Autorin Nadège Kusanika thematisiert Migration und Würde

"In der Regel meint es das Leben gut mit einem"

In ihrem Debütroman "Unter derselben Sonne" zeigt Nadège Kusanika ein faszinierendes Land jenseits von Krieg und Korruption. Im Kongo, sagt die 36-Jährige, klammern sich Menschen an Gott, während die Kirche das Land "im Griff hat".

Autor/in:
Joachim Heinz
Eine Hütte an einem Hang in Burhale im Kongo ist von Bäumen und Stauden umgeben / © Harald Oppitz (KNA)
Eine Hütte an einem Hang in Burhale im Kongo ist von Bäumen und Stauden umgeben / © Harald Oppitz ( (Link ist extern)KNA )

KNA: Frau Kusanika, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihre Geschichte in Form eines Romans zu erzählen?

Nadège Kusanika  / © Joachim Heinz (KNA)

Nadège Kusanika (Buchautorin): Ich habe schon immer gerne gelesen. Vor einigen Jahren bin
ich dann auf das Buch "Americanah" von Chimamanda Ngozie Adichie gestoßen. Für mich war das wie eine Offenbarung.

KNA: In dem Roman geht es unter anderem um Liebe, Exil und Rassismus.

Nadège Kusanika

"Ich wollte schreiben wie sie - für die Menschen im Kongo."

Kusanika: Zum ersten Mal hat ein Buch meine Lebenserfahrung wirklich widergespiegelt. In anderen Büchern herrschte stets eine gewisse Distanz zwischen mir und den Protagonisten, weil sie zum Beispiel in wunderschönen Häusern aufgewachsen sind. Chimamanda Ngozie Adichie hat mir einen völlig neuen Blick auf die Literatur eröffnet. Sie stammt ebenfalls aus Afrika, allerdings aus Nigeria. Ich wollte schreiben wie sie - für die Menschen im Kongo.

KNA: Warum ist Ihnen das so wichtig?

Kusanika: Immer wenn man über den Kongo spricht, geht es um düstere Themen: Kolonialismus, Krieg, Korruption undsoweiter. Das, was den Kongo eigentlich ausmacht - die Farbenpracht, die Musik - geht dabei unter. Man denkt immer: Die Kongolesen haben es schwer im Leben. Das mag sein. Aber unter dieser Schwere ist auch eine gewisse Leichtigkeit. Das habe ich in der Literatur vermisst - und das war der Moment, ab dem mir klar war: Ich möchte das aufschreiben.

KNA: Hatten Sie manchmal Angst, dass Sie in Ihrem Buch zu viel von sich selbst preisgeben?

Nadège Kusanika

"Das alles musste durch mich erzählt werden."

Kusanika: Überraschenderweise nein. Das soll jetzt nicht abgehoben klingen. Aber ich habe mich eher als Instrument verstanden, das die Geschichten der Menschen im Kongo wiedergibt, damit die Welt von ihnen erfährt. Ich selbst sehe mich also gar nicht so sehr im Zentrum des Geschehens, sondern denke vielmehr: Das alles musste durch mich erzählt werden.

KNA: Wie hat Ihre Familie reagiert?

Kusanika: Ich hatte kürzlich meine erste Lesung, mein in Deutschland lebender Vater war da, viele andere Kongolesen. Die waren alle sehr ergriffen, weil sie sich plötzlich wahrgenommen fühlten. Ich hoffe, dass es irgendwann einmal eine französische Übersetzung gibt, damit auch meine Mutter im Kongo das Buch lesen kann. Denn sie ist die eigentliche Heldin der Erzählung.

KNA: Was bedeutete es, das Buch auf Deutsch zu schreiben?

Kusanika: Am Anfang dachte ich: Ist es nicht anmaßend, wenn ich als Kongolesin in der Sprache der Dichter und Denker schreibe? Aber mein Umfeld hat mich ermutigt, nicht weiter darüber nachzudenken. Deutsch, das ist wie mit Legosteinen zu spielen. Wenn man einmal begriffen hat, wie es funktioniert, dann kann man die Wörter auseinandernehmen, neu zusammenbauen und kreativ werden. Ein großer Spaß!

Nadège Kusanika

"Der Kongo schmeckt intensiv nach Gewürzen, Zwiebel, Knoblauch, Ingwer..." 

KNA: Im Buch ist - neben Musik - viel von der kongolesischen Küche die Rede. Wonach schmeckt der Kongo?

Kusanika: Der Kongo schmeckt intensiv nach Gewürzen, Zwiebel, Knoblauch, Ingwer... Den Deutschen reicht Salz und Pfeffer - das würde ein Kongolese niemals verstehen! Der würde den Deutschen beiseite nehmen und ihm sagen: "Wir dachten, Kolumbus ist extra um die Welt gereist, um Europa den Zugang zu Gewürzen zu verschaffen. Und Du kommst hier nur mit Salz und Pfeffer, ernsthaft?!"

