NATO streitet ab Mittwoch über neue Mitglieder

Großer Gipfel, kleine Erwartungen

Es wird der "größte" Gipfel der NATO in ihrer 59-jährigen Geschichte sein: 3000 Delegierte werden vom 2. bis 4. April in der rumänischen Hauptstadt Bukarest erwartet, 2000 Journalisten sind akkreditiert, und angesichts verschiedener Protestaufrufe in mehreren Ländern Europas werden gut 10.000 Polizisten das Mammuttreffen schützen. "Der Gipfel ist groß, die Erwartungen aber eher klein", umreißen NATO-Diplomaten die Probleme.

 (DR)

Nach wie vor habe das Bündnis keine gemeinsame Vision für Afghanistan, die Beziehungen zu Russland seien wegen des Streits über das geplante US-Raketenschild in Osteuropa auf einem neuen Tiefstand angekommen. Überschattet werde das als "Erweiterungsgipfel" geplante Treffen durch einen bizarren Namensstreit zwischen NATO-Mitglied Griechenland und Beitrittskandidat Mazedonien.

Bisher erfolglos hat UN-Chefunterhändler Matthew Nimetz versucht, Athen und Skopje zu einem Kompromiss zu bewegen. Nach wie vor wehrt sich Griechenland gegen eine allgemein akzeptierte Bezeichnung "Republik Mazedonien" - weil es mögliche Gebietsansprüche auf die gleichnamige nordgriechische Provinz befürchtet. Daher droht der NATO-Beitritt der aus dem früheren Jugoslawien entstandenen Republik am Veto Griechenlands zu scheitern.

Probleme bei der "Politik der offenen Tür"
In diesem Falle stünde auch die NATO-Aufnahme Albaniens auf der Kippe, die von einigen Mitgliedsländern ohnehin wegen der Probleme in einzelnen Sicherheitsbereichen kritisch gesehen wird. "Lediglich die Einladung zum Beitritt Kroatiens ist unstrittig", heißt es in Brüssel. Damit wäre dieser große Tagesordnungspunkt auf einen "kleinen Schritt" geschrumpft.
"Eine Erweiterung der NATO wird weiterhin auf sich warten lassen, da aufgrund von politischen Konflikten die Lage einiger Staaten konstant angespannt ist", so Thomas Bauer, NATO-Experte beim Zentrum für angewandte Politikforschung in München, im domradio-Interview.

Probleme zeichnen sich ferner bei der "Politik der offenen Tür" ab, wo vor allem die USA und Großbritannien auf den Membership Action Plan für die Ukraine und Georgien als Vorstufe zu einer Mitgliedschaft dringen. Hier hat Deutschland - bei den Kritikern federführend - bereits deutlich gemacht, dass "Länder, die in regionale oder innere Konflikte verstrickt sind" oder in denen es an einer "qualitativ bedeutsamen Unterstützung der NATO-Mitgliedschaft in der Bevölkerung" mangelt, nicht Mitglieder der Allianz werden können.

Damit wollen viele europäische NATO-Mitglieder nicht zuletzt ein Signal an Russland senden, das wegen des Raketenschild-Streits mit den USA den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) ausgesetzt hat.

"Man muss hier abwägen zwischen einem militärischen Vorteil und den sehr negativen politischen Auswirkungen in den internationalen Beziehungen wie beispielsweise im Umgang mit Russland", erklärt Bauer. "Deshalb stellt sich auch derzeit Deutschland gegen dieses System."

Doch gilt gerade dieser KSE-Vertrag als Eckpfeiler der Sicherheit in Europa. Er legt für den Raum zwischen dem Atlantik und dem Ural Obergrenzen für konventionelle Waffensysteme wie Panzer, Artilleriefahrzeuge, Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber fest. Der Vertrag sollte zur Reduzierung der Hauptwaffensysteme um 60 000 Einheiten führen. Stattdessen herrscht Schweigen.

