Die katholischen Hilfswerke Adveniat und Misereor würdigen den verstorbenen Theologen Gustavo Gutierrez als "Vater der Befreiungstheologie". Er sei nicht nur Namensgeber einen theologischen Richtung, sondern Begründer einer neuen Art, Christ in der Gesellschaft zu sein, sagte der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Martin Maier am Donnerstag. "Sein Werk 'Theologie der Befreiung' war der Ursprung einer neuen Art, Theologie zu treiben, einer neuen Art, Kirche zu leben, einer neuen Art, den christlichen Glauben gesellschaftlich wirksam werden zu lassen."
Gutierrez habe zu einem weltkirchlichen Austausch in der Kirche beigetragen: "Theologische Entwicklungen wurden nun nicht mehr ausschließlich von Europa aus in die christlich geprägte Welt gebracht, fortan gab es auch Impulse aus Lateinamerika, wo eine eigenständige theologische Reflexion und Praxis entstanden war", so Adveniat weiter.
Eine Theologie und eine Kirche, die ihr Handeln an der vorrangigen Option für die Armen ausrichtet, sei heute notwendiger denn je. "Es muss als Christinnen und Christen unser Hauptanliegen sein, den Armen in ihrer Not zu helfen und die ungerechten Strukturen zu beseitigen, die zur Verarmung und Not führen. Das ist Nachfolge Jesu Christi, wie sie die Evangelien beschreiben, Gustavo Gutierrez sie gelehrt und gelebt hat und auch Papst Franziskus in seinem Reden und Handeln beispielhaft umsetzt", betonte Maier.
Theologie, die die Welt verändert
Auch der Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor Andreas Frick verwies auf die Bedeutung der von Gutierrez vertretenen Option für die Armen. Sie sei ein Leitbild der Arbeit des Hilfswerks im globalen Süden. Die von Gutierrez begründete Theologie der Befreiung habe eine ganze Generation von Theologen, Christen und Aktivisten sozialer Bewegungen Lateinamerikas geprägt.
"Theologie beschränkt sich nicht mehr darauf, die Welt gedanklich zu ergründen, sondern versucht, sich als ein Moment in dem Prozess zu verstehen, mittels dessen die Welt verändert wird. Weil sie - im Protest gegen die mit Füßen getretene menschliche Würde, im Kampf gegen die Ausbeutung der weitaus größten Mehrheit der Menschen, in der Liebe, die befreit, und bei der Schaffung einer neuen, gerechten und geschwisterlichen Gesellschaft - sich der Gabe des Reiches Gottesöffnet", so Frick weiter.
Reaktion auf Missstände
Gustavo Gutierrez starb am Dienstag im Alter von 96 Jahren in Peru. Die vom Vatikan teils kritisch beurteilte Befreiungstheologie reagierte seit den 1960er Jahren auf extreme soziale Missstände in Lateinamerika.
Gutierrez' 1971 erschienenes und in viele Sprachen übersetztes Buch "Theologie der Befreiung" gab der Bewegung ihren Namen. Sie interpretierte die Botschaft Jesu als einen Aufruf, die Unterdrückung und Entrechtung von Menschen zu überwinden. Auch Anhänger linker Guerillabewegungen beriefen sich in ihrem Kampf auf sie.