DOMRADIO.DE: Woher kommen die Stadttauben?
Sebastian Knapp (Theologe und Leitender Bildungsreferent im Bistum Mainz): Die Stadttauben, wie wir sie heute in ihrer Art kennen, gehen zu den Nachfahren der sogenannten Felsentaube zurück. Die Felsentaube ist eine Vogelart, die in Europa, Asien und Nordafrika beheimatet ist und dort vor allem an steilen Felswänden und Küstengebieten lebt. Mit der Zeit haben die Menschen dann angefangen, diese Tauben zu domestizieren und daraus ist heutige Stadthaube entstanden.
Gründe dafür waren vor allem das Fleisch, die Eier und die Federn. Aber auch die Nachrichtenübermittlung ist zu nennen, viele kennen das von den Brieftauben. In der Mitte des letzten Jahrhunderts hat man diese Haltung dann weitestgehend aufgegeben. Dann wurden diese Tiere freigelassen oder sie sind entkommen. Seitdem vermehren sie sich in unseren Städten.
DOMRADIO.DE: Essen kann man diese Stadttauben nicht mehr, oder?
Knapp: Davon würde ich abraten. Das ist keine so gute Idee. Es gibt aber immer noch viele Leute, die die Tiere für den Brieftaubensport nutzen. Geschätzt sind es 30.000 Züchterinnen und Züchter deutschlandweit. Das ist ein großes Thema, das aber auch zu einem vermehrten Tierleid beiträgt.
DOMRADIO.DE: Welche Probleme haben die Tauben in unseren Städten?
Knapp: Die Stadt ist für sie kein tiergerechter Ort, weil es ja eigentlich Haustiere sind. Das vorhandene Nahrungsangebot besteht in vielen Fällen aus Abfall und Essensresten, aus offenen Mülleimern, Imbissständen oder Schulhöfen. Und das ist weder ausreichend, noch artgerecht für die Vögel.
Es gibt zwar Orte, an denen die Tauben zusätzlich gefüttert werden, aber auch diese zusätzliche Fütterung reicht meistens nicht aus, um den Nährstoffbedarf der Tiere zu decken. Und die zusätzliche Fütterung führt auch wieder zu weiteren Problemen.
Durch Witterungseinflüsse und Verschmutzung verderben die Lebensmittel schnell, was wiederum zur Mangelernährung und zum Hungerkot führt. Der Taubenkot, den viele als so unangenehm empfinden, ist nicht der normale Kot, den diese Vögel haben, sondern es ist der sogenannte Hungerkot, der wegen dieser Mangelernährung so ätzend, schleimig und schmierig ist.
DOMRADIO.DE: Wie kann man mit der Taubenpopulation umgehen?
Knapp: Viele Städte und Einzelpersonen versuchen es mit Methoden wie Netzen oder Spikes auf Dächern, die ich als tierschutzwidrig ansehen würde und deswegen auch davon abrate, diese Methoden zu verwenden. Diese Methoden führen bloß dazu, dass die Brutplätze auf benachbarte Gebiete verlagert werden, was wiederum großes Leid und Tod der Tiere bedeutet. Tauben werden zusätzlich oft gezielt Opfer brutaler Gewalt. Das sind Phänomene, die nicht zielführend und auch nicht so sinnvoll sind.
Aber es gibt das sogenannte Augsburger Modell, das sich jetzt in immer mehr Städten etabliert. Man versucht, durch kontrollierte Taubenschläge des Bestandes Herr zu werden. Dass bedeutet, dass sich die Tiere in den Taubenschlägen einnisten, woraufhin die Eier gegen Attrappen aus Gips eingetauscht werden. Dort bekommen die Tauben ein gesundes Futter und der Bestand geht langfristig zurück, ohne dass die Tiere leiden. Zudem haben sie noch Schutz vor Raubtieren. Ein sehr tolles Modell, wie ich finde.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle könnte die Kirche bei der tierschutzgerechten Lösung des Problems übernehmen?
Knapp: Gerade durch die Mitarbeit an solchen Modellen kann die Kirche einiges tun. Die Taube hat ja auch im christlichen Glauben einen hohen Stellenwert. Daher ist es wichtig, dass man mit diesen Tieren artgerecht umgeht.
Es ist ein weit verbreitetes Problem, dass die Institutionen, die versuchen, solche Taubenschläge einzurichten, gar keine passenden Dächer finden. Die Kirche als großer Immobilienbesitzer hat dadurch schon das Potential, ihren Beitrag zu leisten. Die Kirche kann prüfen lassen welche Standorte geeignet sind, um den Tieren ein besseres Leben zu ermöglichen und auch um einen respektvollen Umgang mit der Schöpfung vorzuleben.
Das Interview führte Tobias Fricke.