Menschen waren im Verlauf des vergangenen Jahres zeitweise wohnungslos. So viele, wie Dortmund Einwohner hat. Damit lag die Zahl um 58 Prozent höher als im Vorjahr. Wohnungslosigkeit ist ein Riesenproblem und das nicht nur am Tag der Wohnungslosen. Sie sind Geschäftsführer der Wohnungslosenhilfe der Franzfreunde. Was machen die Franzfreunde?
Jürgen Plitt (Geschäftsführer Franfreunde Düsseldorf): Wir sind ein katholisches Sozialunternehmen, das sich aus der Ordensgemeinschaft der Brüder des Heiligen Franziskus entwickelt hat Wir haben zwei Arbeitsbereiche: einmal Seniorenhilfe und außerdem die Wohnungslosenhilfe. In der Wohnungslosenhilfe haben wir 450 Plätze. Wir haben dort stationäre Hilfen, Notschlafstellen, wir machen Streetwork, ambulant betreutes Wohnen, wir haben ein Beschäftigungsprojekt. Wir sind sehr breit aufgestellt.
DOMRADIO.DE: Ein Schwerpunkt der Franzfreunde ist die Bekämpfung der Wohnungslosigkeit. Wie problematisch ist die Situation in Düsseldorf?
Plitt: Wir sind besorgt, weil die Zahlen bundesweit, aber auch in Düsseldorf zunehmen. Eine Zahl möchte ich Ihnen nennen: Alle zwei Jahre machen wir eine Nachtzählung und dabei haben wir im Oktober letzten Jahres 437 Menschen nachts gezählt. Und das eine Steigerung auf der Straße von obdachlosen Menschen von 83 Prozent.
DOMRADIO.DE: Sie gehen dann nachts durch die Stadt und schauen, wer dort obdachlos ist?
Plitt: Wir sind an einem Abend im Oktober um 22:30 Uhr gestartet und waren bis ein Uhr nachts mit 90 zählenden Menschen unterwegs. Wir gehen immer in Teams mit zwei Menschen und haben dann die Menschen gezählt und nicht angesprochen. Denn wer von uns möchte schon gern nachts angesprochen werden? Wir haben die Zahlen gesammelt und dann auch erhoben. Diese Zahl haben wir dann in die Politik gespielt. Ich war letzte Woche noch in einem Ausschuss des Rates und habe dort diese Zahlen vorgestellt. Wir machen das ja nicht um der Zahlen selber willen. Wir machen das deswegen, weil wir das Hilfssystem dadurch weiterentwickeln wollen.
DOMRADIO.DE: Was sind die Hauptgründe, warum Menschen wohnungslos werden und sind?
Plitt: Der Hauptgrund ist eindeutig der angespannte Wohnungsmarkt. Es gibt kaum bezahlbaren Wohnraum. Wir sehen, dass sehr viele Menschen wohnungslos werden dadurch, dass sie Kündigungen erhalten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hat diese Woche Zahlen veröffentlicht: 19 Prozent der Menschen werden aufgrund von Miet- oder Energieschulden wohnungslos.
DOMRADIO.DE: Auch junge Menschen sind zunehmend von Wohnungslosigkeit betroffen. Da sind viele Aussichten für die Zukunft schon sehr früh verbaut, oder?
Plitt: Das ist das große Problem, dass gerade junge Menschen damit einen sehr schwierigen Start haben in einer wichtigen Lebensphase. Da haben viele Jugendliche Barrikaden auch in Zukunft. Das macht uns große Sorgen. Deswegen wollen wir den Fokus auf junge Menschen legen und dort unterstützend unterwegs sein.
DOMRADIO.DE: Was können Sie da tun? Wie sieht eine sinnvolle Bekämpfung von Wohnungslosigkeit aus?
Plitt: Zum einen mit Beratung und Unterstützung, damit die Leute ihre Ressourcen wiederentdecken und ihr Selbstbewusstsein stärken. Das machen wir mit stationären Hilfen. Dann geht es um Überlebenshilfe, zunächst mal mit Notschlafstellen. Dann haben wir auch die Landesinitiative gegen Wohnungslosigkeit. Dort geht es darum, Wohnungen zu vermitteln. Wir haben im Jahr 2023 60 Menschen in Wohnungen vermitteln können. Das ist sicherlich eine große Zahl, wenn man den angespannten Wohnraum ansieht. Dennoch viel zu wenig. Wir würden gerne deutlich mehr vermitteln.
DOMRADIO.DE: Welche Forderungen haben Sie diesbezüglich an die Politik?
Plitt: Wir haben eine Reihe von Forderungen. Unter anderem die, dass der Wohnraum bezahlbarer sein muss. Wir fordern eine Quotenregelung dahingehend, dass wohnungslose Menschen im Sozialwohnungsbestand bestimmte Quotenplätze erhalten können. Wir fordern die Aufstockung und Fortführung der sozialen Wohnraumförderung und auch die Umwandlung von ordnungsrechtlichen Unterkünften in Sozialwohnungen.
DOMRADIO.DE: Ist das Ziel, irgendwann keine wohnungslosen Menschen mehr in Deutschland zu haben, erreichbar?
Plitt: Die Politik hat ein Ziel ausgegeben. Bis 2030 will man Obdach- und Wohnungslosigkeit überwunden haben. Ich sehe das nicht, die Zahlen steigen. Ich sehe dort aber große Anstrengungen, dass wir zumindest auf dieses Ziel hinarbeiten. Und da sind alle Kräfte für gefordert, sowohl Politik wie auch Verwaltung, Träger: Alle miteinander müssen dort nach Lösungen suchen.
Das Interview führte Carsten Döpp.