Wegen eines Streits über die Giftspritze sind Hinrichtungen in den USA derzeit de facto ausgesetzt

«Feuer in den Venen»

 (DR)

Ein verfassungsrechtlicher Streit hat in den USA - erstmals seit 30 Jahren - zu einer Art Hinrichtungsmoratorium
geführt: Strittig ist der Einsatz der Giftspritze bei Hinrichtungen.
Bis zum Frühjahr oder Sommer nächsten Jahres würden vermutlich keine Todesurteile mehr vollstreckt, sagte der Juraprofessor David Dow von der University of Houston (Texas), dem epd. Es sei unklar, ob die Giftspritze - häufigste Hinrichtungsmethode in den USA - überhaupt verfassungskonform sei, so der Todesstrafenexperte.

Das Oberste US-Gericht will diese Frage Anfang 2008 prüfen. Die neun Richter befassen sich mit der Klage zweier Todeshäftlinge aus dem Bundesstaat Kentucky, dass die Giftspritze große Schmerzen zufüge und «grausam» sei. Dabei verbiete die US-Verfassung «grausame und ungewöhnliche» Strafen. Das Gift werde sich anfühlen «wie Feuer in den Venen», sagte Ralph Baze, einer der Kläger, in einem im Internet einsehbaren Video. Baze wurde wegen Polizistenmordes im Jahr 1992 zum Tode verurteilt. «Mein Leben zu nehmen sollte doch reichen», sagte er. Man müsse ihm doch keine Schmerzen zufügen.

Wegen der verfassungsrechtlichen Unklarheit haben die Bundesstaaten Virginia, Georgia, Ohio, Nevada, Arkansas, Alabama und Texas im September und Oktober geplante Hinrichtungen ausgesetzt. Diese Staaten töten - wie 37 der 38 US-Bundesstaaten mit Todesstrafe - hauptsächlich durch die Giftspritze. In mehreren Bundesstaaten sieht das Gesetz in bestimmten Fällen auch andere Methoden vor - unter anderem in Idaho Erschießen, in Kalifornien die Gaskammer und im Bundesstaat Washington der Galgen. Nur Nebraska tötet nie mit Giftspritze, sondern immer durch den elektrischen Stuhl.

Bei der Hinrichtung mit Gift verabreichen die Henker dem auf einer Bahre Festgebundenem durch einen in die Arme eingeführten Katheter ein Narkosemittel, dann die muskellähmende Droge Pancuroniumbromid, und schließlich Potassiumchlorid, ein Herzstillstandsmittel. Ralph Baze in Kentucky hat den Richtern Berichte vorgelegt, denen zufolge Todgeweihte bei der Hinrichtung möglicherweise extrem leiden.

Augenzeugen könnten das nur nicht sehen, weil der gelähmte Verurteilte nicht mehr sprechen und sich nicht mehr bewegen könne, argumentierte Baze. Das britische Medizinjournal «The Lancet» kam
2005 an Hand von postmortalen Untersuchungen und Blutanalysen von Hingerichteten zum Schluss, dass viele Verurteilten nicht hinreichend betäubt worden waren.

Die Staatsanwaltschaft von Kentucky appellierte an das Oberste Gericht, Bazes Antrag abzulehnen, wie die «New York Times» berichtete. Allein die Tatsache, dass der Giftcocktail schon seit Jahren in den ganzen USA verwendet werde zeige doch, dass er ein legitimes Hinrichtungsmittel sei. «Verurteilte würden immer wieder neue Einwände finden», und das Oberste Gericht dürfe sich nicht auf «endlose neue Berufungsverfahren einlassen».

Von 1972 bis 1976 herrschte in den USA ein vollständiges Hinrichtungsmoratorium. 1972 urteilte das Oberste Gericht, Todesurteile würden unfair und willkürlich verhängt. Bundesstaaten revidierten daraufhin ihre Gesetze, und 1977 durfte wieder hingerichtet werden.

Nach Ansicht von Rechtsexperten ist nicht absehbar, wie die Obersten Richter zur Frage der Giftspritze urteilen werden. Möglicherweise würden sie lediglich einen «alternativen» und «humaneren» Giftcocktail vorschreiben, wird vermutet. Er erwarte nicht, dass das Urteil die Todesstrafenpraxis in den USA langfristig tiefgreifend verändern werde, sagte der Jurist David Dow. Allerdings begrüßten die Anwälte von Todeshäftlingen den Rechtsstreit um die Giftspritze, da er Hinrichtungen verzögere und das Leben der Todeshäftlinge verlängere.

Dow weist noch auf einen anderen Aspekt im laufenden Rechtsstreit um die Todesstrafe: Von weitreichenderer Bedeutung sei die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Hinrichtung Geisteskranker, sagt Dow. Nach Einschätzung des Experten leidet etwa ein Viertel der US-Todeshäftlinge an Geisteskrankheiten oder Gehirnschäden.