Großneffe bezeichnet neuen Bonhoeffer-Film als problematisch

"Bonhoeffer zum Abgewöhnen"

Nach Debatten um rechtsevangelikale Vereinnahmungsversuche hatte die neue Bonhoeffer-Verfilmung in den USA kaum Erfolg. Dietrichs Bonhoeffers Großneffe Tobias Korenke bedauert, dass der Film nun auch in Deutschland angelaufen ist.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Jonas Dassler als Dietrich Bonhoeffer in einer Szene des Films "Bonhoeffer" / © Kinostar (dpa)
Jonas Dassler als Dietrich Bonhoeffer in einer Szene des Films "Bonhoeffer" / © Kinostar ( (Link ist extern)dpa )

Mutter und Vater spielen eine wichtige Rolle, der ältere Bruder Walter, die Zwillingsschwester Sabine, der spätere Weggefährte Martin Niemöller. 

Wer dagegen im Biopic "Bonhoeffer" des US-amerikanischen Regisseurs Todd Komarnicki gar nicht vorkommt, ist Dietrich Bonhoeffers Verlobte Maria von Wedemeyer, an die der von den Nazis ermordete Theologe auch seine berühmten Zeilen "Von guten Mächten wunderbar geborgen" richtete. Dabei hätte sich die bewegende Liebesgeschichte, die sich zwangsläufig vor allem in aus der Gestapo-Haft geschriebenen Briefen ausdrückte, als Stoff doch geradezu aufgedrängt für das ansonsten so gefühlig daherkommende Drama, meint einer der Großneffen Bonhoeffers, der Historiker und Publizist Tobias Korenke. 

Dietrich Bonhoeffer / © Gütersloher Verlagshaus (epd)

Warum Komarnicki seinem Publikum die geliebte Frau unterschlägt, liegt für Korenke auf der Hand: Sie passe einfach nicht zum Bild, das der Film ansonsten von Bonhoeffer zeichne, nämlich dem eines evangelischen Heiligen, der immer wieder christus-ähnlich inszeniert werde. Komarnickis Erklärung, er habe "einfach keinen Gefängnisfilm" machen wollen und überhaupt sei Maria erst sehr spät in Bonhoeffers Leben getreten, überzeugt Korenke nicht.  

Offener Brief gegen Vereinnahmung Bonhoeffers

Dass der Film nach seinem Start in den USA im vergangenen Herbst in Deutschland überhaupt einen Verleiher gefunden hat und jetzt auch hier in den Kinos anläuft, ärgert nicht nur Korenke. Im Oktober 2024 hatte er sich gemeinsam mit über 80 weiteren Nachfahren Bonhoeffers in einem (Link ist extern)Offenen Brief gegen die Vereinnahmung des berühmten Theologen durch rechtsextreme Kräfte in den USA gewandt und in diesem Zusammenhang auch den Film und besonders das Marketing durch die rechts-evangelikalen Angel Studios kritisiert. Diese hatten den deutschen Hauptdarsteller Jonas Dassler mit einer Waffe in der Hand aufs Filmplakat drucken lassen und mit dem Slogan geworben "How far will you go to stand up for what's right? - "Wie weit wirst du gehen für das, was richtig ist?"

Diese aggressive Vermarktungsstrategie, so Tobias Korenke, stelle die geschichtliche Wahrheit auf den Kopf, ebenso wie der reißerische Titel "Bonhoeffer. Pastor. Spy. Assasin" – Bonhoeffer. Pastor. Spion. Attentäter". Sein Großonkel habe vermutlich nie selbst eine Waffe in der Hand gehabt; ihn als Attentäter zu bezeichnen sei schlicht wahnwitzig. Besonders stoßen ihm die falschen Analogien auf, die rechtsextreme und nationalistische Evangelikale seit einiger Zeit rund um die Figur Bonhoeffers konstruiert und besonders im letzten US-Wahlkampf angeführt haben. "Sie haben so getan, als ob man heute gegen Leute wie die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris oder Ex-Präsident Joe Biden genauso Widerstand leisten muss, wie damals Bonhoeffer gegen Hitler Widerstand geleistet hat." 

Mit ihrem Protest gegen diese "atemberaubende Verdrehung der historischen Realität" haben Korenke und die anderen Bonhoeffer-Nachkommen genauso wie eine Reihe deutscher und US-amerikanischer Theologen in einem weiteren (Link ist extern)Offenen Brief durchaus Echo gefunden.

In den USA wurde der Streifen am Ende ein Flop

Hollywood-Regisseur Komarnicki etwa beeilte sich in diversen Interviews zu betonen, sein Film habe nichts, aber auch gar nichts mit rechtsextremen oder nationalistischen Interessen zu tun; nichts liege ihm ferner. Er verstehe die Einwände der Familie Bonhoeffer etwa gegen das Pistolen-Plakat, habe aber aufs Marketing keinen Einfluss gehabt. Auch die deutschen Schauspieler – darunter bekannte Namen wie Jonas Dassler, Moritz Bleibtreu und August Diehl – distanzierten sich öffentlich von jeglicher rechtsextremen Lesart des Films. In den USA wurde der als Blockbuster angelegte Streifen am Ende ein Flop, spielte deutlich weniger als erwartet ein.

