Die Zahl der orthodoxen Christen in Deutschland wächst und wächst

Schwierig zu erfassen

Die religiöse Landkarte Deutschlands hat sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend gewandelt. Während die beiden großen christlichen Kirchen auf dem Rückzug sind, wächst die kleine orthodoxe Minderheit stark an

Autor/in:
Nikolaj Thon
Jesus-Pantokrator-Darstellung in der Kuppel der orthodoxen Kirche über dem Jakobsbrunnen in Nablus, Palästina / © Harald Oppitz (KNA)
Jesus-Pantokrator-Darstellung in der Kuppel der orthodoxen Kirche über dem Jakobsbrunnen in Nablus, Palästina / © Harald Oppitz ( KNA )

Laut dem Religionsmonitor 2023 der Bertelsmann Stiftung sind nur noch die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen Christen. Von diesen gehören 44,6 Prozent der katholischen und 34,7 Prozent den evangelischen Kirchen an. Doch der Anteil 3,7 Prozent orthodoxer Christen wächst stark. 

Allerdings sind genaue Zahlen nicht ganz leicht zu erheben; Nennungen schwanken.  Bei Gründung der Kommission der Orthodoxen Kirche in Deutschland (KOKID) 1994 ging man lediglich gut einer halben Million orthodoxer Gläubiger aus, drei Viertel von ihnen Griechen. 

Fragment eines apokalyptischen Freskos in der orthodoxen Kathedrale der Geburt der Jungfraun Maria im rumänischen Gura Humorului / © Adriana Iacob (shutterstock)
Fragment eines apokalyptischen Freskos in der orthodoxen Kathedrale der Geburt der Jungfraun Maria im rumänischen Gura Humorului / © Adriana Iacob ( shutterstock )

2010 hieß es dann in einer KNA-Meldung zur Gründung einer Orthodoxen Bischofskonferenz, diese "repräsentiert rund 1,5 Millionen orthodoxe Christen verschiedener Herkunft in Deutschland." Zu Weihnachten 2022 nannte der Deutschlandfunk die Zahl von "rund drei Millionen" orthodoxer Christen, die EKD bezifferte etwa zum gleichen Zeitpunkt knapp 3,9 Millionen. 

Die Deutsche Welle zitierte im Juli 2024 den griechisch-orthodoxen Vikarbischof Emmanuel (Sfiatkos) von Christoupolis mit der Zahl von vier Millionen.  Eine den Statistiken anderer Kirchen vergleichbar zuverlässige Erhebung der Zahl orthodoxer Christen kann es nicht geben, weil die Meldebehörden im Regelfall nur kirchensteuerpflichtige Religionsgemeinschaften erfassen. 

Als "Sonstige" erfasst

Alle übrigen Religionsgemeinschaften - also auch die Orthodoxen - werden ohne weitere Spezifikation unter "Sonstige" zusammengefasst.  Keines der orthodoxen Bistümer - auch nicht jene, die als Körperschaften des öffentlichen Rechtes grundsätzlich dazu das Recht hätten - ist gewillt, nach deutschem Modell Kirchensteuern erheben zu lassen. 

Denn nach übereinstimmender Meinung aller Diözesanbischöfe wäre dies nicht nur für die Gläubigen völlig ungewohnt. Die Kirchensteuer als eine Art staatlich eingezogener Zwangsmitgliedsabgabe widerspräche zudem orthodoxer theologischer und pastoraler Praxis.  Nur gelegentlich gibt es verlässliche Angaben zu Teilbereichen. 

Aufschlussreiches Zahlenmaterial enthält etwa die Statistik "Das Schulwesen in Nordrhein-Westfalen aus quantitativer Sicht", alljährlich publiziert vom Düsseldorfer Ministerium für Schule und Bildung. Danach betrug die Zahl orthodoxer Schüler im Schuljahr 2010/11 noch 24.966, im Schuljahr 2023/24 hingegen schon 78.562.  

Ungefähre Zahlen aus Bayern

Annäherungsweise kann auch eine Statistik aus Bayern herangezogen werden, wo Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit Status einer KdöR staatliche Zuschüsse unter Angabe der Mitgliederzahlen beantragen können. 

Für die Griechisch-Orthodoxe Metropolie wurde die Mitgliederzahl 2022 von 64.100 Bekenntnisangehörigen akzeptiert, für die Russische Auslandskirche 5.000 und die Rumänische Orthodoxe Kirche 80.000. Das heißt, in Bayern gab es (2023) 149.100 anerkannte Orthodoxe, ein Anteil von 1,1 Prozent der Bevölkerung.  

