Die 100-Tage-Bilanz von Erzbischof Marx

Angekommen in München

Am Pfingstsonntag ist der neue Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, 100 Tage im Amt. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur zog der Westfale eine erste Bilanz und räumte dabei auch Inkulturationsprobleme ein - wenn auch nur beim Fußball.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, München feiert sein 850-jähriges Bestehen.
Haben Sie einen speziellen Wunsch an das Geburtstagskind?

Marx: Ja, dass es eine offene und liebenswerte Stadt bleibt, so wie ich sie kennengelernt habe in den ersten zwölf Wochen. Und dass sie ihre Geschichte, die eng mit dem christlichen Glauben verbunden ist, auch als Auftrag versteht. Der Name der Stadt kommt von Mönch, und ihr Wahrzeichen, das "Münchner Kindl", ist ja kein Kind, sondern von seinem Ursprung her ein Ordensmann, also gerade in Bayern ein Hinweis auf die Verbindung von Religion, Kultur und sozialem Handeln. Der Stadtgeburtstag sollte ein Anlass sein, darüber neu nachzudenken und diese Prägung auch wertzuschätzen. München ist jetzt meine zweite Heimat, der ich von ganzem Herzen Gottes Segen wünsche.

KNA: Wie schreitet Ihre Inkulturation voran? Können Sie sich schon freuen über den Pokalsieg der Bayern gegen Dortmund?

Marx: Noch nicht so ganz. Ich habe nur die Verlängerung gesehen und gebe zu, mir heimlich gewünscht zu haben, dass die Dortmunder auch mal wieder einen Titel gewinnen - nicht nur, weil ich Vereinsmitglied bin, sondern weil ich auch eine gewisse Option für die Schwächeren habe. Ich gönne aber den Bayern ihren Erfolg ohne Einschränkung.

KNA: Für Franz-Josef Strauß war das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten das schönste auf der Welt. Was können Sie nach 100 Tagen auf dem Stuhl des heiligen Korbinian sagen?

Marx: Ein Bischofsamt bringt wie jede Führungsaufgabe auch Ärger mit sich. Aber es ist auch immer wieder schön, in München und Freising ganz besonders: Gottesdienst zu feiern, durch die Landschaft zu fahren, mit Menschen zu reden und den Glauben zu teilen. So habe ich das Gefühl, ich gehöre nun hierher, mir wurde diese Aufgabe vom Papst zugetraut und anvertraut. Außerdem bin ich überzeugt, dass es sich um eine Berufung handelt, nicht nur durch eine menschliche Institution, sondern durch Christus selber. Deswegen habe ich sie auch gerne übernommen. Aber das Schönste auf der Welt? Ich glaube, nach dem Tod kommt noch etwas Schöneres.

KNA: Wir sitzen in Ihrem Büro im Münchner Ordinariat. So etwas hatte Ihr Vorgänger nicht. Wenn Sie am Ende eines Tages die Türe hinter sich schließen, haben Sie dann Feierabend?

Marx: Die Vorstellung ist mir fremd. Als Priester habe ich noch nie Dienst und Privatleben strikt getrennt. Meine Hauptarbeitsstätte ist auch nicht im Ordinariat, sondern in meinem Bischofshaus in Schwabing. Natürlich ist auch dort irgendwann Schluss. Um zehn Uhr verlasse ich meinen Schreibtisch, schaue vielleicht die Tagesthemen und bete mein Abendgebet. Den Sonntag halte ich bewusst von Aktenstudium frei. Die Gottesdienste, oft auswärts, empfinde ich nicht als Arbeit, sondern als Bereicherung. Und dann bleibt auch für die Erholung an Leib und Seele noch Zeit.

KNA: Die ersten Schlagzeilen haben Sie mit der Ankündigung neuer Seelsorgestrukturen gemacht. Wollen Sie jetzt alles umkrempeln?

