Anwälte gehen zum EU-Gericht - Experte hält Menschenrechts-Beschwerde für durchsetzbar

Haftbeschwerde für Marco abgelehnt

Der seit über sieben Monaten in der Türkei inhaftierte Marco W. aus Uelzen muss bis zur nächsten Verhandlung am 14. Dezember in Untersuchungshaft bleiben. Sein deutscher Anwalt Michael Nagel sagte der "Bild"-Zeitung (Dienstagausgabe): "Unsere eingereichte Haftbeschwerde wurde abermals durch das türkische Gericht abgelehnt." Als Konsequenz kündigte Nagel an, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Der Europarechtler Christian Calliess hält die angestrebte Menschenrechtsklage im Fall Marco W. für durchsetzbar.

 (DR)

Die Chance, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit dem Fall des in der Türkei inhaftierten 17-Jährigen
befasse, sei sehr hoch, so Christian Calliess.  Er gehe davon aus, dass das Gericht wegen der langen Dauer der Untersuchungshaft auch ohne ein Ende des Strafverfahrens den Fall annehme, sagt der Direktor des Instituts für
Europa- und Völkerrecht an der Universität Göttingen.

Entscheidung hätte bindende Wirkung
Ein Verfahren wie das gegen Marco müsse nach Auffassung des EGMR
mit besonderer Eile betrieben werden, erklärte Calliess. Bei ihm sei
aber durch die Medienberichterstattung der Eindruck entstanden, dass
sich das türkische Gericht "nicht genügend um einen zügigen Abschluss
des Verfahrens bemüht". Diesen Punkt könnten Marcos Anwälte als
Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof einbringen. Sollte das
Gericht der Beschwerde stattgeben, hätte dies für die Türkei bindende
Wirkung. Möglich wäre, dass Marco aus der Untersuchungshaft entlassen
werde, sich aber für das weitere Strafverfahren in der Türkei
aufhalten müsse.

Eine Drohung sei die seitens der Anwälte beabsichtigte Klage
allemal, sagt Calliess. Dies mache klar, dass eine europäische
Instanz den Fall im Hinblick auf gemeinsame Menschenrechtsstandards
überprüfe und diese überwache. Calliess dämpfte jedoch zu hohe
Erwartungen und betonte, eine Haftentlassung vor Weihnachten aufgrund
eines Urteils des EGMR sei eher unwahrscheinlich. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte sei «latent überlastet».

Marcos Anwälte hatten nach der erneuten Vertagung des Prozesses
den Gang vor den EGMR angekündigt. Der Jugendliche sitzt seit über
sieben Monaten in türkischer Untersuchungshaft, weil er im Urlaub die
13-jährige Britin Charlotte sexuell missbraucht haben soll. Der
Schüler weist die Vorwürfe zurück.