Schwachstelle dieser staatlichen Angaben ist, dass sie bei weitem nicht alle Orthodoxen erfassen, sondern zumeist nur jene in Körperschaften des öffentlichen Rechts (und auch da nicht alle). 

Der Seher Johannes auf der Insel Patmos - Fresco-Darstellung in einer orthodoxen Kirche auf Patmos / © Theastock (shutterstock)
Der Seher Johannes auf der Insel Patmos - Fresco-Darstellung in einer orthodoxen Kirche auf Patmos / © Theastock ( shutterstock )

Die recht große Gruppe der Serben etwa bleibt außen vor. Ein hinreichend realistisches Gesamtbild lässt sich eher gewinnen, indem man davon ausgeht, dass der deutlich überwiegende Teil der Orthodoxen in Deutschland ausländische Staatsbürger sind. Über deren Zahl gibt es genaue Erfassungen des Statistischen Bundesamtes. 

Zudem ist davon auszugehen, dass der Anteil der Orthodoxen unter den in Deutschland lebenden Migranten im Regelfall in etwa der gleiche sein dürfte wie in den jeweiligen Heimatländern. 

Zahlreiche Orthodoxe mit deutschem Pass

Zu diesen ausländischen Staatsbürgern orthodoxen Glaubens kommt allerdings inzwischen eine stetig zunehmende Zahl von Menschen, die zwar einen Migrationshintergrund besitzen, sich aber für die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft entschieden haben - und damit in keiner nutzbaren Statistik, vor allem im AZR, mehr auftauchen. 

Eine entsprechender Artikel in der Wikipedia behauptet sogar - leider ohne Quellennachweis - "408.000 der Orthodoxen besitzen einen deutschen Pass. Eine hier nennenswerte Gruppe sind deutschstämmige Spätaussiedler besonders aus der ehemaligen Sowjetunion und aus Rumänien, die zwischen 1990 und etwa 2005 nach Deutschland gekommen sind.  

In den letzten Jahren der Aussiedleraufnahme erfasste das Bundesamt für Migration auch "orthodox" als eigene Konfession. Die Zahl variierte über die Jahre leicht, ist aber insgesamt bei rund 13 Prozent anzunehmen. 

Bei einer Gesamtzahl von 2,5 bis 3 Millionen Übersiedlern allein aus dem ehemals sowjetischen Bereich ergäbe das etwa 200.000 bis 300.000 Orthodoxe, die jetzt fast alle einen deutschen Pass besitzen.  

Die meisten der im Regelfall nach Ländern bzw. Nationen organisierten autokephalen orthodoxen Kirchen haben der Migration Rechnung getragen und entsprechend Auslandsbistümer in Deutschland errichtet. Inzwischen haben insgesamt elf Diözesen (von acht autokephalen Kirchen) Gemeinden in Deutschland. 

Damit lassen sich folgende Gesamtzahlen von orthodoxer Gläubiger mit ausländischer wie deutscher Staatsangehörigkeit annehmen:  

- Ökumenisches Patriarchat 

- Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland, Exarchat von Zentraleuropa (KdöR): rund 470.00,  

- Antiochenische Orthodoxe Metropolie für Deutschland und Mitteleuropa (KdöR): rund 106.000  - in den drei Diözesen der Russischen Orthodoxen Kirche (Diözese von Berlin und Deutschland der Russischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (KdöR), Russische Orthodoxe Kirche im Ausland 

- Russische Orthodoxe Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland (KdöR) und das Erzbistum der Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa): 498.500  

- Serbische Orthodoxe Kirche - Diözese von Düsseldorf und Deutschland: rund 410.000  

- Rumänische Orthodoxe Kirche 

- Metropolie für Deutschland, Zentral- und Nordeuropa (KdöR): rund 904.000  

- Bulgarische Orthodoxe Kirche - Bulgarische Diözese von West- und Mitteleuropa: rund 424.000  

- Georgische Orthodoxe Kirche - Diözese für Deutschland und Österreich: rund 29.800  

- Makedonische Orthodoxe Kirche- Erzbistum Ohrid - bis zu 100.000 Gläubige  

Einige kircheneigene Schätzungen liegen deutlich höher als die hier errechneten Zahlen. So vermutet Metropolit Grigorije von Düsseldorf und Deutschland, dass derzeit "rund 850.000 serbische orthodoxe Christen in Deutschland leben". Auch die Rumänische Metropolie schätzt ihre Gläubigenzahl auf etwa anderthalb Millionen.  