Marx: Nein, nein. Ich kann auf viele Vorüberlegungen aufbauen. Aber die Zeit ist reif für die nächsten Schritte. Jetzt geht es darum: Wie können wir das schon Erarbeitete nachhaltig umsetzen und die Gemeinden einbeziehen? Wir dürfen nicht nur an Strukturen basteln, sondern müssen einen Diskussionsprozess über den gegenwärtigen Auftrag der Kirche in Gang bringen. Dabei haben wir Realitäten zu berücksichtigen, etwa die Abnahme der Katholikenzahl im Erzbistum um rund 400.000 in den letzten 20 Jahren. Wir dürfen unsere Kräfte nicht in Strukturen verzehren, die der Vergangenheit angehören, sondern müssen unsere Sendung für heute neu annehmen.

KNA: Verfügt Ihr Klerus über die nötigen Managerqualitäten, um Großpfarreien zu leiten? Und wie verträgt sich das mit dem Wunsch vieler Glaubender nach menschennahen Seelsorgern?

Marx: Nahe bei den Menschen zu sein oder Manager sein, ist keine Alternative. Es geht um das rechte Verhältnis von Nähe und Distanz.
Der Pfarrer ist nicht Manager, er ist der Hirte der Gemeinde. Er leitet sie durch die Feier der Eucharistie, nicht durch möglichst viele Sitzungen. Wobei es auch nicht nach der Devise gehen kann, möglichst viele Messen an möglichst vielen Orten zu feiern. Wir brauchen eine neue Sammlung des Gottesvolkes. Wir müssen missionarisch und einladend auf die Menschen zugehen, aber die Menschen müssen auch von sich aus etwas dazu tun und sich einladen lassen. Die Kirche ist keine Versorgungsanstalt für religiöse Bedürfnisse, sondern lebendige und aktive Gemeinschaft aller Getauften.

KNA: München zählt mit seiner Umgebung zu den reichsten Regionen Deutschlands. Aber auch hier gibt es wieder Armenküchen. Eine besondere Herausforderung für Sie als Sozialbischof?

Marx: Auf jeden Fall! Die Spannungen und Spaltungen zwischen Arm und Reich sind größer geworden, keine Frage. Deswegen müssen wir etwas tun, und auch über eine gerechte Verteilung und Beteiligung weiter nachdenken und das gegebenenfalls auch einfordern.

KNA: Die politische Landschaft in Deutschland sortiert sich neu. Wie wirkt sich ein Fünf-Parteien-System auf die Lobbyarbeit der Kirche aus?

Marx: Ob es leichter oder schwerer wird, wage ich nicht zu sagen.
Grundsätzlich müssen demokratische Parteien füreinander offen sein - das heißt fähig und willens, miteinander kompromissbereit Politik zu machen. Die Nähe zur Kirche bestimmen sie selbst. Da kann es sein, dass ein Anliegen wie etwa der Sonntagsschutz bei der einen Partei besser aufgehoben ist als bei der anderen. Was mich freut, ist, dass alle Parteien ein großes Interesse an regelmäßigen Gesprächen mit der Kirche zeigen. Aber es ist auch wichtig, dass wir in bestimmten Parteien, das ist besonders bei CDU/CSU der Fall, noch viele engagierte Christen haben, die auch kirchlich ansprechbar sind.

KNA: Auch bei den Linken gibt es Christen...

Marx: Von dieser Partei würde ich mir schon wünschen, dass sie ihre kommunistische Vergangenheit aufarbeitet und auch zu ihrem Versagen in der kommunistischen Diktatur steht. Ein Teil der Linken hat immerhin die Nähe zu einem totalitären System gesucht.

KNA: Sie schätzen kräftige Zigarren. Ihr Kommentar zum Rauchverbot in bayerischen Gaststätten?

Marx: Da halte ich mich zurück. Ich bin ein loyaler Staatsbürger. Wenn das Parlament entscheidet, folge ich gern - solange mir meine Privatsphäre erhalten bleibt.