Sport- und Olympiapfarrer Hans-Gerd Schütt im domradio zur Frage eines Olympia-Boykotts

"Wir nähmen uns eine Chance"

Die Olympischen Spiele in Peking im Sommer sollten der Höhepunkt des Sportjahres 2008 sein. Der Schatten der Menschenrechtslage in China war schon vor der Tibet-Eskalation lang. Nun fragt sich die Welt: Dürfen die Spiele wie geplant stattfinden? Oder müssen sie boykottiert werden? domradio sprach mit dem katholischen Sport- und Olympiapfarrer Hans-Gerd Schütt. Er ist gegen einen Boykott - zum jetzigen Zeitpunkt.

 (DR)

domradio: Sie lehnen zum jetzigen Zeitpunkt einen Boykott ab - warum?

Hans-Gerd Schütt: Es gibt Gründe gegen und für einen Boykott. Ich bin zum jetzigen Zeitpunkt gegen einen Boykott - aus mehreren Gründen: Zum einen bin ich der Meinung, dass ein sportliches Großereignis wie die Olympischen Spiele die Menschen zusammenführt. Zum anderen ist so ein sportliches Großereignis eine Gelegenheit, Problembereiche wie die Menschenrechte anzusprechen und zu diskutieren. Wenn wir uns jetzt entschließen, die Olympischen Spiele zu boykotieren, berauben wir uns dieser Chance. Außerdem zeigen die Erfahrungen - siehe Moskau 1980 und Los Angeles 1984 -, dass Boykotte so viel auch nicht bringen.

domradio: Im Moment nicht angebracht, sagen Sie. Was genau meinen Sie damit?

Hans-Gerd Schütt: Das Problem ist, dass man hier in ein Zahlenspiel hineingerät, das keine Rücksicht auf das Einzelschicksal des Menschen mehr nimmt. Sagen wir es so: Wenn die Lage weiter eskalieren würde, dann kämen wir an den Punkt, an dem die Spiele nicht mehr vertretbar wären. Ich wünsche mir, dass wir die Chance im Vorfeld der Spiele nutzen, über diese schlimmen Menschenrechtsverletzungen zu sprechen und unseren Protest zu artikulieren. Die Ereignisse gerade stellen ja nicht nur eine Momentaufnahme dar. Es ist ja bekannt, dass China viel Nachholbedarf hat.

domradio: Was können sportliche Großereignisse in einer Diktatur überhaupt verändern?

Hans-Gerd Schütt: Wenn Sie in die Geschichte des Sportes schauen: Man neigt dazu, sportliche Großereignisse überzubewerten. Wenn eine Regierung nicht einen Mehrwert bieten kann, wird ein noch so gut inszeniertes Ereignis wie die Olympischen Spiele nicht darüber hinwegtäuschen können, was sonst im Argen liegt.

domradio: Was würde ein Boykott für die Sportler bedeuten?

Hans-Gerd Schütt: Das müssen Sie sich so vorstellen, als wenn Sie sich neun Jahre auf das Abitur vorbereitet haben, Sie sitzen im Prüfungsraum und Ihnen wird der Bleistift aus der Hand genommen und das Abitur ist gelaufen. Die Olympischen Spiele sind das Highlight in der Laufbahn von Sportlern. Sie können sich vorstellen, was ein Boykott für sie bedeuten würde.