DOMRADIO.DE: An Purim feiern Jüdinnen und Juden die Rettung des Volkes Israel vor 2.500 Jahren. Die Heldin ist die Jüdin Esther. Wer war diese Frau?
Mirna Funk (Jüdische Journalistin): Esther war eine Königin, sie war die zweite Frau des persischen Königs Ahasveros. Esther schafft es, den König davon zu überzeugen, dass das jüdische Volk nicht verfolgt und getötet wird. Denn es gibt einen Minister des Königs, Haman, der einen Erlass unterzeichnet, um die Juden in Persien auszurotten. Esther verhindert, dass das passiert.
DOMRADIO.DE: Esther ist also eine starke Frau?
Funk: Ja, Esther ist eine starke und mutige Frau. Der König weiß gar nicht, dass sie Jüdin ist. Sie verheimlicht zunächst ihre Identität als sie zur Königin wird und rettet ihr Volk im Geheimen.
DOMRADIO.DE: Esther rettet ihr Volk. Ist Purim also ein feministisches Fest?
Funk: Es ist ein Fest, das eine Begebenheit feiert, bei der eine Frau eine große Rolle gespielt hat. Ob man das feministisch nennen will oder nicht, ist jedem selbst überlassen. Aber man kann es natürlich tun, wenn man es so interpretiert, dass da eine Frau sehr mutig und stark war – aber letztlich sind das Frauen natürlich immer.
DOMRADIO.DE: Wird dieser Aspekt bei der Feier des Tages und beim dazugehörigen Brauchtum auch entsprechend hervorgehoben?
Funk: Zu Purim ziehen alle Kostüme an und es gibt viele Mädchen, die sich als Esther verkleiden. Das wird vor allem in der Diaspora gemacht, also außerhalb von Israel. In Israel verkleiden sich alle Feiernden auf ganz unterschiedliche Weise. Esther steht eindeutig im Zentrum von Purim. Es ist nicht so, dass etwa ignoriert würde, dass sie das jüdische Volk gerettet hat. Es gibt also schon einen starken Fokus auf Esther und ihre wichtige Rolle – und damit auf eine Frau.
DOMRADIO.DE: Zu Purim gehören das ausgelassene Feiern und das Verkleiden dazu. Oft wird das Fest deshalb mit Karneval und Fasching verglichen. Ist das berechtigt? Oder nervt Sie dieser Vergleich?

Funk: Dieser Vergleich ist eindeutig nicht berechtigt. Es hat viele verschiedene Gründe, warum Purim kein Karneval ist: Erstmal neigen Menschen dazu, ihre eigenen Feste und ihre eigene Religion auf andere zu projizieren. Vielen fällt es ganz schwer auszuhalten, dass es da Unterschiede, Trennungen und überhaupt keine Übereinstimmungen gibt.
Ja, es wird sich verkleidet. Aber wir sprechen auch davon, dass das vor 2.500 Jahren stattgefunden hat. Purim hat seine heutige Feiergestalt irgendwann entwickelt, aber das Fest gibt es schon so viele Jahrhunderte länger als Karneval. Also wenn, dann hat sich der Karneval vielleicht etwas bei sich verkleidenden, fröhlich tanzenden und feiernden Juden abgeguckt.
Beides hat nichts miteinander zu tun. Purim ist ein tiefreligiöses Fest, das sich mit der Tatsache beschäftigt, dass man mal wieder versucht hat, uns Juden auszurotten – und es nicht geschafft hat. Wir feiern und freuen uns begeistert darüber, dass das nicht passiert ist.
DOMRADIO.DE: Wie feiern Sie Purim mit Ihrer Familie und mit Ihrer Tochter?
Funk: Ich lebe mittlerweile hauptsächlich in Tel Aviv, aber ich bin gerade aus beruflichen Gründen in Deutschland. Ich habe berufliche Termine an Purim und werde das Fest dementsprechend nicht feiern. Ich verkleide mich auch nicht gerne. Es ist keins meiner Lieblingsfeste. (lacht)
Das Interview führte Roland Müller.