Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn war der einzige Bischof, der sich 2010 während der Anfänge des Missbrauchsskandals persönlich bei Klaus Mertes gemeldet hat.
Das sagte der Jesuit, der damals den Missbrauchsskandal am katholischen Canisius-Kolleg in Berlin aufgedeckt hatte, im Interview mit der österreichischen Presseagentur Kathpress (Freitag). "Schönborn hat mir damals sehr geholfen", erklärte Mertes wörtlich. "Ich war in der Deutschen Bischofskonferenz der Buhmann, und insofern hat mir das gutgetan."
Mertes würdigte Schönborns Verdienste um die Missbrauchs-Aufarbeitung. Er sagte, Ähnliches sei zu dieser Zeit in Deutschland undenkbar gewesen. Österreich sei hier für ihn als Vorbild sehr hilfreich gewesen. Inzwischen hätten sich die Dinge auch in der Deutschen Bischofskonferenz verändert. Eine neue Generation von Bischöfen sei am Ruder, "aber es ist nach wie vor eine Wunde".
"In die Gesellschaft hineinwirken"
Mertes betonte, von Missbrauch Betroffene müssten wissen, dass das, was ihnen widerfahren ist, von der Institution gesehen und anerkannt werde. Deshalb brauche es eine unabhängige Aufarbeitung. Für Gerechtigkeit - "im weitesten Sinne" seien Hilfszahlungen oder Schmerzensgelder erforderlich. Wobei laut Mertes davon auszugehen ist, "dass es nicht in allen Fällen zu Frieden führen wird und kann.
Der Schaden kann ja letztlich nicht über materielle Wiedergutmachung gut gemacht werden". Außerdem sei umfassende Präventionsarbeit nötig.
Gerade auch, weil der Missbrauch bei weitem nicht nur ein kirchliches Problem ist, habe die Kirche eine besondere Verantwortung, zeigte sich Mertes überzeugt: "Die Kirche muss bei sich selbst anfangen und dadurch in die Gesellschaft hineinwirken." Er sei in den vergangenen Jahren etwa oft von Jugendämtern, Jugendpsychiatrie, Psychologen, Therapeuten, Kliniken, einschlägigen Verbänden oder Schulen als Experte angefragt worden. Mertes: "Je intensiver und glaubwürdiger sich die Kirche des Themas annimmt, umso größer ist auch die Wirkung nach außen."
Erklärung gegen AfD
Mertes begrüßte auch die Erklärung der deutschen Bischöfe vom Februar 2024, in der diese jeder Form von völkischem Nationalismus eine Absage erteilt hatten. Dieser sei unvereinbar mit dem christlichen
Gottes- und Menschenbild. Insbesondere in der AfD dominiere "nach mehreren Radikalisierungsschüben" inzwischen eine "völkisch-nationalistische Gesinnung". Mertes: "Die eigentliche Vision der Kirche ist ja, eine Kirche aus allen Völkern zu sein und eben nicht ein homogenes kulturelles Gebilde." Wenn den Bischöfen der Vorwurf gemacht werde, dass ihre Erklärung zu einer Spaltung führe, dann müsse er sagen: "Manche Spaltung ist in Kauf zu nehmen, um Positionen zu klären."