KNA: Der Titel Ihres Buches lautet «Unter derselben Sonne». Die Menschheit lebt in der Tat unter derselben Sonne. Aber während wir in Deutschland alles im Überfluss haben, kämpfen viele Kongolesen jeden Tag ums Überleben. Kann es sein, dass die Sonne für einige heller und länger strahlt?

Kusanika: Ja - das ist so. In Deutschland steht in Artikel eins des Grundgesetzes: «Die Würde des Menschen ist unantastbar.» Der Sozialstaat sorgt dafür, dass ein Vater sein Kind nicht tagelang weinen hören muss, weil es Hunger hat. Im Kongo... Ich weiß gar nicht, ob die Leute dort wissen, was Würde bedeutet.

KNA: Macht das traurig?

Kusanika: Es verursacht Herzschmerzen. Es macht traurig und lässt einen machtlos dastehen. Was kann ich ändern? In meinem Fall: Wenn ich schreiben kann und die Rahmenbedingungen dafür geboten bekomme, dann gebe ich diesen Menschen eine Stimme. Und vielleicht bringt uns so etwas eines Tages dazu, über unsere Privilegien nachzudenken, die wir hier in Deutschland haben. Niemand soll deswegen ein schlechtes Gewissen haben. Aber wenn man sich dieser Privilegien bewusst ist, dann wird man vielleicht auch ein bisschen demütiger.

Nadège Kusanika

"Integration ist eine Zweibahnstraße."

KNA: In der Migrationsdebatte in Deutschland ist davon gerade wenig zu spüren.

Kusanika: Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele noch nie ein aufrichtiges Gespräch mit einem Migranten geführt haben. Das ist mehr, als nur zu fragen: «Woher kommst Du und wann gehst Du wieder zurück?» Bei einem richtigen Gespräch wird man feststellen: Wir leben alle unter derselben Sonne, haben ähnliche Interessen, manchmal sogar einen ähnlichem Humor. Integration ist eine Zweibahnstraße: Ich reiche meine Hand und wenn mir keiner die Hand reicht, dann kann ich mich nicht integrieren. Würden das mehr Menschen beherzigen, verliefe die Debatte über Migration vielleicht anders.

KNA: Stattdessen scheinen Vorurteile zu überwiegen

Kusanika: Vorurteile sind wie Stützräder, die verhindern, dass man als Anfänger beim Fahrradfahren nicht fällt. Das ist auch ok so. Aber irgendwann muss man sich ein Herz nehmen und auch mal ohne Stützräder fahren.

KNA: Das heißt?

Kusanika: Wir sollten uns immer wieder fragen: Verhindern die Vorurteile gerade, dass ich mein Gegenüber so sehe, wie er oder sie wirklich ist?

Nadège Kusanika

"Die Kirche hat das Land im Griff, in positivem wie in negativem Sinne."

KNA: Noch einmal zurück in den Kongo - welche Rolle spielt die Kirche dort?

Kusanika: Die Kirche hat das Land im Griff, in positivem wie in negativem Sinne.

KNA: Warum negativ?

Kusanika: Die Leute beten eher, als dass sie nach konkreten Lösungen für die Probleme im Kongo suchen.

KNA: Die politischen Elite gilt als extrem korrupt - vielleicht hilft da nur noch beten.

Kusanika: Wenn Du keine Perspektive hast, dann klammerst Du Dich an Gott. Der Kongo hat 80 Prozent der Weltreserven an Coltan. Ohne den Kongo gäbe es kein Handy, kein Fernsehen, kein Internet. Trotzdem ist dieses Land seit Jahrzehnten eine Geisel von Krieg und Korruption. Ich frage mich, warum der Rest der Welt das einfach so hinnimmt.

KNA: Sie haben mit 15 Jahren ihre Heimat verlassen. Was braucht es, um in die Ferne zu gehen?

Kusanika: Wenn man in die Welt hinausgeht, sollte man wissen: In der Regel meint es das Leben gut mit einem. Hab ein offenes Herz, gib jedem Menschen ein faire Chance - denn Du selbst willst diese Chance auch bekommen.

Das Interview führte Joachim Heinz.

Demokratische Republik Kongo

Die Demokratische Republik Kongo ist nach Algerien der zweitgrößte Flächenstaat Afrikas und fast siebenmal so groß wie Deutschland. Auf einem Gebiet, das etwa einem Viertel der Größe der USA entspricht, leben rund 90 Millionen Menschen. Der Kongo ist ein Vielvölkerstaat mit mehr als 200 Ethnien. Das Land im Zentrum Afrikas, das von 1971 bis 1997 Zaire hieß, hat gemeinsame Grenzen mit Kongo-Brazzaville, der Zentralafrikanischen Republik, dem Südsudan, Uganda, Ruanda, Burundi, Tansania, Sambia und Angola.

Eine Hütte an einem Hang in Burhale im Kongo ist von Bäumen und Stauden umgeben / © Harald Oppitz (KNA)
Eine Hütte an einem Hang in Burhale im Kongo ist von Bäumen und Stauden umgeben / © Harald Oppitz ( (Link ist extern)KNA )