Psychiater im domradio zur Debatte um eine aktuelle Antidepressiva-Studie

Der Placebo-Streit

Eine Studie und ihre Folgen: Ende Februar machten britische Forscher Schlagzeilen mit der Behauptung, Antidepressiva seien im Prinzip wirkungslos. Pharmaindustrie und Ärzte widersprachen daraufhin vehement. domradio sprach mit dem Mediziner Dr. Peter Schönknecht über die aktuelle Medikamenten-Debatte.

 (DR)

In der Studie untersuchten Irving Kirsch von der englischen Hull University und sein Team die Wirkung der neuen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), die Antidepressiva der jüngsten Generation. Dafür werteten sie unveröffentlichte Daten aus verschiedenen klinischen Untersuchungen aus. Eine so genannte Meta-Analyse. Die Ergebnisse einer solchen Studie müsse man genau anschauen, so Schönknecht. Eine Generalisierung nach dem Motto 'Placebos wirken genauso gut wie echte Medikamente', wie in den Medien geschehen, sei nicht möglich.

Bei der Studie stellte sich heraus, dass neue Medikamente gegen Depressionen kaum besser als sogenannte Placebos, also Mittel ohne Wirkstoffe, halfen.

Das bedeute: Betroffene könnten auch Gummibärchen schlucken - wenn sie davon überzeugt seien, dass die gegen ihre Depressionen wirkten, helfe das genauso also viel oder wenig als ob sie die teuren und mit Nebenwirkungen behafteten Antidepressiva einnähmen.

Der Unterschied Studie und Alltag
"Die Studie zeigt: Einerseits wirken Antidepressiva, andererseits weisen mit Placebos behandelte Patienten ebenfalls eine Wirkung auf. Dieser Befund verwundert zunächst, lässt sich aber dann auch rasch auflösen." Zum einen müsse man beachten, dass zwischen beiden Gruppen noch immer ein "statistischer Unterschied" bestehe.

Eine weitere Erklärung für den Placeboeffekt sei, erklärt der Mediziner, dass Patienten, die an Placebo-Studien teilnehmen, einer "starken Zuwendung ausgesetzt" seien. Dies entspreche nicht dem klinischen Versorgungsalltag depressiver Patienten. "Man kümmert sich sehr intensiv um diese Patienten, hier fließen auch psychotherapeutische Elemente mit ein." Außerdem würden zu diesen Studien auch sehr oft Patienten mit einer sehr langen Krankheitsgeschichte zugelassen. "Und diese Patienten springen oft nur sehr schlecht auf Antidepressiva an."

Hören Sie hier das Gespräch in voller Länge.

Studie bringt bekannte Therapieform ins Wanken
Die im Fachjournal "Public Library of Science Medicine" veröffentlichte Studie bringt nach Ansicht von Experten die vorherrschende Therapie von Depressionen durch Medikamente ins Wanken. Andere Behandlungsalternativen, wie Verhaltenstherapien, werden oft durch den Griff in den Arzneimittelschrank verpasst. Patientenorganisationen bedauern allerdings, dass sich nun eine große Hoffnung der Betroffenen in Luft auflöse.

Der Seroxat-Hersteller GlaxoSmithKline bemängelte, die Studie ignoriere die "sehr guten Ergebnisse" einer medikamentösen Behandlung. Sie stehe in "Widerspruch zu den Erfahrungen aus dem Klinikalltag", sagte ein Sprecher und warnte davor, bei den Patienten nun "unnötig Alarm und Sorge" auszulösen. Ein Sprecher von Eli Lilly, dem Hersteller von Prozac, sagte zu der Studie, "sorgfältige wissenschaftliche und medizinische Experimente" hätten gezeigt, dass Fluoxetin ein "wirksames Antidepressivum" sei.