DOMRADIO.DE: Wer stellt diese Kreuze auf und kümmert sich um diese Gedenkstätten?
Christine Aka (Ethnologin): Das ist unterschiedlich. Normalerweise stellen die Freunde oder Cliquen - oft sind junge Leute verunglückt - die Kreuze auf. Häufig sind die auch aufwendig geschmückt mit Erinnerungsstücken. Im Laufe der Zeit übernehmen dann häufig die Eltern oder Angehörigen die Pflege.
DOMRADIO.DE: Der Ort zum Trauern und Gedenken könnte doch auch das Grab sein. Warum gibt es diese Gedenkkreuze am Straßenrand?
Aka: Ich habe mit relativ vielen Angehörigen gesprochen und sie sagten, dass sie den Verstorbenen an den Unfallorten näher sind, als auf dem Friedhof. Am Unfallort schwingt die Vorstellung mit, dass der Mensch dort seinen letzten Gedanken gedacht hatte. Als seien die Gefühle der letzten Minuten dort konserviert, oder dass die Seele dort den toten Körper verlassen hat. Dieser Raum ist von den Toten besetzt.
Aber das ist auch individuell. Es gibt auch Eltern, die an beiden Orten unterschiedlich trauern. Viele haben zum Beispiel auch zu Hause einen Ort zum Trauern, wo sie vielleicht Bilder haben. Manch einer braucht viele verschiedene Orte der Trauer, und wieder andere trauern häufiger.
DOMRADIO.DE: Sie haben 250 solcher Orte im Rahmen ihrer Feldforschung auf insgesamt 10.000 Kilometern Straße in Deutschland besucht. Das ist schon ein bisschen länger her. Wie kam es dazu, dass Sie sich mit diesen Kreuzen an der Straße befasst haben?
Aka: Nach der Wende sind in den ostdeutschen Bundesländern wahnsinnig viele Leute verunglückt. Dort sind immer mehr Kreuze aufgekommen. Dann sind auch immer mehr Kreuze in Nordrhein-Westfalen aufgetaucht. Irgendwann entstand die Frage, wie die Straßenbehörden damit umgehen sollten. Nimmt man die weg? Stören die Kreuze überhaupt? Sind das Zeichen von Spiritualität? Stehen diese Kreuze gar unter Schutz, weil sie eine freie Ausübung von Religion darstellen? Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat offiziell gefragt, wie man damit umgehen solle.
Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Orte eine Form von Spiritualität sind. Leute suchen dort den Kontakt mit den Verstorbenen. Es sind Orte, an denen sich eine gewisse Jenseitsgläubigkeit zeigt, auch wenn das nicht unbedingt nach katholischen oder evangelischen Regeln erfolgt. Wir wissen mittlerweile, dass sich Menschen ihre Religiosität oder Spiritualität je nach Bedürfnis- oder Gefühlslage zusammenbasteln. In Form von Collagen zum Beispiel. Gerade im Umgang mit der Trauer brauchen Menschen diesen Halt.
DOMRADIO.DE: Sie haben 2007 zu dem Thema ein Buch veröffentlicht: 'Unfallkreuze - Trauerorte am Straßenrand'. Wie präsent ist dieses Thema noch für Sie?
Aka: Jedes Jahr gibt es gewisse Phasen, in denen das Buch wieder präsenter wird. Oft wenn es um die Toten-Gedenktage geht. Vor allem und natürlich fahr auch ich immer wieder an Unfallkreuzen vorbei, die ich auch damals während meiner Forschung besucht habe. Dann erinnere ich mich immer daran, wie das damals war, als ich den Kontakt zu den Angehörigen hatte. So kann ich mich bei jedem einzelnen Kreuz bis heute wieder rein fühlen.
Das Interview führte Carsten Döpp.