Ärzte-Aktionsbündnis - eine Einschätzung

"Wir brauchen eine Fehlerkultur"

Rund 17 000 Menschen in Deutschland sterben durch medizinische Behandlungsfehler. Etwa 500 000 Patienten infizieren sich durch mangelnde Hygiene in Krankenhäusern. Mit diesen Zahlen gingen am Donnerstag Ärzte und Pflegende des "Aktionsbündnis Patientensicherheit" an die Öffentlichkeit. Das Motto ihrer Kampagne: "Aus Fehlern lernen". Dr. Werner Bartens ist Wissenschaftsredakteur bei der "Süddeutschen Zeitung", ehemaliger Assistenzarzt und Autor des "Ärztehasserbuches". Im domradio begrüßt er die Kampagne und kritisiert Versäumnisse.

 (DR)

domradio: In so gut wie jedem Beruf gibt es strenge Fehlerkontrollen um die Arbeit für Mitarbeiter und Kunden sicherer zu machen. Warum nicht bei den Ärzten?

Dr. Werner Bartens: Das eine liegt in der Natur des Menschen. Dass man nämlich gar nicht immer erkennen kann, ob es sich um einen Fehler, einen Irrtum oder eine Komplikation handelt. Wenn man seine Medikamente fälschlicherweise zu hoch oder zu niedrig dosiert, dann macht man das ja nicht mit Absicht. Der Patient weiß auch nicht - d.h. so was kommt vor, aber es wird gar nicht als Fehler wahrgenommen, weil es gar nicht als Fehler erkannt werden kann. Darüber hinaus aber neben diesen Zahlen, die übrigens sehr umstritten sind, ist der eigentlich Skandal, dass es kein besseres Register, keine bessere Stelle zur Meldung gibt. Das ist eines der Hauptprobleme.

domradio: Sie waren selber als Arzt tätig - sind Fehler ein Tabu-Thema bei Ärzten?

Dr. Werner Bartens: Bei einigen schon. Es gibt zwei Schulen. Deswegen finde ich es auch so überraschend, wenn es getan wird, als ob es das erste Mal ist, das Ärzte darüber sprechen. Das gab es vor zwei, drei Jahren schon mal beim deutschen Chirurgentag, dass sie über ihre Fehler gesprochen haben. Und als ich noch an einer Klink gearbeitet hatte, gab es an jeder Klinik Abteilungen, die regelmäßige Fehlerkonferenzen abhielten. Aber in der Medizin ist diese 'Fehlerkultur' noch nicht sehr verbreitet. Und es gibt auch die große Gruppe der Ärzte, die das tabuisiert und die sagt: 'Das darf nicht in die Öffentlichkeit, das verunsichert die Leute nur, das wollen nicht.' Dabei weiß man aus der Erfahrung aus Kunstfehlerprozessen, dass die geschädigten Patienten sagen: 'Ich bin nicht böse, dass der Fehler passiert ist. Natürlich ist das tragisch, dass ich zu Schaden gekommen bin. Aber richtig enttäuscht und böse bin ich, weil mir der Arzt das hinterher nicht gesagt hat oder sogar versucht hat, es zu vertuschen.'

domradio: Ist ein Grund vielleicht, dass Mediziner Konsequenzen fürchten - bis hin zum Existenzverlust?

Dr. Werner Bartens: Fehler passieren ja in der Regel nicht aus Böswilligkeit oder aus Absicht. Über Fehler zu reden ist ja ein Mittel, um sie abzustellen und zu minimieren. Und deswegen gibt es ja auch so genannte "Reportingsysteme". Indem man versucht, dass alle Ärzte Fehler melden können, ohne dass sie sich anklagen müssen, können Fehler anonym gemeldet werden. Das ist auch ein richtiger Weg. Ebenfalls ganz wichtig, Piloten machen das schon seit Jahrzehnten, ist das Melden von so genannten Beinahe-Fehlern. Indem man sagt 'Um ein Haar hätte ich dieses oder jenes getan'. Das sind gute Ansätze - und deswegen ist die Initiative sehr zu unterstützen, um zu erkennen, wo lauern denn die Fehlerquellen? Da gibt es noch jede Menge Nachholbedarf in diesem Berufsstand.

domradio: Wie kann man sich als Patient schützen?

Dr. Werner Bartens: Es gibt 'Fehler-Klassiker', die immer durch die Medien geistern, aber gar nicht so häufig sind, z.B. das falsche Bein wird operiert, der falsche Lungeflügel wird operiert oder die Klemme vergessen. Das macht quantitativ nicht viel aus. Aber da kann ich natürlich noch mal selber darauf hinweisen: 'Bitte markieren sie mein Knie, das operiert werden soll, mit einem wasserfesten Stift. Bitte seien Sie sich sicher, dass es sich um die rechte Lungenhälfte handelt.' Ganz wichtig ist, weil die Mehrzahl aller Fehler auf medikamentöser Basis stattfinden, dass man als Patient sagt: 'Ich nehme noch ein anderes Medikament.' Es ist unglaublich, wie viele Patienten zusätzlich noch Mittel nehmen, die sie nicht von ihrem Arzt verordnet bekommen haben, sondern weil sie vielleicht im Haushalt von Onkel und Tante ausgeholfen haben. Hier kommt es oft zu tragischen Zwischenfällen. Das kann man als Patient selbst beherzigen. Sonst kann man den Arzt natürlich nicht auf Fehler kontrollieren. Als Patient ist man derjenige, der vertrauen muss.

Das "Ärztehasserbuch" von Werner Bartens ist im Verlag "Droemer Knaur" erschienen.