Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen am Dienstag fordern Experten und Interessenvertreter in vielen Bereichen Verbesserungen für mehr gleichberechtigte Teilhabe. Sie kritisieren, dass Deutschland 15 Jahre nach Annahme der UN-Behindertenrechtskonvention diese immer noch nicht vollständig umgesetzt habe. Am 3. Dezember wird jährlich der Internationale Tag für Menschen mit Behinderungen begangen.
Am Montag legte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Berlin derweil einen Aktionsplan für ein barrierefreies Gesundheitswesen vor. Damit sollen etwa Arztpraxen für Menschen mit Behinderungen besser zugänglich werden. Es gelte, so der Minister, Hindernisse zu erkennen und abzubauen - wie etwa Stufen auf dem Weg in die Praxis oder komplizierte Erklärungen einer Therapie.
Behindertenrat hätte sich mehr gewünscht
Der Bundesbehindertenbeauftragte Jürgen Dusel lobte den Plan, da es noch erhebliche Benachteiligungen im Gesundheitssystem gebe. Er rief die künftige Bundesregierung dazu auf, das Vorhaben zu übernehmen und fortzuführen. Die Sprecherin des Deutschen Behindertenrats, Verena Bentele, sagte, der Behindertenrat hätte sich mehr konkrete und auch kurzfristig umsetzbare, verpflichtende Maßnahmen gewünscht. Es handele sich jedoch um einen ersten und wichtigen Schritt.
Dusel selbst will sich zusammen mit dem Deutschen Kulturrat zudem dafür einsetzen, dass Menschen mit Behinderungen selbstverständlich an Kulturveranstaltungen teilnehmen oder selbst einen künstlerischen Beruf ausüben können. Dazu wollten sie am Montagabend Empfehlungen an Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) übergeben. Behindertenverbände fordern seit Jahren, dass eine Barrierefreiheit auch für private Kulturanbieter oder für Arztpraxen gesetzlich verankert wird.
Experten mahnen Gesetze an
Noch immer hinderten zahlreiche Barrieren die rund 13 Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland an der selbstbestimmten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, kritisierte auch das Deutsche Institut für Menschenrechte. Sollten Vorhaben wie die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes, das Gesetz zur Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe sowie die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vor der geplanten Bundestagswahl im Februar nicht mehr abgeschlossen werden, müssten sie von einer neuen Bundesregierung prioritär umgesetzt werden, forderten die Experten.
Noch vor der Wahl sollte der Bundestag Menschen mit Behinderungen, die Opfer von NS-Euthanasie und Zwangssterilisierung wurden, offiziell als Verfolgte des Nazi-Regimes anerkennen, so das Institut. Auch der vorliegende interfraktionelle Antrag zur Überwachung von Bluttests, mit denen ein Down-Syndrom in der Schwangerschaft erkannt werden kann, sollte noch verabschiedet werden. Die Lebenshilfe forderte, einen inklusiven Arbeitsmarkt voranzubringen und endlich die Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit zu verpflichten.
Einrichtungen fehlen Fachkräfte
Die Diakonie und der Evangelische Bundesfachverband für Teilhabe warnten unterdessen vor den Folgen des anhaltenden Fachkräftemangels für die Arbeit in Einrichtungen und Diensten für Menschen mit Behinderung. In einer Umfrage hätten 60 Prozent der Mitglieder des Fachverbands angegeben, dass bei ihnen Fachkräftestellen mehr als sechs Monate unbesetzt blieben. Dies führe dazu, dass Angebote zurückgefahren werden müssten, und gefährde auch die Versorgungssicherheit. Angehörige suchten oftmals monatelang nach freien Plätzen für Menschen mit intensivem Assistenzbedarf.
Der katholische Weihbischof Reinhard Hauke rief anlässlich des Internationalen Tages dazu auf, für die Würde aller Menschen einzutreten. "Die Menschenwürde kommt Menschen mit Behinderungen ebenso zu wie Menschen ohne Behinderungen", sagte der Inklusionsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz. Wo Menschen mit Behinderungen benachteiligt und diskriminiert würden, widerspreche das dem christlichen Auftrag und gesellschaftlichen Werten, so Hauke.