Günter Winands lebt in einer von Auflösungsplänen betroffenen Pfarrei im rheinischen Bornheim, das zum Erzbistum Köln gehört. Erzbischof Rainer Maria Woelki hatte im Herbst vergangenen Jahres entschieden, dass die 514 katholischen Pfarreien der Erzdiözese wegen der rückläufigen Zahl von Priestern, Gläubigen und Finanzen zu weit unter 100 Großpfarreien zusammengelegt werden sollen.
Reform der Pfarreien im Erzbistum Köln
Ausgangspunkt dafür sind bereits gebildete 67 Pastorale Einheiten, die aus mehreren Pfarreien oder Pfarreiengemeinschaften bestehen und für die jeweils ein Leitender Pfarrer Verantwortung trägt. Nach dem Willen Kardinal Woelkis sollen alle Pastoralen Einheiten bis Ende 2032 zu einer Pfarrei fusioniert werden.
Als kleinere Variante besteht die Möglichkeit, dass nicht sämtliche Pfarreien einer Pastoralen Einheit zu einer Pfarrei fusionieren, sondern es in einer Einheit zwei oder drei Zusammenschlüsse zu Pfarreien gibt, die dann aber rechtlich untereinander einen Kirchengemeindeverband bilden.
Große Veränderungen im Bistum Aachen
Noch ehrgeiziger als in Köln nehmen sich die Fusionspläne für das von Bischof Helmut Dieser geleitete Bistum Aachen aus. Dort sollen aus den bisher 325 Pfarreien langfristig 8 entstehen – in den Grenzen der jetzigen Regionen.
Bis zum Jahr 2028 sollen in einem ersten Zwischenschritt 44 Pfarreien gebildet werden – entsprechend 44 geplanter Pastoraler Räume. Wann die Zahl 8 Pfarreien erreicht werden soll, ist derzeit offen. Gegen die Fusionen opponiert die Initiative "Kirche Bleibt Hier" – unter anderem in Schreiben an den Vatikan.
Für die in Stuttgart erscheinende juristische Fachzeitschrift "Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter" (10/2024) macht der Jurist und Katholik Winands in einer 18-seitigen Abhandlung hinter solche Pläne ein großes Fragezeichen. Zwar stehe es nach Canon 515 Paragraf 2 des allgemeinen Kirchenrechts (CIC) dem Diözesanbischof zu, Pfarreien als einen untersten kirchenrechtlich selbstständigen kirchlichen Teilverband zu errichten, aufzuheben oder zu verändern.
Grenzen der Gestaltungsmacht
Doch aus weiteren kanonischen Bestimmungen und einschlägigen vatikanischen Dekreten sowie apostolischen Schreiben ergäben sich Grenzen der bischöflichen Gestaltungsmacht.
Dazu gehöre insbesondere die 2020 veröffentlichte Instruktion des Klerus-Dikasteriums ("Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche"). Diese sei erlassen worden als Reaktion auf das von Rom gestoppte "Mega-Fusionsprojekt der Diözese Trier", die aus rund 850 Pfarreien 35 "Pfarreien der Zukunft" machen wollte.
Die Instruktion von 2020 als bindende Ausführungsbestimmung gibt Winands zufolge vor, dass eine Zusammenlegung von Pfarreien mit aufhebender Wirkung legitim sei, wenn die Gründe mit der betroffenen Pfarrei "in direkter und organischer Weise in Verbindung stehen".
Jurist Winands kritisiert Modell des Erzbistums Köln
Überlegungen allgemeiner, theoretischer und prinzipieller Art wie der bloße Mangel an Klerikern oder knapper werdende Haushaltsmittel seien dagegen keine angemessenen Gründe. "Die Instruktion schränkt also die kanonisch rechtmäßige Aufhebung einer Pfarrei auf Fälle ein, in denen der Grund der Aufhebung unmittelbar und dauerhaft in der Pfarrei selbst festzumachen ist", so Winands.
Zudem verlange die kirchliche Rechtsprechung, dass eine Pfarreiauflösung nur die letzte Wahl sein solle und andere Abhilfemaßnahmen zumindest in Betracht gezogen oder ausgeschlossen worden seien. "Dies verlangt eine sorgfältige und nicht schematische Prüfung in jedem Einzelfall, ob eine derzeit bestehende Pfarrei die ihr nach kanonischem Recht obliegenden Aufgaben tatsächlich auch angemessen wahrnehmen kann oder nicht."
Aus Winands Sicht lässt Woelkis Fusionsmodell "keinerlei Spielräume zum Erhalt auch nur einer einzigen Pfarrei". Es würden "am grünen Tisch" unterschiedslos alle Pfarreien dem Untergang preisgegeben, selbst wenn sie ein funktionierendes Gemeindeleben aufwiesen. Dies sei "das absolute Gegenteil der nach kanonischem Recht vorgeschriebenen Einzelfallbetrachtung und überschreitet angesichts grob fehlerhafter und sachwidriger Rechtsfindung die Schwelle zur Willkür".
