Kirchen warnen Politik vor weiteren Versäumnissen

"Dringender Handlungsbedarf"

Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben die Politik zu entschlossenerem Handeln bei den Reformaufgaben gemahnt. Die Chancen zur Bewältigung der gegenwärtigen "harten Bewährungsprobe" seien nicht ausgeschöpft, heißt es in einem Gemeinsamen Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. "Der dringende Handlungsbedarf duldet keine weiteren Versäumnisse", mahnen sie.

 (DR)

Als größte Herausforderungen nennen sie die Arbeitslosigkeit und die demografische Entwicklung. In dem knapp 50-seitigen Dokument fordern die Kirchen die Bürger zu mehr Engagement auf und äußern sich auch kritisch zur Rolle der Medien.

Die Kirchen mahnen in dem Dokument Grundhaltungen an, die über die Strategien des Machterhalts hinausgehen. Sonst würden demokratische Institutionen entleert. Die Politik müsse ihre "Gegenwartsfixierung" aufbrechen und Mut zu einer langfristig orientierten Politik haben. Die bisherige Vorstellung, alle Einzelinteressen fügten sich harmonisch zum Gemeinwohl, überließe man sie nur der unsichtbaren Hand des Marktes oder der sichtbaren des Staates, seien erschüttert. Als notwendig bewerten die Kirchen den Rückbau von wohlfahrtsstaatlichen Standards. Zugleich heißt es in dem Text, es gehe nicht um pauschale Parteien- und Politikerschelte. Ziel sei vielmehr ein gemeinsames Nachdenken über das Gemeinwohl. Gerechtigkeit und Solidarität zu üben, muss gemeinsames Anliegen aller Demokraten sein.

Parteien begrüßen Kirchenwort als unverzichtbar und klug
Die großen Parteien haben das Demokratiepapier der Kirchen begrüßt. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck sprach von einem "unverzichtbaren Beitrag zur demokratischen Kultur" der freiheitlichen Gesellschaft. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla nannte das Gemeinsame Wort "wichtig und klug".

Beck erklärte, die großen Kirchen nähmen mit ihren Mahnungen ihre politisch-diakonische Verantwortung wahr. Der Hinweis, dass Demokratie nicht selbstverständlich sei, sondern beständig neu gestaltet werden müsse, sei sehr wichtig. Demokratie brauche starke Demokraten. Dabei begrüßt der SPD-Chef, dass die Kirchen die Schwierigkeiten bei der Sicherung des Gemeinwohls benennen würden. Pofalla bewertet das Dokument "bei allen kritischen Äußerungen an die Adresse auch von Parteien und Politikern" als Ermutigung für eine Politik, die Herausforderungen und Probleme benenne und nicht verschleiere. Es gelte eben, in Verantwortung gegenüber späteren Generationen auch unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen.

Viel Lob, aber auch Kritik
Die Kirchenbeauftragte der SPD-Fraktion, Kerstin Griese, nannte das Schreiben wertvoll und lobte vor allem die Aktualisierung des vielen Ohren altmodisch klingenden Begriffs Tugend. Auch die Kritik der Kirchen an der Gegenwartsfixierung sei richtig. Auch der Evangelische Arbeitskreis der Union (EAK) würdigt die Mahnung zur Neubesinnung auf die Gestaltungskraft von Tugenden. Kritik kam dagegen vom Humanistischen Verband Deutschlands. Es sei mehr als ärgerlich, wenn sich die Kirchen als Tugendwächter aufspielten. Das Papier enthalte vor allem Ratschläge an andere.