DOMRADIO.DE: Heute möchte ich Ihnen gerne eine persönliche Frage stellen: Was macht Pilgern mit ihnen und ihrem Glauben?
Beate Steger (Pilgerexpertin): Ich bin sowieso gläubig. Ich bin nicht auf dem Weg unterwegs, um Gott zu finden, aber das Pilgern entschleunigt mich. Ich mache nichts anderes als Essen, Schlafen, Gehen. Ich bin zum ersten Mal 2007 den Jakobsweg gelaufen, von Saint Jean Pied de Port nach Santiago de Compostela. Vorher war ich mal mit dem Fahrrad unterwegs, aber das hatte für mich nicht so eine große Bedeutung.
Damals hatte ich eine schlimme Trennung hinter mir. Es war, als wäre ich weggelaufen, aber dann habe ich gemerkt, wie gut ich mit mir selbst klarkomme und wie eins ich mit mir bin. Aber ich blieb doch verbunden mit der Natur, durch die Begegnungen mit den Menschen und natürlich auch mit Gott. Das habe ich damals richtig gespürt.
DOMRADIO.DE: Es gibt Menschen, die sagen: 'Pilgern ist doch das gleiche wie Wandern, nur mit Beten.'
Steger: Wenn man sich auf den Weg macht, den Jakobsweg, oder einen anderen Pilgerweg und völlig nicht spirituell ist, und mit religiösen Gefühlen gar nichts anfangen kann, dann ist man vielleicht nicht offen genug für die vielen kleinen Wunder, die einem auf der Reise passieren können. Ich sehe als Bild ein leeres Gefäß, in das man etwas rein gießen kann, um es zu befüllen.
Mir sind ganz viele Wunder auf meinen Wegen passiert, wie, dass ich spontan eine Unterkunft bekommen habe, was eigentlich schon ausgeschlossen war. Ich hatte tolle Begegnungen mit Menschen, mit denen ich ein paar Tage am Stück unterwegs war. Es konnten aber auch offene Kirchen sein, die mir etwas auf dem Weg mitgegeben haben. Und der Weg vorbei an schönen kleinen alten und teils unrestaurierten Dorfkirchen. Das alles macht das Pilgern so besonders.
DOMRADIO.DE: Die Offenheit für diese kleinen Wunder muss also auch gegeben sein. Liegt es an einem selbst, ob eine Pilgertour gelingt oder nicht?
Steger: Ein Stück weit schon. Ich hab eine Freundin, die sagt immer, dass sie sich das Schlimmste vorstellt. Dann freue sie sich, wenn es nicht ganz so schlimm einträfe. Es ist eine große Herausforderung, wenn man immer nur das Schlimmste erwartet. Solche Menschen können vielleicht mit einer geführten Pilgertour beginnen, bei der ein Pilgerbegleiter dabei ist, der auf diese Kleinigkeiten am Wegesrand aufmerksam macht. So kann man erst mal seinen Blick dafür schärfen.
DOMRADIO.DE: Offene Menschen haben es da generell leichter.
Steger: Das ist ein wichtiger Punkt. Vor meiner ersten Pilgertour war es für mich undenkbar alleine zu reisen oder Urlaub zu unternehmen. Auch der Gedanke alleine in ein Restaurant zu gehen ... Das hätte ich nie gemacht. Bei meiner ersten Pilgertour habe ich gemerkt, dass ich sehr gut alleine unterwegs sein kann. Seitdem ist es anders bei mir. Ich habe gemerkt, dass ich viel leichter Kontakt zu anderen finde, was gerade auf einem Pilgerweg wichtig ist. Auf dem Jakobsweg sowieso, weil dort so viele Menschen unterwegs sind, dass man sich alleine orientieren kann. Diese Selbstständigkeit zu lernen war ein Prozess. In den ersten zwei Wochen fühlte es sich nicht toll an. Über die fünf Wochen, die ich unterwegs war, wurde es aber immer besser.
DOMRADIO.DE: Alleine losgehen heißt nicht allein bleiben?
Steger: Gerade auf dem Jakobsweg in Spanien muss man sich schon sehr anstrengen, um alleine zu bleiben. Es liegt auch daran, welchen Weg man geht. Wer aber auf dem Hauptweg unterwegs ist, dem Camino Francés, hat gar keine Chance, alleine zu bleiben. Da muss man sich schon sehr abgrenzen. Wenn man die Erfahrung machen möchte, dass man andere Menschen trifft, dass man nicht alleine ist und dass man mit Gott und der Welt verbunden ist, für den ist es ratsam auf den viel frequentierten Wegen unterwegs zu sein.
DOMRADIO.DE: Es kann auch stärkend sein, Menschen zu treffen, die entweder gläubig sind, oder irgendwie anders gleichgesinnt sind.
Steger: Ja, es kann stärkend sein, Menschen zu treffen, die noch viel schlimmer dran sind, als man selbst. Ich hatte, bei meiner ersten Pilgertour eine schlimme Trennung hinter mir. Andere Menschen, die ich traf, hatte einen Krebs oder eine andere schlimme Krankheit überwunden. Oder ein geliebter Mensch ist gestorben und diese Menschen waren in Trauer. Kontakte mit Menschen und das Teilen der Sorgen miteinander, relativiert die eigenen Sorgen und hilft den anderen.
Das Interview führte Dagmar Peters.