Dabei habe der Kölner Diözesanpastoralrat, Woelkis zentrales Beratungsgremiums in Fragen der Seelsorge, vorgeschlagen, die jeweilige örtliche pastorale Situation zu betrachten und auf dieser Grundlage zu entscheiden. Das Gremium habe mit einer deutlichen Mehrheit für das Modell eines "dynamischen Sendungsraums" votiert, wonach individuell über die Bildung einer zentralen Pfarrei in einer Pastoralen Einheit entschieden werden solle oder die derzeit 177 Seelsorgebereiche zu Kirchengemeindeverbände aus mehreren Pfarreien ausgebaut werden.
"Die heutigen Pfarreien sollten nach diesem Modell so lange bestehen bleiben, wie sie lebensfähig und vor Ort gewollt sind", so Winands. Der Erzbischof habe dieses Modell aber ohne wirklich inhaltliche Begründung verworfen. Stattdessen sei er der Einschätzung des für die Finanzen zuständigen Kirchensteuer- und Wirtschaftsrates gefolgt.
Jurist befürchtet Traditions- und Vertrauensbruch
Der Jurist kritisiert, den Gemeinden vor Ort werde gezielt der nach staatlichem Recht gewährte Status als "Körperschaft des öffentlichen Rechts" genommen, die bisherigen gemeindlichen Kirchenvorstände sollten aufgelöst werden. Dadurch werde das bisherige Pfarrvermögen der örtlichen Verfügungsgewalt entzogen. "Die Gläubigen und nicht zuletzt hierbei die ehrenamtlich vor Ort Engagierten mutieren zu
Antrags- und Bittstellern in überdimensionierten Großpfarreien, deren Verantwortliche in den Gremien mit den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten nur bedingt vertraut sein können und auch eine geringere Bindung hierzu haben." Gerade in ländlichen Pfarrgemeinden, die in der Vergangenheit das Rückgrat der katholischen Kirche bildeten, drohe ein irreparabler Traditions- und Vertrauensbruch.
Winands wirft die Frage auf, ob ein solcher "unnachsichtiger Kahlschlag" mit kirchlichem Recht vereinbar sei. Denn das Direktorium "Apostolorum Successores" für den Hirtendienst der Bischöfe, ein bindendes Ausführungsdekret, gebe eine Organisation der Pfarreistruktur vor, damit die Gläubigen eine wirkliche kirchliche Gemeinschaft bilden könnten und den Hirten eine persönliche Kenntnis der Gläubigen möglich sei. "Die Ermöglichung oder die Förderung der Hirtensorge ist also das ausschlaggebende Kriterium; Aspekte der Verwaltung hingegen können keine Grundlage für Strukturveränderungen bieten", betont Winands.
Möglichkeit des Beschwerdeverfahrens
Der Rechtsexperte wendet sich auch gegen den Versuch mehrerer Bistümer, die Gemeinde vor Ort als eine Basisorganisation unterhalb der Pfarrei neu zu erfinden. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sei die Pfarrei die unterste verfassungsrechtliche Organisationsform einer Diözese. Winands: "Die Pfarreiinstruktion wie alle anderen einschlägigen vatikanischen Dokumente halten universalkirchlich eindeutig an der hergebrachten Gleichsetzung von Pfarrei und Gemeinde fest."
Gegen die geplanten Fusionen gibt es Winands zufolge nach kanonischem Recht ein Beschwerdeverfahren. Dabei handele es sich um ein innerkirchliches Verwaltungs- und nicht Gerichtsverfahren. Beschwerdeführer können juristische Personen wie der Kirchenvorstand oder natürliche Personen wie einzelne Gläubige oder Gruppen von Pfarreimitgliedern sein. Ihre Beschwerde über eine Pfarreiänderung müssen sie zunächst an den Diözesanbischof richten.
Wenn dieser das beanstandete Dekret nicht zurücknimmt oder im Interesse des Beschwerdeführers ändert, bestehe die Möglichkeit, sich an das römische Dikasterium für den Klerus zu wenden. Sollte dieses das Dekret aus Sicht des Beschwerdeführers nicht ausreichend abändern, kann laut Winands ein verwaltungsgerichtliches Verfahren bei der Apostolischen Signatur als oberstem Gericht der katholischen Kirche angestrengt werden.
Eine Diözese hat laut Winands einen Rechtsanspruch darauf, dass der Staat ihre Auflösungs- und Fusionsentscheidungen anerkennt. Im Falle einer Beschwerde in Rom sei aber staatlicherseits zu erwarten, dass damit bis zur Entscheidung des römischen Dikasteriums für den Klerus gewartet werde. "Dies gilt insbesondere, wenn der Kirchenvorstand der zur Auflösung anstehenden Pfarrei die Beschwerde einlegt, zeigt dies doch, dass nicht nur einzelne Gemeindemitglieder, sondern eine gesamte christliche Gemeinschaft vor Ort die Auflösung ihrer Pfarrei ablehnt", so Winands.