Ausblick auf das Programm der Filmfestspiele in Cannes

Kino und Revolte

Eigentlich ist es auf dem Festival von Cannes, das am Mittwochabend zum 61. Mal den Vorhang hebt, nicht anders als auf anderen großen Filmfesten: Kunst und Kommerz liegen miteinander im Clinch. Während auf der Croisette die Blockbuster der Saison ihre Flaggen aufziehen, kämpfen in den verschiedenen Sektionen kleine Produktionen aus Singapur oder den Philippinen um die Aufmerksamkeit. Das Schöne an Cannes ist indes: Für den Zuschauer lohnt sich dieser Krieg meistens.

Autor/in:
Sabine Horst
 (DR)

Zuweilen machen nicht die üblichen Verdächtigen das Rennen, sondern die Kinematographie eines "randständigen" Landes gerät in den Fokus - ausgerechnet im letzten Jahr, zum 60. Jubiläum des bedeutendsten Filmevents der Welt, war das Rumänien.

Für erhebliches Blockbustergefühl wird in diesem Jahr Steven Spielberg sorgen, der seit "E.T." keinen Film mehr in Cannes hatte und mit seinem vierten "Indiana Jones"-Abenteuer erwartet wird - außer Konkurrenz. Als Special Screening läuft auch der neue Woody Allen, "Vicky Cristina Barcelona", ein Film, der eigens gemacht scheint, um den roten Teppich zu veredeln: mit den Hauptdarstellerinnen Penélope Cruz und Scarlett Johansson.

Schwergewichtige Themen
Dann wird es aber auch schon ernst. Unter den 22 Produktionen in der Konkurrenz widmet sich eine ganze Reihe schwergewichtigen Sujets. Allen voran Steven Soderberghs großangelegtes biografisches Projekt über Ernesto "Che" Guevara: zwei Filme, von denen der erste um die kubanische Revolution kreist ("Che") und der zweite um den Versuch, die Revolte nach Südamerika zu exportieren ("The Argentine").

Ein anderer Titel aus dem starken amerikanischen Angebot im Wettbewerb, Clint Eastwoods "Changeling", mag auf den ersten Blick wie ein Thriller aussehen, weitet aber seine auf einem wahren Fall basierende Geschichte einer Mutter, die im Los Angeles der Depressionsära nach ihrem verschwundenen Sohn sucht, ebenfalls ins Grundsätzliche: eine Hinterfragung des Justizsystems.

Mit Jia Zhangke ist ein offener Kritiker der chinesischen Modernisierungspolitik in der Konkurrenz vertreten - in "24 City" verfolgt der Regisseur, der vor zwei Jahren den Hauptpreis in Venedig erhielt, vier Frauenschicksale vor dem Hintergrund der Urbanisierung im China der 50er Jahre. Der Brasilianer Fernando Meirelles ("Der ewige Gärtner") hat mit "Blindness" einen Roman des portugiesischen Nobelpreisträgers José Saramago verfilmt, in dem eine ganze Stadt von einem Virus mit Blindheit geschlagen wird - der Film wird den Wettbewerb eröffnen.

Deutschland stark präsent
Aus Italien kommt Paolo Sorrentinos "Il Divo", eine kritische Auseinandersetzung mit Giulio Andreotti. Israel hat den vielleicht ungewöhnlichsten Beitrag eingereicht: "Waltz With Bashir" ist ein animierter Dokumentarfilm, in dem Regisseur Ari Folman das traumatische Erlebnis des Massakers von Sabra und Schatila verarbeitet. Weitere Wettbewerbsbeiträge kommen von Laurent Cantet ("Entre les murs") und Arnaud Desplechin ("Un conte de noel"), beide für Frankreich, von dem Kanadier Atom Egoyan ("Adoration") und den Belgiern Jean-Pierre und Luc Dardenne ("Le Silence de Lorna") - fast alle sind alte Hasen in Cannes.
Das kann man erst recht von Wim Wenders sagen, der bereits zum siebten Mal das Festival bereist. Sein neuer Film "Palermo Shooting", in dem der Tote-Hosen-Sänger Campino als erfolgreicher Fotograf in Sizilien eine Auszeit nimmt, wird im Wettbewerb gezeigt. Überhaupt dürfen die Deutschen in diesem Jahr mit ihrer Präsenz an der Croisette recht zufrieden sein. Drei weitere Wettbewerbsbeiträge sind deutsche Ko-Produktionen. Andreas Dresen ("Sommer vorm Balkon") stellt in der Sektion Un Certain Regard "Wolke 9" vor, die Geschichte einer Liebe im hohen Alter. Regisseur Fatih Akin, im letzten Jahr mit dem Drehbuchpreis für "Auf der anderen Seite" ausgezeichnet, präsidiert der Sektion. In die Internationale Jury unter dem Vorsitz von Sean Pean wurde die Schauspielerin Alexandra Maria Lara bestellt.

Erinnerungen an 1968
Alles in allem passt das Programm mit seiner engagierten Ausrichtung ganz gut zum Jubiläum der 68er-Revolte. Und eine schöne Idee ist es, im Rahmen der Cannes-Klassiker-Reihe auf dieses Jahr zurückzublicken. Damals war das Festival im Gefolge der Mai-Unruhen abgebrochen worden. Studenten hatten in Cannes gegen die Entscheidung protestiert, Henri Langlois als Direktor der Cinémathèque Francaise abzulösen, und Nouvelle-Vague-Regisseure wie Jean-Luc Godard und Francois Truffaut solidarisierten sich. Eine Auswahl der Filme, die 1968 nicht mehr gezeigt werden konnten, wird nun vorgeführt, darunter Arbeiten von Carlos Saura, Alain Resnais und Claude Lelouch.

Die letzte Vorstellung hat Cannes dann wieder an Hollywood verschenkt. Am 25. Mai schließt das Festival mit einer Außer-Konkurrenz-Vorführung von Barry Levinsons "What Just Happened", der Verfilmung eines Buches, in dem sich der Filmproduzent Art Linson an gute und schlechte Tage in der Traumfabrik erinnert.