Günter Grass feiert 80. Geburtstag mit Tausenden Gästen

"Repräsentant des literarischen Gewissens"

Literaturnobelpreisträger Günter Grass feiert heute seinen 80. Geburtstag. Er gilt als einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Den Nobelpreis bekam der gebürtige Danziger 1999. Ranghohe Politiker und Kirchenvertreter gratulierten ihm bereits und würdigten sein Werk. Mit Veranstaltungen und Ausstellungen ehrt Lübeck den berühmten Bürger. Höhepunkt ist ein Festakt am 27. Oktober im Theater der Hansestadt, zu dem auch Bundespräsident Horst Köhler erwartet wird.

 (DR)

Der Jubilar dürfte diese Form der öffentlichen Aufmerksamkeit in ungetrübter Freude genießen - im Gegensatz zu dem Medienecho, das er im Sommer vergangenen Jahres hervorgerufen hatte. Anlässlich der Präsentation seiner Memoiren "Beim Häuten der Zwiebel" überraschte Grass mit einem späten Geständnis: seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Kritiker sprachen daraufhin vom "Ende einer moralischen Instanz". Ein Ruf kam ins Wanken, den der Schriftsteller schon mit seinem Erstlingswerk begründet hatte, für das er später den Nobelpreis erhielt.

Unübertroffenes Schriftsteller-Debüt
"Die Blechtrommel", erschienen 1959, konfrontierte die Deutschen mit den schlimmsten Jahren ihrer Geschichte. Auf einem sprachlichen Niveau, an das nach Meinung vieler Literatur-Experten die späteren Werke des gebürtigen Danzigers nicht mehr heranreichten. Dabei hat der Mann mit dem markanten Schnauzbart und der Pfeife auch mit Büchern wie "Das Treffen in Telgte", "Der Butt" oder "Die Rättin" für Aufmerksamkeit gesorgt sowie zahlreiche Zeichnungen und Skulpturen von hohem künstlerischem Wert angefertigt.

Doch präsent ist vor allem die Figur des Oskar Matzerath aus der
"Blechtrommel": Der dämonische Zwerg, wie Grass als Sohn eines Kolonialwarenhändlers in Danzig-Langfuhr geboren, weigert sich zu wachsen und die moralischen Maßstäbe seiner Umwelt anzunehmen. Aus der Perspektive des unter dem Tisch hockenden Kindes durchschaut er die Welt der Erwachsenen und zersingt ihre Konventionen wie Glas. Kein Wunder, dass dieser Roman mit seinen grotesken, deftigen, teilweise Ekel erregenden Bildern heftige Proteste hervorrief.

Deutsche Zeitgeschichte "literarisch eingefangen"
Biografisches von Grass findet sich in vielen Werken: Mit "Katz und Maus" und "Hundejahre" vollendete der Schriftsteller Anfang der 1960er seine um die geliebte Heimatstadt kreisende Trilogie und versuchte, die deutsche Zeitgeschichte literarisch einzufangen. Mit dem "Tagebuch einer Schnecke" taucht er in den Willy-Brandt-Wahlkampf 1969, die 1986 erschienene "Rättin" ist ein apokalyptisches Feature über den Selbstmord der Menschheit, und mit dem 1995 erschienenen, an Fontane erinnernden Buch "Ein weites Feld" wird die deutsche Einheit zum Thema.

Wie kaum ein anderer moderner Schriftsteller hat sich Grass als Repräsentant des literarischen Gewissens in die öffentliche Debatte eingeschaltet: Als Wahlkampfhelfer für Willy Brandt und die SPD etwa, die er 1993 aus Protest gegen den Asylkompromiss wieder verließ. Oder als Polterer gegen Notstandsgesetze, deutschen Revanchismus und "autoritären Klerikalismus", mit dem er die Haltung der deutschen Bischöfe in der Abtreibungsfrage charakterisierte.

Knobeln mit dem Papst
Grass' Verhältnis zur Kirche blieb distanziert - auch wenn er in jungen Jahren nach eigenen Angaben Kontakt zu einem später sehr bekannten katholischen Zeitgenossen hatte. Als er 1945 als Kriegesgefangener im bayerischen Bad Aibling interniert war, habe er unter den 100.000 Insassen bald einen "Freund und Knobelkumpan" gefunden. Der sei ihm zwar "ein bisschen verklemmt" vorgekommen: "Aber er war ein netter Kerl." Gemeint ist Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI. In Rom wurde die Geschichte weder bestätigt noch dementiert. Sicher ist allerdings, dass der Papst nicht nach Lübeck kommt.

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, wünschte dem Schriftsteller und Bildhauer zu dessen Geburtstag auch für die Zukunft "eine gehörige Portion Unverzagtheit".

Der Schriftsteller Grass wurde am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren.
Der NDR will die Geburtstagsfeier live in seinem Radiosender "NDR Kultur" übertragen. Auch das NDR-Fernsehen wird ausführlich über das Fest berichten. Die ARD würdigt den Schriftsteller anlässlich seines 80. Geburtstages mit zwei Spielfilmen und einer Dokumentation.