Jonas Dassler als Dietrich Bonhoeffer in einer Szene des Films "Bonhoeffer" / © Kinostar (dpa)
Jonas Dassler als Dietrich Bonhoeffer in einer Szene des Films "Bonhoeffer" / © Kinostar ( (Link ist extern)dpa )

Der deutsche Verleih Kinostar hat zum Start hierzulande das Framing des Films komplett geändert; die Pistole ist vom Plakat verschwunden, der Titel auf ein schlichtes "Bonhoeffer" geschrumpft. Auf seiner (Link ist extern)Website weist Kinostar zudem darauf hin, der Film sei fälschlicherweise mit dem rechtsnationalen Bonhoeffer-Biografen Eric Metaxas in Verbindung gebracht worden, weder Drehbuch noch Film hätten irgendetwas damit zu tun. "Der Regisseur Todd Komarnicki hat einen Film gedreht, der der sich entschieden für den Kampf gegen rechtes Gedankengut ausspricht", heißt es dort weiter. 

Viele historische Ungenauigkeiten und Fehler

Tatsächlich sei der Film "lange nicht so schlimm", wie das Marketing zunächst habe befürchten lassen, meint Bonhoeffers Großneffe Tobias Korenke. Trotzdem wertet er die Distanzierungsbemühungen des Regisseurs als eher opportunistisch. Dessen Aussage, er habe "eben seinen Bonhoeffer" machen wollen, findet Korenke jedenfalls höchst problematisch. Der Film zeige so viele historische Ungenauigkeiten und Fehler, dass man sie nicht einfach stehenlassen könne. Als Beispiel führt er die Szene an, in der Bonhoeffers Weggefährte, der evangelische Theologe und führende Vertreter der Bekennenden Kirche, Martin Niemöller, im Film zudem fälschlicherweise als Bischof bezeichnet, von der Kanzler eine flammende Predigt zugunsten der jüdischen Bürgerinnen und Bürger hält; er bezieht sich dabei offenbar auf die Novemberpogrome 1938, die er in klaren Worten verurteilt. Nur die anwesenden SS-Männer verlassen schmollend die Kirche, die restlichen Anwesenden brechen in begeisterten Applaus aus. 

In Wirklichkeit saß Martin Niemöller zu diesem Zeitpunkt längst im KZ; für die Juden hat zu seinem späteren Bedauern niemals öffentlich das Wort ergriffen. Und hätte es tatsächlich solch tosenden Beifall für ein Plädoyer gegen die Judenverfolgung gegeben, wäre den Juden in Deutschland wohl viel erspart geblieben. 

Tobias Korenke sieht darin eine weitere grobe Verdrehung der Fakten, die diejenigen in die Hände spiele, die "gerne die Geschichte Deutschlands umschreiben würden, also das gesamte AfD-Milieu." Indem der Film suggeriere, es habe in weiten Teilen der Bevölkerung und der Kirche Widerstand gegen die Verfolgung der Juden gegeben, leiste er einer Relativierung der NS-Geschichte Vorschub. "Das halte ich für hochproblematisch und gefährlich." 

Dietrich Bonhoeffer (dpa)

Auch aus künstlerischer Sicht findet Korenke "Bonhoeffer" äußerst schwach, nennt ihn einen "Bonhoeffer zum Abgewöhnen". Tatsächlich habe er sich über weite Strecken gelangweilt; auch tauge der Film weder dazu, Wesentliches über den Menschen Bonhoeffer noch über seine Zeit zu verstehen. "Ich fürchte, der Effekt ist genau gegenteilig." Auch bessere Szenen wie die Darstellung des Rassismus gegen Afroamerikaner im New York der 1930er Jahre könnten weder über die vielen Längen hinwegtäuschen noch über die schwülstige Darstellung seiner Protagonisten oder das die Schwelle zum Kitsch immer wieder überschreitende Pathos. 

Dass "Bonhoeffer" jetzt kurz vor dem 80. Jahrestag von dessen Hinrichtung im KZ Flossenbürg (und eben nicht wie im Film in einer an Golgota erinnernden Landschaft) in den deutschen Kinos läuft und das Bild des großen Theologen mitprägen könnte, bereitet ihm und seiner Familie Bauchschmerzen. Sicher könne man an der Vereinnahmungs-Debatte rund um den Film viel über Fake News lernen, dazu allerdings habe es nicht auch noch diesen Film gebraucht. Jetzt bleibt Tobias Korenke zu hoffen, dass Todd Komarnickis "Bonhoeffer" etwa in Schulen nur im Rahmen einer ausführlichen Analyse gezeigt wird und nicht etwa unkommentiert in letzten Religionsstunden vor den Ferien. 

Übrigens wollten weder Tobias Korenke noch andere Nachkommen auf der Premieren-Tour direkt mit Regisseur Komarnicki diskutieren. Sie wollten, erklärt er, dem Film nicht noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen. "Und – ganz ehrlich – ich glaube, viele von uns hatten einfach keine Lust, ihn ein zweites Mal anzugucken. Er ist einfach zu schlecht!" 

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Spielfilm über Dietrich Bonhoeffer in den Kinos

Quelle:
DR

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