Keine Kontroversen auf dem Gipfel?
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, erwartet auf dem NATO- Gipfel in Bukarest keine unüberbrückbaren Spannungen. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte Schneiderhahn: "Vorher ist immer viel Unruhe, aber NATO-Gipfel sind nie dazu angelegt, Kontroversen auf der ganz hohen Ebene öffentlich auszutragen."

Die Ankündigung von US-Präsident George W. Bush, keinen Einsatz deutscher Soldaten im umkämpften Süden Afghanistans zu fordern, wertete der Generalinspekteur positiv. Es werde gewürdigt, dass Deutschland viel tue und Vergleiche nicht scheuen müsse. Wörtlich fügte er hinzu: "Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, mich dafür entschuldigen zu müssen, dass Deutschland drittstärkster Truppensteller in Afghanistan ist." Bush sei auch nicht von bisherigen Positionen abgerückt, sondern habe nur richtig gestellt, dass die Bundesrepublik souverän entscheiden könne, wie sie sich engagiere.
"Das heißt er akzeptiert die politische Realität. Deutschland ist zurzeit nicht in der Lage einen militärischen Einsatz im Süden des Landes zu befürworten. Das liegt auch daran, dass es politischer Selbstmord wäre, ein Jahr vor den Bundestagswahlen einen Einsatz in Afghanistan zu befürworten", so Bauer.

In der Vergangenheit hatte US-Verteidigungsminister Robert Gates wiederholt ein verstärktes Engagement in Afghanistan gefordert. "Gates' Brief war aber nicht nur an Deutschland gerichtet. Den haben andere Nationen auch bekommen", sagte Schneiderhan.

Auch durch die Mitteilung Frankreichs, 1000 weitere Soldaten nach Afghanistan zu schicken, erwartet Schneiderhan keinen zusätzlichen Druck. Deutschland bringe das "nicht ins Schleudern", sich aktiver beteiligen zu müssen. Es bleibe mit 3500 Soldaten drittstärkster Truppensteller.


"Starkes Signal der Handlungsfähigkeit"
Trotzdem soll von Bukarest ein "starkes Signal der Handlungsfähigkeit der Allianz" ausgehen, wird in der NATO betont. Deshalb werden momentan in den Hauptstädten der 26 Mitgliedsländer in kleinen Runden mehrere Grundsatzpapiere zu Afghanistan sowie zur vernetzten Sicherheit beraten. "Wir müssen weg von der Debatte über aktuelle Notwendigkeiten und hin zu einem ergebnisorientierten Ansatz."
Der große Durchbruch werde jedoch nach Meinung von Thomas Bauer, auf sich warten lassen.

Als nicht ausgeschlossen gilt schließlich eine Überraschung seitens Frankreichs zur Reintegration in die NATO-Strukturen. Das Gründungsmitglied der Allianz hatte sich 1966 aus der integrierten Militärstruktur zurückgezogen. 30 Jahre später kehrte Paris zwar wieder in den NATO-Militärausschuss zurück, blieb aber bis heute der Nuklearen Planungsgruppe und dem Verteidigungsplanungsausschuss fern. Bereits 2007 hatte Frankreichs neuer Präsident Nicolas Sarkozy einen Vorstoß zur Rückkehr in alle Gremien durchblicken lassen.

Kritiker sehen Bukarest dennoch nicht als "Meilenstein" in der NATO-Geschichte, sondern als "Zwischengipfel" vor einem Machtwechsel sowohl in Russland als auch in den USA. Denn neben der bislang ausgebliebenen Debatte über ein "neues strategisches Konzept" wird auf das immer noch angespannte Verhältnis zur EU oder den "ungeordneten Rückzug" bei der schnellen NATO-Eingreiftruppe NRF verwiesen.

Wenige Tage vor dem Bukarester Gipfel versucht daher NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer wieder das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und einen Rahmen für die "NATO der Zukunft" zu skizzieren: "In der heutigen Sicherheitsarchitektur ist die NATO kein Einzelspieler mehr. Die Allianz arbeitet immer dann am besten, wenn sie mit anderen zusammenarbeitet."