EU besorgt über steigende religiöse Intoleranz in Europa

"Explosion des Antisemitismus"

Sorge über immer mehr religiöse Intoleranz in Europa hat die Europäische Union geäußert. Bei einer Plenardebatte im EU-Parlament in Straßburg bekundeten Abgeordnete aller Fraktionen ihr Unbehagen über jüngste Entwicklungen.

Autor/in:
Johannes Pernsteiner
Eine Flagge der Europäischen Union weht im Wind, gefangen in den Ästen eines Baumes / © Kirsty Wigglesworth (dpa)
Eine Flagge der Europäischen Union weht im Wind, gefangen in den Ästen eines Baumes / © Kirsty Wigglesworth ( dpa )

So sprach Kommissions-Vizepräsident Margaritis Schinas, der seine Agenden als Zuständiger für den Kampf gegen religiöse Intoleranz demnächst an seinen designierten Nachfolger, den Österreicher Magnus Brunner, übergibt, von einer Explosion des Antisemitismus wie auch vom Anstieg auch antimuslimischen Hasses in Europa. Dagegen gelte es entschieden anzugehen, sei religiöse Toleranz doch "Teilstück unserer europäischen DNA", so der griechische Christdemokrat.

"In Europa haben Juden begonnen, sich wieder zu verstecken. Das ist nicht hinnehmbar", sagte Schinas mit Verweis auf eine Umfrage der Europäischen Grundrechteagentur unter der jüdischen Gemeinschaft. Verschärft habe sich diese Entwicklung seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023. Zugleich habe dieses Ereignis auch eine "Hass-Spirale" gegen Muslime weiter befeuert, die "besorgniserregende Niveaus" in allen Mitgliedsstaaten erreicht habe, "online als auch offline, in den Medien und in politischen Debatten", so der Vizepräsident.

"Superwaffe"

Die Entwicklung stehe im klaren Widerspruch zum Europäischen Recht, verwies Schinas auf die in Artikel 10 der EU-Charta geschützte Religionsfreiheit. Dazu habe die EU-Kommission seit 2008 etliche Schritte schon gesetzt: Im Dialog mit religiösen und nicht-konfessionellen Organisationen ebenso wie durch Rahmenbeschlüsse und Aktionspläne gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, den Kodex zur Bekämpfung von Online-Hassredensowie das im Februar in Kraft getretene Gesetz über Digitale Dienste, laut Schinas eine "Superwaffe".

Muslimische Demonstrantinnen mit Kopftuch und der Flagge Frankreichs protestieren in Paris gegen Islamophobie. / © Corinne Simon (KNA)
Muslimische Demonstrantinnen mit Kopftuch und der Flagge Frankreichs protestieren in Paris gegen Islamophobie. / © Corinne Simon ( KNA )

Notwendig sei es, gemeinsame Maßnahmen und Dialog zu verstärken um für Religions- und Glaubensfreiheit einzutreten, unterstrich der Vizepräsident. Das gelte nicht nur innerhalb Europas, sondern auch darüber hinaus, wofür die Kommission mit dem Belgier Franciskus Van Daele Ende 2022 einen Sonderbeauftragten ernannt habe. AuchDiskriminierung und Verfolgungen, die sich gegen Christen richteten, gelte es in den Blick zu nehmen, teile er doch auch die in diese Richtung geäußerte Besorgnis. "Ich möchte daran erinnern: Beim Christentum geht es um Toleranz und darum, dass ich den anderen liebe, nicht hasse", so Schinas.

Auch Christenfeindliche Vorfälle 

Christenfeindliche Vorfälle waren denn auch Inhalt zahlreicher Plenums-Wortmeldungen vor allem aus den Reihen der Christdemokraten, Konservativen sowie der rechtspopulistischen Fraktion "Patrioten für Europa". Etliche Abgeordnete verurteilten jene Szene der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris, die nach Ansicht vieler das Letzte Abendmahl lächerlich gemacht hatte. 

"Das letzte Abendmahl" mit Dragqueens und Transgender-Model / © Screenshot
"Das letzte Abendmahl" mit Dragqueens und Transgender-Model / © Screenshot

Sorge bereite jedoch auch zunehmender Vandalismus gegen Kirchen und Friedhöfe, der in Frankreich allein 2023 zu Brandstiftungen bei mehreren Dutzend Gotteshäusern geführt habe, die Zurückweisung von Christen an Universitäten und Arbeitsplätzen oder auch das Leugnen eines christlich-jüdischen Fundaments Europas. Medien würden darüber kaum berichten, so der Tenor.

Die ungarische Fidesz-Abgeordnete Annamaria Vicsek forderte von der EU-Kommission die Einsetzung eines eigenen Koordinators für den Schutz der Christen, während Malika Sorel vom französischen Rassemblement National Europa auf einen "Religionskrieg" zusteuern sah.

"Instrumentalisierung der Islamophobie"

Dass in etlichen Beiträgen aus dem rechten Lager die Migrationsbewegungen seit 2016 und insbesondere Muslime sowie auch linke Gruppen als Verursacher von Antisemitismus und Intoleranz gegen Christen festmachten, wurde von Abgeordneten der Fraktionen der Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen jedoch infrage gestellt.

Religiöse Intoleranz müsse auch im Europaparlament bekämpft werden, sagte der französische Grüne-Abgeordnete Mounir Satouri, ähnlich wie die französisch-palästinensische Abgeordnete Rima Hassan (Linke), die von einer "Instrumentalisierung der Islamophobie" durch rechtsextreme Politiker sprach. Die Portugiesin Ana Catarina Mendes (Sozialdemokratie) forderte mehr interreligiösen Dialog für die "Integration jener, die in Europa einen Schutzhafen suchen".

Auf Religionen mit Achtung zugehen

Der Österreicher Lukas Mandl (EVP) forderte, Toleranz müsse in Europa weiterhin als ein "Verteidigen der Freiheit der anderen" verstanden werden. Dies gelte es durch die eigene Praxis dem Rest der Welt vorzuleben. "Es ist wichtig, dass wir auf andere Kulturen und Religionen mit Achtung zugehen und im Wissen, dass die Identität Europas und auch die Aufklärung auf jüdisch-christlichen Grundfesten beruht". Nicht übersehen dürfe die EU, dass Glaube und Religion von den allermeisten Menschen außerhalb Europas für wichtiger angesehen werde als dies heute in Europa der Fall sei.

Der Österreicher Magnus Brunner ist für das Amt des EU-Kommissars für Inneres und Migration nominiert / © Eva Manhart/APA/dpa (dpa)
Der Österreicher Magnus Brunner ist für das Amt des EU-Kommissars für Inneres und Migration nominiert / © Eva Manhart/APA/dpa ( dpa )

Schutz für Gläubige

Innerhalb der EU-Kommission übergibt der scheidende Vizepräsident Schinas die Agenden im Kampf gegen Antisemitismus und Islamophobie schon bald auf Magnus Brunner (EVP), wie aus dem am 17. September datierten Mandatsschreiben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hervorgeht.

Der designierte EU-Kommissar ist damit künftig dafür zuständig, Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens zu unterstützen. Dasselbe gelte auch für die Bekämpfung von Hass gegen Muslime, um so die Sicherheit muslimischer Gemeinschaften zu verbessern. Auch der Dialog der EU-Kommission mit Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften sowie mit weltanschaulichen Gemeinschaften wurde als Aufgabe des künftigen EU-Kommissars für Inneres und Migration genannt.

Quelle:
KNA