Horst Köhler will weiter klare Worte sprechen

Ein Präsident möchte unbequem bleiben

Bundespräsident Horst Köhler will auf mahnende Worte in Richtung große Koalition nicht verzichten. "Die Suche nach zielorientierten Lösungen kann nicht gehen ohne Streit", sagte Köhler der Hamburger Illustrierten "Stern". Mit Blick auf die Reformbereitschaft der Koalition fügte er hinzu, es gebe "zu viel Angst vor Zumutungen". Das Land stehe erst am Anfang des Reformprozesses. Dies wollte Köhler auch bei seinem Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel am Mittwoch klarstellen.

 (DR)

"Wir sollten die eigenen Interessen benennen"
Für die zweite Hälfte seiner Amtszeit hat sich der Bundespräsident nach eigenen Angaben vorgenommen, zusätzliche Reformbereitschaft zu fordern. "Der Bundespräsident muss nicht immer etwas Neues sagen, aber er muss daran erinnern, wo Defizite bestehen, zum Beispiel bei der Bildung. Ich will diesem Volk auf seinem schwierigen und weiten Reformweg helfen, dafür habe ich mich in die Pflicht nehmen lassen."

Köhler zeigte zugleich Sympathie für sozialdemokratische Pläne. So setze sich Ex-SPD-Chef Matthias Platzeck für den "vorsorgenden Sozialstaat" ein im Unterschied zum nachsorgenden Sozialstaat. "Dieser Ansatz weist in die richtige Richtung", sagte der Bundespräsident. Auch in der Außenpolitik forderte Köhler klarere Konturen: "Wir sollten uns trauen, die eigenen Interessen zu benennen und zu vertreten. Und wir sollten uns über die Bedeutung von Russland und China klar werden.

Beliebter Präsident
Köhler findet mit seiner Arbeit großen Rückhalt in der Bevölkerung. In zwei am Wochenende veröffentlichten Umfragen befürworteten 85 (Infratest) beziehungsweise 77 Prozent (Emnid) der Bürger, dass Köhler in die Tagespolitik eingreife. Nur 9 beziehungsweise 15 Prozent hielten dies für falsch. Köhler hatte binnen weniger Wochen das Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung und das Verbraucherinformationsgesetz gestoppt.

Versöhnliche Union
Auch hatte er sich in die Debatte über die Zahldauer des Arbeitslosengeldes I eingemischt. Führende Politiker der Koalitionsfraktionen hatten Köhler mit Blick auf die beiden Gesetze vorgeworfen, seine Prüfkompetenzen überschritten zu haben.

Ex-FDP-Chef Wolfgang Gerhardt betonte, bei allen Gesetzen, die Köhler gestoppt habe, sei vorher erkennbar gewesen, dass sie verfassungsrechtliche Problembereiche berührten. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sagte, jene, die Köhler gewählt hätten, hätten eigentlich wissen können, „dass dieser Mann ein sehr politischer Bundespräsident sein wird".

Führende Unions-Politiker schlugen am Wochenende versöhnliche Töne gegenüber Köhler an. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte: „Der Bundespräsident hat mein volles Vertrauen." Auf die Frage, ob Köhler eine Chance auf Wiederwahl habe, sagte Kauder, der Respekt vor dem Amt verbiete eine Diskussion über die Verlängerung der Amtszeit zur Unzeit.
Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) sagte, Köhler habe von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die das Grundgesetz ihm biete. Die Regierung respektiere dies. Das Verbraucherinformationsgesetz werde jetzt zügig überarbeitet. Köhlers Einwände würden dabei berücksichtigt. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Köhlers Entscheidung schloss Seehofer aus. „Das wäre übertrieben und in diesem Fall nicht angemessen", sagte der Minister.

„Hang zur Überreglementierung"
Seehofer beklagte zugleich generell eine „Verrechtlichung" der Politik. „Politik darf nicht durch totale Juristerei abgelöst werden", warnte der CSU-Politiker. Dadurch würden politische Ziele verdrängt.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, kritisierte einen „Hang zur Überreglementierung" in der Politik. Es gebe eine Tendenz, „dass immer dann, wenn mögliche oder vermeintliche Probleme in der Gesellschaft auftreten, sofort die Gesetzesmaschine angeworfen wird".
Deutschland habe kein Gesetzesdefizit, sondern allenfalls ein Defizit beim Vollzug von Gesetzen. Die Wirkung sei dann die, „dass die Politikverdrossenheit der Bevölkerung eher zunimmt denn abnimmt".