Australiens Spitzenpolitiker auf dem Religionsprüfstand

Glaubensbekenntnisse

In Australien ist ein merkwürdiges Phänomen zu
beobachten: Politiker aller Parteien betonen ihre christlichen Werte. Denn die Anhänger evangelikaler Gruppierungen lieferten bei den letzten beiden Parlamentswahlen der konservativen Regierungskoalition von Ministerpräsident John Howard die entscheidenden Stimmen zur Wiederwahl. Religion ist zu einem Faktor in der australischen Politik geworden.

 (DR)

Glaubensbekenntnis vor 100.000 Life-Zuschauern im Internet
Regelmäßige "Gebetsfrühstücke" nach amerikanischem Muster erfreuen sich im australischen Parlament eines regen Zulaufs. Bei den großen moralisch-politischen Fragen jedoch - der Zulassung der "Abtreibungspille", der Legalisierung von embryonaler Stammzellforschung und therapeutischem Klonen - konnten sich die Kirchen mit ihren Positionen nicht durchsetzen.

Damit im Parlament christliche Nachhaltigkeit einzieht, haben Christen erstmals in Australiens Wahlgeschichte die beiden Spitzenkandidaten für den Job des Regierungschefs in Canberra - Amtsinhaber John Howard und seinen Herausforderer Kevin Rudd von der Labor Partei - auf den Religions-Prüfstand gestellt. Vor der versammelten christlichen Prominenz Australiens und mehr als 100.000 Life-Zuschauern im Internet legten Howard und Rudd im Presseclub in Canberra ihr "Glaubensbekenntnis" ab. Organisiert hatte die Veranstaltung die "Australian Christian Lobby", die nach eigenem Bekunden ein "moralisches und mitfühlendes Australien" schaffen will.

Erfolgsgeheimnis: Soziale Gerechtigkeit
Kevin Rudd liegt seit seiner Kür zum Spitzenkandidaten der Labor Partei vor neun Monaten in allen Meinungsumfragen weit vor Howard. Das Erfolgsgeheimnis des 50-Jährigen ist nicht etwa das politische Programm seiner Partei, sondern sein Ansatz, alle Politikbereiche in den Zusammenhang sozialer Gerechtigkeit zu stellen.

Seinen Einstand als Spitzenkandidat gab der vom Katholizismus zur anglikanischen Kirche übergetretene Mann aus Brisbane mit einer sehr ungewöhnlichen Maßnahme: in einem 5.500 Worte umfassenden Essay legte Rudd seine religiöse Philosophie dar: Christen müssten sich gemäß den Lehren Jesu aktiv für den Staat engagieren und sich besonders für die Benachteiligten und Unterdrückten einsetzen. Als Beispiel führt der Familienvater Rudd sein "großes Vorbild" Dietrich Bonhoeffer an.

Ministerpräsident: Mann ohne Prinzipien?
Anders John Howard. Obwohl der seit fast zwölf Jahren amtierende Ministerpräsident viel von Werten, Kirche und Familie spricht, sehen ihn viele Australier als Mann ohne Prinzipien. In ihrem Buch "Gott unter Howard: Der Aufstieg der religiösen Rechten in Australien" schreibt Marion Maddox, der Anglikaner Howard habe das "Wohlstands-Evangelium" der evangelikalen Kirchen übernommen.

In den großen politischen Fragen liegen Regierung und große Kirchen weit auseinander. Gegen den Widerstand der Kirchen schickte Howard australische Truppen in den Irak; immer wieder verurteilen die Kirchen seine harte Asylpolitik; vergeblich mahnten die Kirchen die Regierung, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen. Vor allem die katholische Kirche ist die Wortführerin gegen eine Reform des Arbeitsrechts, das Arbeitnehmerrechte drastisch eingeschränkt hat.

Umwelt, Arbeitnehmerrechte und der Irak-Krieg: Sie werden auch zentrale Themen bei der für November erwarteten Wahl sein. Da konnte Howard in der Debatte wenig punkten, als er seine Kampagne gegen Internet-Pornografie als Wahlköder für christliche Wähler vorstellte. Besser kam die Botschaft des ehemaligen Diplomaten Rudd an, der Zehn Gebote und Zinssätze, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit, kirchliche Lehren und Respekt vor Andersdenkenden verband. Zumindest Jim Wallace, Chef der "Australian Lobby Organisation", meint erkannt zu haben: "Er kennt die Bibel gut. Das ist keine politische Show."

Von KNA-Mitarbeiter Michael Lenz