DOMRADIO.DE: Sie sind dafür bekannt, dass Sie in Ihrer Gemeinde neue Wege gehen, um Menschen für das Evangelium zu begeistern. Auch zur Krise der Kirche haben Sie eine klare Meinung und sprechen gerne Klartext. An diesem Montag nun berichten Sie im Kölner Maternushaus auf Einladung des Erzbischöflichen Missionarischen Priesterseminars Redemptoris Mater Bonn davon, wie die Integration von zwölf Gemeinschaften des Neokatechumenalen Weges – das ist immerhin eine höchst beeindruckende Zahl – in das alltägliche Gemeindeleben gelingt. Sie selbst allerdings gehören dieser Bewegung nicht an, nehmen also eine Außenperspektive ein. Wie kommt es, dass bei Ihnen in der Summe so viele Menschen Teil des "Camino" sind?
Pfarrer Bodo Windolf (Leitender Pfarrer von Christus Erlöser in München-Neuperlach): In unserem Stadtteil wurde ab Ende der 1960er Jahren eine Trabantenstadt aus dem Boden gestampft mit fünf selbständigen und sehr unterschiedlich geprägten Pfarreien.
Die Priester aus den fünf Gemeinden lebten in Gemeinschaft miteinander und einer von ihnen, Wolfgang Marx, lernte etwa Mitte der 70er Jahre die Gemeinschaft des Neokatechumenalen Weges kennen. Er fühlte sich davon so angesprochen, dass er eines Tages zu einer Erstkatechese einlud, und im Laufe der Jahre nahmen dann immer mehr Menschen an diesen Glaubensverkündigungen teil. Das heißt, das Neokatechumenat blickt bei uns auf eine 50-jährige Geschichte zurück.
Die Zahl von heute zwölf Gemeinschaften stellt sicher – zumindest in Deutschland – einen Spitzenwert dar; in anderen Ländern mögen es unter Umständen noch mehr sein. Aber hierzulande ist das schon eine beachtliche Zahl. Denn ich gehe davon aus, dass wir im Moment zwischen 500 und 600 Mitglieder verzeichnen, darunter auch viele Kinder, weil es sich um teilweise sehr große Familien handelt. Natürlich gibt es auch eine gewisse Fluktuation durch Wegzug, Tod oder Verlassen des Weges. Viele wohnen nicht auf dem Gebiet der Pfarrei, fühlen sich ihr aber zugehörig.
Aus jeder dieser jährlichen Glaubensverkündigungen wird dann versucht, eine neue Gemeinschaft zu gründen, der manchmal nur sehr wenige angehören. Aber dann fusioniert eine zahlenmäßig kleine Gemeinschaft mit einer anderen, so dass das ein laufender Prozess ist. Oft besteht die Herausforderung schon allein darin, immer genügend Räume zur Verfügung zu haben. Denn jede Gemeinschaft hat zwei Treffen pro Woche, feiert am Samstagabend ihre eigene Eucharistie und Mitte der Woche eine Wort- oder alle paar Wochen eine Bußliturgie.
DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie diese Gemeinschaften? Und wie ergeht es damit den Menschen in Ihrer Gemeinde? Besteht nicht die Gefahr, dass das Neokatechumenat eine Gemeinde in der Gemeinde bzw. eine Kirche in der Kirche ist?
Windolf: Soweit ich weiß – ich bin ja erst seit 2012 leitender Pfarrer in Neuperlach – gab es gleich am Anfang diese Sorge, dass hier eine Gemeinde innerhalb der Gemeinde entsteht, was teils große Aversionen hervorgerufen hat. Aber es gab auch die, die versucht haben, sehr engagiert zwischen der einen und der anderen Seite zu vermitteln, was letztlich sehr integrativ gewirkt hat – über die Jahre hinweg mehr und mehr.
Aber klar, es gibt immer auch noch die negativen Stimmen; Kritiker, die den Neokatechumenalen Weg und die Menschen, die ihn leben, ablehnen. Inzwischen nehme ich aber vermehrt wahr, dass viele sagen, diese Form sei nicht ihr Weg, gleichzeitig aber betonen, dass es gut sei, dass es diese Gemeinschaften gibt.
DOMRADIO.DE: Warum? Inwiefern sind die geistlichen Gemeinschaften des Neokatechumenalen Weges eine Bereicherung für die Menschen in der Pfarrei Christus Erlöser? Was strahlt positiv auf das herkömmliche Gemeindeleben aus?
Windolf: Mitglieder des Neokatechumenats sind genauso wie andere Gemeindemitglieder im Pfarrgemeinderat und in der Kirchenverwaltung vertreten, sie engagieren sich bei der Erstkommunion- und Firmvorbereitung oder helfen bei der Vorbereitung von Festen mit. Vieles davon würde ohne ihre Mitarbeit gar nicht mehr gehen. Daraus ergibt sich auch eine hohe Akzeptanz. Im Moment – das kann ich sagen – gibt es ein sehr gutes Mit- und kein Gegeneinander.
