BDKJ- und MISEREOR-Chefs kommentieren die Sinus-Jugend-Studie

"Mit Kirche darf ich nicht Scheiße aussehen"

Mit der am Montag veröffentlichten neuen Sinus-Milieu-Studie haben der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und das Bischöfliche Hilfswerk Misereor die Einstellungen von Kindern und Jugendlichen zu Religion, Kirche und gesellschaftlichem Engagement untersuchen lassen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) kommentieren der BDKJ-Vorsitzende Dirk Tänzler und das Misereor-Vorstandsmitglied Thomas Antkowiak die Ergebnisse der Studie.

 (DR)

KNA: Herr Tänzler und Herr Antkowiak, 2006 wurde eine von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Sinus-Studie zur religiösen Orientierung der deutschen Bevölkerung veröffentlicht.
Warum jetzt noch eine weitere Studie?

Antkowiak: Weil diese erste Studie nur die Einstellungen der Bundesbürger über 20 Jahre untersucht hat. Wir halten es aber für notwendig, auch etwas über die Einstellung der Jüngeren zu erfahren - etwa über ihre Freizeitgestaltung, ihr Medienverhalten, ihre Sehnsüchte oder ihren Umgang mit Bibel und Kirche. Einbezogen wurden sogar Kinder ab sieben Jahre. Aber auch in den Altersstufen der 9- bis 13-Jährigen und der 14- bis 19-Jährigen haben wir Neuland betreten. Das ist der Schatz dieser Studie.

KNA: Warum ist Misereor mit im Boot?

Antkowiak: Wir wollten Fragen zum entwicklungspolitischen Engagement der Zielgruppe stellen. Das ist ja schon lange ein wichtiger Bestandteil katholischer Jugendarbeit. Dabei haben wir eine sehr gute Kooperation zwischen Misereor und BDKJ.

KNA: In der letzten Shell-Studie heißt es knapp, dass bei den Jugendlichen trotz Weltjugendtag und Papst-Hype von einer Renaissance der Religion keine Rede sein könne. Hat sich das jetzt bestätigt?

Tänzler: Die Studie belegt, dass es in allen sieben von Sinus konstruierten Milieus der Jugendlichen eine große Sehnsucht nach Spiritualität und Suche nach Sinn gibt. Dabei spielen aber Kirche und feste Glaubenssätze kaum noch eine Rolle. Unsere vermeintliche Nähe zur katholischen Amtskirche schreckt viele ab.

KNA: Hat die kirchliche Jugendarbeit überhaupt noch eine Chance?

Tänzler: Ja, selbstverständlich. Was die Sinus-Studie ermittelt hat, ist eine Herausforderung für uns. Katholische Jugendverbände müssen und wollen sich an der Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen orientieren. Somit befinden sie sich im steten Wandel.
Wir wollen unsere Chancen nutzen. Die Studie ist als Startschuss für eine intensive Arbeit gedacht. Wir haben bereits fünf regionale Informationsveranstaltungen für Fachleute organisiert, die allesamt überbucht sind. Da ist eine enorme Nachfrage und Neugierde, auch bei der Jugendkommission der Bischofskonferenz.

KNA: Wie sehen denn die Jugendlichen die kirchliche Jugendarbeit?

Tänzler: Kirchliche Jugendverbände haben für viele Jugendliche, die nicht selber als Messdiener tätig waren, das Image der Langweiligkeit, Bravheit und Langsamkeit. Es gilt nicht gerade als schick, sich dort zu engagieren. Die Befragten erwarten nicht unbedingt, dass sie dort spannende Leute treffen, die innovativ sind und sie selber weiter bringen. Hier müssen wir ansetzen.

KNA: Gefragt wurde auch nach dem Medienverhalten...

Tänzler: Ganz klar wird, dass das Internet für viele Jugendliche die wichtigste Form der Kommunikation ist. Darauf werden wir sicherlich mehr Rücksicht nehmen müssen. Sinus fragt sogar, ob der BDKJ sich nicht zu einer Internet-Community für katholische Jugendliche weiterentwickeln könne. Ganz so weit würde ich aber nicht gehen. Wir können und wollen auf die direkte Begegnung in Gruppenstunden oder bei Events nicht verzichten. Bei den Jugendlichen gibt es den Wunsch nach beidem.

KNA: Die erste Sinus-Studie hat gezeigt, dass die Kirche nur noch in bestimmten Milieus Chancen hat. Wie sieht das bei den Jugendlichen aus?

Tänzler: Ganz ähnlich. Von den sieben Milieus erreichen wir drei, die "traditionellen", die "bürgerlichen" und die "postmateriellen" Jugendlichen. Das Problem dabei: Laut Studie werden diese Milieus deutlich kleiner. Das bedeutet für Kirche und katholische Jugendverbände, dass ihnen noch mehr junge Menschen wegbrechen. Dagegen wird das moderne Milieu der "jugendlichen Performer" immer mehr zum Leitmilieu mit einem großen Anteil gut ausgebildeter und ehrgeiziger Jugendlicher. In dieser Gruppe sind wir wenig vertreten. Dort sieht Sinus für BDKJ und Misereor Chancen und großen Handlungsbedarf.

KNA: Das gilt für Misereor und BDKJ gleichermaßen?

Antkowiak: Misereor hat es laut Studie etwas einfacher, weil es bei unserer internationalen Orientierung sowie bei Werten und Zielen eine große Übereinstimmung mit Jugendlichen aus diesen Gruppen gibt.
Allerdings bestehen doch große Informationsdefizite.

KNA: Was also tun?

Tänzler: Laut Sinus ist die Gretchenfrage: Was haben die Jugendlichen davon, sich bei katholischen Jugendverbänden oder Misereor zu engagieren? Es muss ihnen etwas bringen, auch im Vergleich zu Greenpeace oder amnesty. Etwa einen konkreten Nutzwert, einen Gewinn an Ansehen bei interessanten Gleichaltrigen oder Vorteile im Lebenslauf. "Mit Kirche darf ich nicht Scheiße aussehen", so formuliert Sinus das drastisch. Nach außen, aber auch bei den 650.000 Mitgliedern der katholischen Jugendverbände müssen wir deutlicher machen, welche Vorteile ein Engagement bei uns bringt.

KNA: Diskutiert werden muss offenbar ja auch die Nähe zur Amtskirche?

Tänzler: Die Frage ist, wie wir einerseits als kirchliche Jugendverbände oder als Misereor unser kirchliches Profil behalten und auch missionarisch wirken können. Andererseits aber müssen wir so offen sein, dass wir auf die sehr unterschiedlichen Wünsche der Jugendlichen nach Sinn und Spiritualität eingehen können. Es ist wichtig, dass wir eigenständig sind. Und es gilt, eine Sprache zu finden, die Jugendliche nicht abschreckt, sondern in ihren Fragen ernst nimmt.

KNA: Muss es das Ziel von Misereor und BDKJ sein, in allen Milieus präsent zu sein?

Antkowiak: Natürlich haben wir das Ziel, alle Milieus zu erreichen, zum Beispiel durch Jugendsozialarbeit auch die konsum-materialistischen Jugendlichen, die sonst mit Kirche und Jugendarbeit nur wenig im Sinn haben. Aber wir müssen auch auf dem Teppich bleiben und schauen, dass wir unsere Bodenhaftung nicht verlieren. Sinus mahnt uns, authentisch zu bleiben und uns nicht anzubiedern.

Interview: Christoph Arens (KNA)