Vor 25 Jahren publizierte der "Stern" die "Hitler-Tagebücher"

Geschichte, die Geschichte schrieb

"Die Geschichte des Dritten Reiches muss teilweise umgeschrieben werden." Dieser Satz war vor 25 Jahren, am 25. April 1983, im Editorial des "Stern" zu lesen, der ausnahmsweise an einem Montag erschien. Diese Behauptung sollte den damaligen Chefredakteur Peter Koch bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1989 verfolgen, denn er galt einem journalistischen Coup, der sich bald als die blamabelste Fehlleistung der deutschen Pressegeschichte erweisen sollte: die Veröffentlichung der vermeintlichen Tagebücher von Adolf Hitler.

Autor/in:
Peter Kohl
 (DR)

Nicht weniger als 9,3 Millionen Mark hatten das Magazin beziehungsweise der Verlag Gruner und Jahr dem Reporter Gerd Heidemann überlassen, um die vermeintlichen Aufzeichnungen aus der Hand Adolf Hitlers zu erstehen. Seine Quelle hat Heidemann bis zum Schluss für sich behalten. Es war der Kunsthändler und Kunstfälscher Konrad Kujau, der mit eigener Hand die heiß begehrten Kladden vollgeschrieben hatte. Das brachte Kujau 1985 eine Verurteilung zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe ein und bescherte ihm zudem eine gewisse Popularität, von der er nach der Verbüßung der Haftstrafe als Galerist, Gastronom, vor allem als Verkäufer echter Kujau-Fälschungen zehrte. Kujau erlag 2000 einem Krebsleiden.

Zu zwei Monaten Haft mehr wurde der betrogene Betrüger Heidemann verurteilt, der Kujau nur einen Bruchteil der genannten Summe ausgehändigt haben soll. Am 25. April 1983 war Heidemann der Star. Das Bild, auf dem er während der Pressekonferenz die Kladden stolz hoch hielt, ging um die Welt. Kaum einer fragte, was die Fraktur-Buchstaben F und H auf den Umschlagseiten bedeuten sollten. Führerhauptquartier? Oder Führer Hitler? So raffiniert das Betrugsmanöver eingefädelt war, so durchsichtig war es zum Teil auch.

Kujau hatte sich für sein Lügengebilde vor allem des Buches von Max Domarus "Hitlers Reden und Verlautbarungen" bedient und auch dessen Fehler und Ungenauigkeiten übernommen. Dennoch gab es Fachleute wie den renommierten britischen Historiker Hugh Trevor-Roper, die die Echtheit der Tagebücher bezeugten, bis der Schwindel durch ein Gutachten des Bundeskriminalamts am 6. Mai 1983 aufflog. Eine weitere Ausgabe des "Stern" mit dem Titel "Der Fall Heß" war bereits erschienen. Der Druck des Magazins mit der Folge 3 der Tagebücher wurde unverzüglich gestoppt. Am Tag darauf erklärten die Chefredakteure Peter Koch und Felix Schmidt ihren Rücktritt, Heidemann wurde fristlos entlassen. "Stern"-Gründer Henry Nannen, der als Herausgeber seinem Lebenswerk verbunden geblieben war, wusch seine Hände in Unschuld.

Stück aus dem Tollhaus
Die unfassliche Geschichte wirkt wie ein Stück aus dem Tollhaus mit extravagantem Ensemble: ein Reporter mit Nazi-Tick, stolzer Besitzer der Jacht von Hermann Göring, mit dessen Tochter Edda er einige Jahre liiert war; ein bauernschlauer Militaria-Händler und Kunstfälscher mit Beziehungen zu Altnazis; Experten, die die falschen Tagebücher mit von Kujau gefälschten Schriftstücken "aus des Führers Hand" verglichen, um die Echtheit des Machwerks zu beglaubigen - und nicht zuletzt mehrere hohe Herren beim "Stern" und im Verlagshaus Gruner und Jahr, die gutgläubig dem Sensationsreporter Heidemann auf den Leim gingen.

Auch das ZDF, das am 26. April 1983 sein Programm änderte und einen Film zeigte, in dem Kujaus Mär von dem gegen Kriegsende in Sachsen abgestürzten Flugzeug mit den Tagebüchern an Bord aufbereitet wurde, bekleckerte sich nicht mit Ruhm. Regisseur Helmut Dietl konnte 1992 für seine Filmsatire "Schtonk" mit vollen Händen aus der Wirklichkeit schöpfen.

Die Geschichte des "Dritten Reiches" musste nicht umgeschrieben werden. Dafür aber wurde die Geschichte des "Stern", die bis dahin eine Erfolgsgeschichte war, um ein Kapitel bereichert, das kein Ruhmesblatt war. Am 11. Juni 1985, nach dem Prozess gegen Kujau und Heidemann, war zu lesen, für den "Stern" gelte, "was Adolf Hitler alias Konrad Kujau unter dem 7. Dezember 1936 in sein Tagebuch schrieb: Die Schmerzen lassen etwas nach."