Ich selber gehe auch sehr gerne in die Liturgien der Gemeinschaften und versuche, im regelmäßigen Austausch mit ihnen zu sein. Wenn irgendwie möglich, feiere ich mit einer der Gemeinschaften am Samstagabend die heilige Messe. Das mache ich nicht zuletzt deshalb gerne, weil ich dort tatsächlich alle Generationen und Altersgruppen antreffe – angefangen bei den ganz Kleinen über die Jugendlichen bis hin zu jungen Paaren, Familien und Senioren – um mitzuerleben, wie wichtig ihnen der Glaube ist und sie doch gleichzeitig auch um ihn ringen, weil sie ja genauso wie alle anderen in einer Welt leben, in der der Glaube zunehmend ein Fremdkörper ist.
Trotzdem setzen sie sich auch mit kritischen Anfragen an ihren Glauben auseinander, haben um sich aber einen Kreis von Gleichgesinnten. Ich kenne tatsächlich keine andere Gemeinschaft, der es so gut gelingt, Kinder und Jugendliche an den Glauben und die Liturgie heranzuführen – und zwar bleibend und nachhaltig.
Für mich sehe ich eine ganz wichtige Aufgabe darin, sie in die Gemeinde zu integrieren. Natürlich hat jede geistliche Gemeinschaft ihre Eigenheiten und da muss man sicherlich auch manchmal Korrektiv sein und anregen, einen anderen Akzent zu setzen. Der Vorwurf aber, das Neokatechumenat sei eine Sekte, ist haltlos. Dauerhafte Ablehnung ist jedenfalls keine Option. Dann besteht eher verstärkt die Gefahr, dass eine Gruppe wirklich zu einseitig wird. Die Gemeinschaften sind Teil der Kirche und damit auch Teil der Gemeinde.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, dass die Neokatechumenalen immer wieder mit Ressentiments und Vorurteilen zu kämpfen haben. Gibt es denn auch etwas, wo Sie selbst Kritik üben?
Windolf: Möglich, dass es in den Anfängen in St. Philipp Neri auch Spaltung gegeben hat, zumindest eine gefühlte. Konkret festgemacht hat es sich, um nur ein Beispiel zu nennen, an der Osternacht: Neben der "gewöhnlichen" für die Gemeinde feierten die Neokatechumenalen immer auch ihre eigene. So hat sich, zumindest bei manchen, ein Gefühl von Christen erster und zweiter Klasse einstellen können, woraus dann schnell auch der Vorwurf der Spaltung entstehen konnte. Aber Pfarrer Marx, den ich sehr schätze, hat immer versucht, Pfarrer für die ganze Gemeinde zu sein und Gräben auszugleichen.
Erst kürzlich hatte ich ein Gespräch mit dem Mitbruder, der mit mir in unserer Pfarrei wirkt und dem Neokatechumenat angehört. Wir kamen auf die Weltsynode zu sprechen, und er meinte, dass es zum Beispiel bei der Glaubensverkündigung, was das Zuhören betrifft, durchaus Luft nach oben gebe, etwa was das Setting betrifft – hier die Katechisten, die verkünden, und auf der anderen Seite die hörende Gemeinde.
Das ist eine Art, die ich für unsere Zeit nicht mehr für passend halte. Der Austausch, das Hinhören auf das, was die Menschen bewegt, die vielleicht zum ersten Mal wieder mit dem Glauben in Berührung kommen, sollte mehr Raum bekommen und ist etwas, was wir alle neu miteinander lernen müssen.
Oder ein anderes Beispiel: Mein Eindruck ist, dass in der durchschnittlichen Verkündigung in Deutschland das Thema "Sünde" und der Ruf Jesu zur Umkehr oftmals zu kurz kommen. Beim Neokatechumenalen Weg ist es eher umgekehrt, da liegt der Schwerpunkt bisweilen zu sehr auf den persönlichen Defiziten – so jedenfalls empfinde ich es. Auch was die Themen der Erstkatechese betrifft, die auf den Gründer der Gemeinschaft, Kiko Argüello, in den 1960er Jahren zurückgehen.
Es gibt wunderbare und zeitlos gültige Themen, aber auch andere, die mehr unserer heutigen Zeit und Glaubenssituation angepasst werden müssten. Das sind einzelne Kritikpunkte. Aber den Grundduktus kann ich unterschreiben und der gefällt mir gut.
DOMRADIO.DE: Allein drei junge Kölner Diözesanpriester haben in einer neokatechumenalen Gemeinschaft in Neuperlach ihre Berufung erfahren. Überhaupt gibt es in den jüngeren Weihejahrgängen überproportional viele junge Leute, die in einer solchen Gemeinschaft ihre spirituelle Prägung erlebt haben…
Windolf: Da es sich vielfach um große Familien mit vielen Kindern handelt, in denen der Glaube gelebt wird, das gemeinsame Gebet und die regelmäßige Liturgie selbstverständlich zum Alltag gehören, gepaart mit einer Kultur des freien Austauschs – übrigens auch der Kritik – besteht eine große Bereitschaft, sich mit dem Thema Berufung auseinanderzusetzen.
