Talk-Star Domian im domradio über sein Roman-Debüt und die Frage nach Schuld und Sühne

Der ständige Kampf Leben

Jürgen Domian ist so etwas wie der "Talk-König" der Nacht. Im WDR sprach er in den vergangenen 13 Jahren mit ungefähr 18.000 Menschen. Nun ist sein Roman-Debüt "Der Tag, an dem die Sonne verschwand" erschienen. Im domradio spricht er über die Fragen nach Schuld und Sühne, wie der Mensch in der Religion Vergebung findet und warum das Leben ein dauernder Kampf sein kann.

 (DR)

"Der Tag, an dem die Sonne verschwand" handelt von Lorenz, der an einem Sommertag erlebt, wie sich der Himmel verdunkelt und es immer kälter wird. Er muss feststellen, dass gleichzeitig sämtliche Menschen verschwunden sind. Als es in den folgenden Tagen anfängt zu schneien, beginnt Lorenz sich darauf vorzubereiten, eine längere Zeit mit der Situation zu leben und deckt sich mit Lebensmitteln, Heizmaterial und sonstigen Vorräten ein.

Nachdem er sich dann in seiner Wohnung verschanzt hat und sein Leben in der Einsamkeit lebt, beginnt er über sein Leben und die Vergangenheit zu sinnieren.

Das 288 Seiten starke Buch ist gerade im Heyne-Verlag erschienen und ist für 8,95 Euro im Buchhandel erhältlich.

domradio: Wie kamen Sie auf die Roman-Idee?

Jürgen Domian: Die Grundidee ist schon 18, 19 Jahre alt. Ich habe mich schon immer sehr für Literatur und fürs Schreiben interessiert - und hatte bereits eine Kurzgeschichte zu der Idee geschrieben. Und jetzt bin ich in einem Alter, in dem man auf keinen Fall mehr Träume vor sich her schieben sollte, sondern man sollte versuchen sie zu realisieren. Mein Traum war schon immer gewesen, etwas Umfangreiches zu schreiben, hatte aber immer Respekt vor einem Roman. Vor drei Jahre hatte ich dann aber doch entschieden: "Jetzt gehst Du es an! Jetzt versuchst Du es. Wenn es nicht klappt, klappt's nicht. Aber wenigstens hast Du es versucht." Letztendlich interessierten mich als Grundthemen die Themen Tod, Schuld, Vergänglichkeit und die Frage, wie man richtig lebt. Und da fiel mir meine Kurzgeschichte wieder in die Hand. Und da dachte ich: "Jetzt machst Du's."

domradio: Ihre Hauptfigur, Lorenz, arbeitet ein Jahr lang in der Dunkelheit. Sie selber arbeiten nachts. Gibt es da einen Zusammenhang?

Jürgen Domian: Ich glaube ja, dass etwas Geschriebenes nie von der Biographie des Schreibers zu trennen ist. Ich habe bis jetzt ca. 18.000 Interviews in meiner Sendung geführt. Und habe wirklich in Abgründe geschaut. Und diese Sendung, die moderiere, ist schon ein unendlicher Fundus menschlicher Befindlichkeiten. Dass da natürlich viele Fragen in meinen Roman eingeflossen sind, ist ja klar. Beispielsweise die Frage "Wie gehe ich mit Schuld um?" Jeder von uns hat sich im Laufe seines Lebens sicher schon mal schuldig gemacht, mehr oder weniger.

domradio: Die langjährige Lebensgefährtin, an die Lorenz im Laufe des Romans immer wieder denkt, Marie - welche Rolle spielt sie?

Jürgen Domian: Marie ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Drei Jahre, bevor der Roman beginnt. Der Roman ist ja in Tagebuchform geschrieben. Und der Lorenz hat sich sehr schuldig gemacht an seiner Freundin. Er ist unendlich oft fremdgegangen. Er hat sie belogen. Er hat sie sogar heimlich sterilisieren lassen, weil Marie einen Kinderwunsch hatte und er nicht. Und in dieser Extremsituation schlägt natürlich die gesamte Biographie eines Menschen erbarmungslos auf einen Menschen ein. Er muss sich sich selber und seiner Vergangenheit stellen. Deshalb auch die vielen Reflexionen auch über seine verstorbene Freundin.

domradio: Schuld ist ein hochmoralisches Thema - ein Thema, das man immer mit sich herumträgt? Auch ohne diese Dunkelheit?

Jürgen Domian: Ich ja. Und ich glaube, viele Menschen, die ein wenig über ihr Leben und Handeln reflektieren, auch.

domradio: Wo kann Mensch Vergebung finden?

