Im Wortlaut: Renate Künast zum kritischen Gespräch von Grünen und Kirche

"Nicht auf der Höhe der Zeit"

Nach der scharfen Kritik von Grünen-Politikern an katholischen Bischöfen hat die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, die Kirche aufgerufen, die gesellschaftliche Situation stärker in den Blick zu nehmen. Zugleich betonte sie am Freitag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin, Kirchenvertreter müssten sich bei deutlichen Worten auch deutlicher Kritik stellen. Einen "Amtsbonus" gebe es nicht.

 (DR)

KNA: Frau Künast, zunächst Bischof Mixa, dann Kardinal Meisner.
Welcher Bischof kommt als nächster dran bei der Kritik der Grünen?

Künast: Mit Verlaub, Gegenfrage: Wie kann es eigentlich passieren, dass katholische Christenmenschen über Frauen als Gebärmaschinen reden, davon sprechen, dass Menschen mit bestimmten sexuellen Orientierungen geradezu der Untergang der Menschheit wären. Ich glaube, dass sich die katholische Kirche dieser Frage auch stellen müsste. Es kann doch nicht sein, dass diese Art des Konservativismus plötzlich Kern der katholisch gelebten Werte sein soll.

KNA: Trotzdem fällt zum Beispiel auf, dass die Gebärmaschinen-Äußerung gut sieben Monate später schrill kommentiert wurde. Warum setzen Sie nicht auf direkte Gespräche statt auf laute Töne bei Parteitagen oder vor Mikrofonen?

Künast: Eigentlich gibt es das Gespräch ja schon. Und ich würde mich freuen, wenn wir möglichst bald über diese Themen weiter diskutieren könnten. Schon beim letzten Gespräch mit Kardinal Lehmann habe ich die Frage gestellt: Wie ist eigentlich das Familienbild der katholischen Kirche angesichts der Tatsache, dass das traditionelle alte Bild immer weniger gelebt wird, aber es zu den zentralen christlichen Werten gehört, Nächstenliebe und Sorge für die anderen zu leben, in welcher Form auch immer. Die katholische Kirche muss sich mit der Frage auseinandersetzen, dass heutige Lebensentwürfe eben nicht mehr die des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts sind. Man muss doch den Kern der Werte suchen. So etwas sollte auch in der katholischen Kirche stärker zum Thema werden.

KNA: Auch die lautstark kritisierten Bischöfe betonen, dass sie nicht das Familienbild des 19. Jahrhunderts, sondern das Familienbild des Grundgesetzes vertreten.

Künast: Das Grundgesetz sagt, dass Ehe und Familie zu schützen sind. Wenn jemand nun sagt, dass eine bestimmte sexuelle Orientierung sozusagen der Untergang der Menschheit wäre, sage ich Ihnen: Diese Stelle finde ich in unserem Grundgesetz nicht.
Im Gegenteil, das Grundgesetz gebietet Gleichheit und verbietet Diskriminierung.

KNA: Wie sollte es denn nach der Lautstärke der vergangenen Wochen weitergehen zwischen Grünen und katholischer Kirche?

Künast: Die katholische Kirche sollte sich auch klar dazu äußern, was eigentlich ihr Bild von Gesellschaft ist und wie sie mit den modernen Lebensformen umgeht. Schauen Sie doch zum Beispiel auf das Land Berlin. Dort leben immer mehr Menschen allein. Da kann das Grundgesetz die Ehe noch so sehr verbal schützen: Wenn die Hälfte der Haushalte in Berlin Single-Haushalte sind, wenn es immer mehr Alleinerziehende gibt und Patchworkfamilien entstehen, muss sich katholische Kirche dem stellen. Es entspricht nicht meiner Hoffnung und Erwartung an die katholische Kirche, solche Realitäten auszublenden und bestimmte Leute zu diskriminieren.
Die katholische Kirche muss sich auch stärker der Frage stellen, wie Kinder in diesem Land eigentlich gefördert werden. Wo ist sie, wenn es darum geht, jedem Kind gleiche Entwicklungschancen und eine freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen und deshalb die tradierte Finanzierung der Familienpolitik mal in Frage zu stellen?

KNA: Katholische Kirchengemeinden und die Caritas sind bundesweit immerhin der größte nichtstaatliche Träger von Einrichtungen der Kinderbetreuung.

Künast: Natürlich, vor Ort sind sie die großen Anbieter. Aber warum kommen dann in solchen politischen Auseinandersetzungen wiederholt diskriminierende Äußerungen? Dass dies öffentlich so stehen bleibt, daran kann Kirche kein Interesse haben. Außerdem widersprechen solche Äußerungen den Antidiskriminierungsvorgaben.

KNA: Inwiefern?

Künast: Die sexuellen Orientierungen unserer Mitmenschen gehen uns gar nichts an. Und wenn sich einer der herausragenden kirchlichen Vertreter derartig abwertend äußert, wundere ich mich, dass in kirchlichen Reihen Schweigen herrscht. Ich würde mir wünschen, dass man dort mutiger auf die Menschen zugeht, zum Beispiel bei der Sorge um mehr und qualitativ bessere Kinderbetreuung, bei der Unterstützung derer, die andere pflegen, zum Beispiel aidskranke Freunde und Lebensgefährten. Das geht schwer, wenn man auf ein bestimmtes Familien-, Ehe- oder Beziehungsbild festgelegt ist.

KNA: Zurück zur Schärfe der Kritik - Politiker anderer Parteien
sagen: So redet man nicht über Religionsvertreter.

Künast: Wer sich in politische Diskussionen hineinbegibt, wer in der Art seiner Darstellung die Form des Hochamtes verlässt, wird Teil der Diskussion. Sie wissen: Ich teile selber gerne hart aus.
Jeder Kardinal oder Bischof hat Anrecht auf einen ordentlichen Umgang, aber er hat definitiv kein Anrecht auf einen Amtsbonus, der ihn in einen kritikfreien Raum stellt. Im Gegenteil: Wer sich so entschieden äußert und - bei der rechtlichen Absicherung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften - letztlich Beschlüsse des Bundestages angreift, wird ja wohl von Abgeordneten in der Sache auch kritisiert werden dürfen.

KNA: Einige Vertreter äußerten die Überzeugung, die Grünen seien für Katholiken nicht wählbar.

Künast: Gottseidank entscheidet das jeder Katholik immer noch selber. Das zeigt ein kurioses Demokratieverständnis, wenn die Wertkonservativsten glauben, dass sie noch wie im vorletzten Jahrhundert am Sonntag von der Kanzel sagen könnten, was zu wählen wäre. Wer das meint, ist nicht auf der Höhe der Zeit.

KNA: Könnten Sie sich vorstellen, Kardinal Meisner für ein klärendes oder deutliches Gespräch einzuladen?

Künast: Kardinal Meisner einzuladen, mit ihm zu reden? Ja, das kann ich mir schon vorstellen. Aber es gäbe eine zünftige und recht klare Diskussion. Eins ist klar: Ich bringe meinen Parlamentarischen Geschäftsführer mit.

Interview: Christoph Strack (KNA)