Dieses Aufwachsen der Kinder in einer Atmosphäre gelebten Glaubens macht die Frage, ob sich jemand berufen fühlt, sehr präsent – was im Übrigen auch proaktiv betrieben und nicht verschämt thematisiert wird. Im Vergleich dazu ist es für kleine Familien mit nur einem oder zwei Kindern oft gar nicht so leicht, wenn der Sohn oder die Tochter sagt, er oder sie wolle zölibatär leben, Priester oder Ordensfrau werden und ein gottgeweihtes Leben führen.
Daneben wird aber auch die Ehe sehr bewusst als Ruf Gottes verstanden und gelebt. Für beide Entscheidungen besteht eine besondere Atmosphäre: die eines bereiteten Bodens, um den persönlichen Ruf zu vernehmen.
Die jungen Priester, die ich kenne, haben meines Erachtens eine sehr offene Art und erachten den Neokatechumenalen Weg nicht als das Non plus ultra, um ein guter Katholik sein zu können. Eine solche Haltung des exklusiven Denkens nehme ich nicht wahr. Dass wir inzwischen viele Priester haben, die aus dieser oder anderen geistlichen Gemeinschaften kommen, sehe ich ausgesprochen positiv, weil ich glaube, dass gerade heute Priester eine geistliche Beheimatung brauchen.
Der Prototyp des Einzelkämpfers, der ganz alleine unterwegs ist – ohne soziale Stützen oder auch Stützen im Glauben – kann in unserer modernen Welt nicht (mehr) funktionieren. Deshalb bin ich sehr froh, dass junge Leute diesen Weg in einer geistlichen Gemeinschaft gehen.
DOMRADIO.DE: Die Veranstaltung selbst steht unter der Überschrift "Pastorale Umsetzung eines katholischen Charismas" und wird als Erfahrungsaustausch von Simon Schmidbauer, Bereichsleiter Strategie im Erzbistum Köln, moderiert. Dieses Format soll dazu dienen, einen Raum zu eröffnen, in dem auch Schwierigkeiten und Vorbehalte ausgesprochen werden, um diese gegebenenfalls mit Beispielen aus der Praxis entkräften zu können. Wo positionieren Sie sich? Was ist Ihre Erwartung an diese Veranstaltung?
Windolf: Es gibt nach meiner Erfahrung unter den Mitbrüdern die "Ermöglicher" in der Pastoral und die, die eher als "Verunmöglicher" unterwegs sind; also Priester, die von vornherein sagen: Das kommt überhaupt nicht infrage. Zu einer guten katholischen Vielfalt gehört, verschiedene Wege – nicht nur in der Kirche insgesamt, sondern auch in der einzelnen Gemeinde – zuzulassen, wenn sich die Möglichkeit bietet.
Der Neokatechumenale Weg ist eine dieser Möglichkeiten, Menschen wieder neu für den Glauben zu gewinnen. Sinn dieser Veranstaltung, bei der nicht nur ich von meinen Erfahrungen berichte, sondern auch ein Ehepaar, das elf Kinder hat, ist, Ängste zu nehmen, Sorgen offen anzusprechen, um eben Spaltung schon im Ansatz zu vermeiden.
Ich persönlich erlebe in meiner Gemeinde, dass vieles nicht nur im Nebeneinander, sondern auf schöne Weise in einem Miteinander existieren kann. Wir haben bei uns Hauskirchen, die eine andere Spiritualität leben als die Neokatechumenalen. Wir haben aber auch die, die sonntags einfach in den Gottesdienst kommen, von denen manche sich ehrenamtlich engagieren, andere nicht. All das gehört zur Freiheit eines Christenmenschen. In der Summe ist das, wie gesagt, mehr als nur ein Nebeneinander, sondern ein sehr fruchtbares Katholisch-Sein im eigentlichen Sinne des Wortes, nämlich in der Vielfalt der unterschiedlichen Berufungswege und Charismen, wie sie Gott schenkt.
Das "Verunmöglichen" kann auch eine Form des Machtmissbrauchs von Priestern sein, etwa wenn ich gelegentlich höre, dass ein Pfarrer bei sich in der Gemeinde Anbetung verbietet. Niemand muss ein solches oder andere Angebote annehmen, wenn es der eigenen Frömmigkeit nicht entspricht, aber für nicht wenige kann es ein wunderbarer Weg zu Gott und im Glauben sein. Daher würde ich mir für die Kirche in unserem Land wünschen, dass wir eine größere Offenheit für die verschiedenen Wege und Spiritualitäten innerhalb der Kirche zeigen. Wie hat Papst Benedikt einmal gesagt: "Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt." Jeder braucht nun mal etwas anderes, um sich Christus anzunähern und ihn in das eigene Leben hineinzulassen.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.