Ukrainer als signifikante Größe

Wenn auch manche Zahlen nicht ganz abgesichert sind, so kann man derzeit von gut drei Millionen Orthodoxen mit festem Wohnsitz in Deutschland ausgehen. Hinzuzurechnen sind Ukrainer, die seit Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 in Deutschland als Flüchtlinge registriert wurden. 

Im August 2024 lebten laut Ausländerzentralregister rund 1,3 Millionen ukrainische Staatsangehörige in Deutschland, davon etwa 70 Prozent Orthodoxe der verschiedenen Jurisdiktionen.  

Während die Zahl der Gläubigen also nicht genau ermittelt werden kann, lässt sich jene der Gemeinden exakt angeben: Genau 540 orthodoxe Gemeinden gibt es derzeit (Stand Oktober 2024) in ganz Deutschland. Die Diözese mit den meisten Pfarreien ist die Rumänische Metropolie mit 170 Gemeinden in der Bundesrepublik. 

Innenraum einer griechisch-katholischen Kirche in Lviv, Ukraine / © ANDRIY B (shutterstock)
Innenraum einer griechisch-katholischen Kirche in Lviv, Ukraine / © ANDRIY B ( shutterstock )

190 gehören zwar zur Russischen Orthodoxen Kirche, verteilen sich allerdings auf deren drei Diözesen. Gewissermaßen "im Mittelfeld" liegt die Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland des Ökumenischen Patriarchats mit 65 Gemeinden. 

Deutlich kleiner ist die Gemeindezahl der meisten anderen orthodoxen Diözesen in Deutschland: die zuletzt deutlich gewachsene Ukrainische Orthodoxe Eparchie von Westeuropa mit 30, die Antiochenisch-Orthodoxe Metropolie mit 28 und die serbisch-orthodoxe Diözese von Düsseldorf und Deutschland mit 27 Gemeinden. 

14 Gemeinden in Deutschland gehören der Makedonischen Orthodoxen Kirche / Erzbistum Ohrid in ihrer Diözese für Europa an, elf der Bulgarischen Diözese von West- und Mitteleuropa und fünf der Georgischen Orthodoxen Diözese für Deutschland und Österreich.  

Unklare kirchliche Einordnung

Allerdings werden in einigen Diözesen Filialgemeinden als solche nicht eigens gezählt, in anderen sehr wohl, sofern sie eine eigene feste Gottesdienststätte haben, auch wenn diese von Geistlichen einer anderen Gemeinde mitbetreut wird.

Deutschlandweit sind orthodoxe Gemeinden recht gleichmäßig verteilt, wenn auch mit deutlichen Schwerpunkten in Großstädten wie Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart. Die stärkste Konzentration orthodoxer Gemeinden findet sich in Berlin und in München.  

Nicht erfasst sind in der obigen Aufstellung Gemeinden der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK), die sich im Mai 2022 unter Metropolit Onufrij als vom Moskauer Patriarchat selbstständig erklärt und seitdem zahlreiche eigene Gemeinden im Ausland errichtet hat, vermutlich gut 50 in Deutschland. Allerdings schwanken Angaben stark und sind unzuverlässig. 

Auch ist ihre kirchliche Einordnung unklar: Vom Patriarchat Konstantinopel wird die UOK als unkanonisch angesehen, von Moskau wurde zwar auf Disziplinarmaßnahmen verzichtet, die selbstproklamierte Eigenständigkeit aber auch nicht anerkannt. Entsprechend sind die UOK-Gemeinden in Deutschland nicht in panorthodoxe Strukturen integriert.

Orthodoxe Kirche

Als orthodoxe Kirche wird die aus dem byzantinischen (Oströmischen) Reich hervorgegangene Kirchenfamilie bezeichnet. Sie besteht je nach Standpunkt aus 14 beziehungsweise 15 selbstständigen ("autokephalen") Landeskirchen. "Orthodox" ist griechisch und bedeutet "rechtgläubig". Trotz großer nationaler Unterschiede und innerer Konflikte versteht sich die Orthodoxie in Bekenntnis und Liturgie als eine einzige Kirche. Ehrenoberhaupt ist der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I. (84).

Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus (shutterstock)
Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus ( shutterstock )
Quelle:
KNA