Jürgen Domian: In der Religion, auf jeden Fall. Schwieriger wird es, wenn jemand nicht gläubig ist. Dann ist es noch schwieriger. Wie meine Figur Lorenz.

domradio: Ich finde, dass Lorenz mit dem Päckchen Schuld auf seinen Schultern sehr tapfer ist. Ist er ein außergewöhnlicher Mensch?

Jürgen Domian: Es gibt in dem Roman den Satz, als er auch darüber nachdenkt, sich das Leben zu nehmen, weil er es nicht mehr aushält: "So leicht darf ich mich nicht davonmachen. Ich muss das jetzt ertragen. Und ich muss das aushalten. Wohin das auch immer führen wird."

domradio: Disziplin ist eine wichtige Eigenschaft?

Jürgen Domian: Absolut, wir müssen bis zu unserem letzten Tag diszipliniert sein. Wenn wir all dem nachgeben, was wir in uns spüren, verkommen wir. Es gibt so viele Befindlichkeiten im Menschen, finde ich, denen man nicht nachgehen sollte. Ich darf nicht jeder Gier nachgehen. Ich darf nicht allen sexuellen Gelüsten nachgehen. Wenn man sich für eine ethische Struktur in seinem Leben entschieden hat, ist das ein dauernder Kampf, eine andauernde Disziplinierung, sich daran zu halten. Und immer wieder versagt man. Das kennen wir alle. Dann ärgert man sich, dann hat man ein schlechtes Gefühl. Und man muss versuchen, es am nächsten Tag besser zu machen. Nur so geht das.

domradio: Hat Lorenz auch eine spirituelle Seite?

Jürgen Domian: Der Protagonist hat eine große spirituelle Sehnsucht. Er bunkert sich in seine Wohnung ein, zunächst, und dann verlässt er an einem Tag seine Wohnung und kämpft sich durch die Schneemassen zur Kirche St. Aposteln. Das ist ein kleines Köln-Zitat in diesem Roman, der eigentlich in jeder Großstadt spielen könnte. Und er bricht in diese Kirche ein, hat dabei Probleme, die Scheibe einzuschlagen,  weil sie so schön ist, schlägt auch nur ein kleines Loch, gelangt in die Kirche und hält Zwiesprache. man könnte es auch Gebet nennen, in der Kirche. Und das war eine Sehnsucht  - auch weil er es in seiner Wohnung nicht mehr ausgehalten hatte - die Hoffnung, in einer Kirche vielleicht Trost zu finden. Oder in irgendeiner Form Antworten zu finden.

domradio: Auf dem Weg zu Maries Grab geschieht das Unverhoffte - er findet einen Menschen. Finn, der eigentlich auch sterben wollte. Beide gehen zurück in die Dachzimmerwohnung von Lorenz, leben zusammen und entwickeln eine tiefe Freundschaft. Eine solche Freundschaft - ist das eine Utopie? Muss man in eine solche Extremsituation geraten, um sich unter Männern so viel zu erzählen?

Jürgen Domian: Ich glaube, dass ganz tiefe Freundschaften - abseitig der Homosexualität - unter Männern selten sind. Das liegt sicher am Rollenverhalten. Und an unseren gesellschaftlichen Normen. Eine Extremsituation, vielleicht auch im Krieg - mein Vater hat mir so etwas erzählt früher - dass man im Krieg Männerfreundschaften hatte, die über allem standen. Dass auch Männer in Extremsituationen wirklich zueinander finden können und dass sich eine platonische Liebe entwickeln kann.

domradio: Was ist ihnen über das Schreiben des Buches bewusst geworden?

Jürgen Domian: Das ist ja ohnehin ein sonderbarer Prozess, wenn man schreibt, weil man ja ganz auf sich gestellt ist. Schreiben ist eine sehr einsame Arbeit. Natürlich hat das auch zur Folge, dass man etwas tiefere Einblicke in sich selber findet, die man vielleicht auch gar nicht öffentlich erzählen kann oder nicht möchte.

domradio: Die Auseinandersetzung mit Schuld spielt in ihrem Roman eine zentrale Rolle. Möchten Sie den Leser animieren, sich diese Schuldfrage und den Umgang mit ihr sich tapfer selber zu stellen?

Jürgen Domian: Ja, absolut. Ich glaube, dass viele Menschen das auch tun. Aber auch daran verzweifeln. Weil sie nicht wirklich wissen, welche Haltung sie einnehmen sollen. Aber es ist sehr zentral, ja.