Nach dem Erdbeben: Zukunft planen, zum Glauben bekennen

In Zelten zurück in den Alltag

"Unsere Kirche war die schönste und größte in Westchina", sagt Jia Li. Die 41-jährige Frau gehört zum Gemeindevorstand der protestantischen Kirche von Dujiangyan in der Provinz Sichuan. Die Stadt liegt 60 Kilometer vom Epizentrum des Erdbebens entfernt. Durch das Kirchengebäude, ein großes hellgelbes Eckhaus mit hohem Turm, ziehen sich Risse. In der Wand klafft ein Loch. Ein schlichtes Kreuz ragt in den Himmel.

Autor/in:
Jutta Lietsch
 (DR)

In der Gebetshalle im ersten Stock ist ein Stapel Bibeln auf den Holzbänken verrutscht. «Seien Sie vorsichtig, das ist da oben nicht sicher», ruft Jia. Zwei Wochen nach dem großen Erdbeben beginnt die Stadt Dujiangyan sich auf eine schwierige Zukunft vorzubereiten. Kaum ein Gebäude überstand die schweren Erschütterungen und die vielen Nachbeben ohne Schäden.

Gegenüber der Kirche bearbeiten Angestellte der Versicherungsfirma «China Life» die Anträge ihrer Kunden im Freien unter einem Sonnenschirm. Daneben hockt ein Schuhhändler mit seiner aus dem zerstörten Laden geretteten Ware. Überall an den Straßenrändern versuchen die Menschen, in Zelten und unter Plastikplanen in den Alltag zurückzukehren.

Plakate und Hilfsmittel im Keller
Im Erdgeschoss der Kirche in der Neuen Straße Nr. 2 lagern Pakete mit religiösen Schriften neben Kisten voller Hilfsgüter: Mineralwasser, Medikamente, Kleider. «Die Hilfsbereitschaft ist groß, wir bekommen Spenden von Protestanten aus ganz China», sagt die 31-jährige Pfarrerin Du Xiaolin. Mindestens sechs Gemeindemitglieder sind durch das Beben umgekommen.

Die Protestanten von Dujiangyan tragen in diesen schweren Tagen ihren Glauben nach außen, und niemand nimmt daran Anstoß. Auf ihren T-Shirts steht: «Jesus liebt Dich» oder «Lobpreiset Gott». Einige Gläubige sind aus Gemeinden in Kanton, Shanghai und Peking angereist. Sie gehören zum großen Heer der Freiwilligen, die aus ganz China in die Erdbebenregion eilten. Eine Welle der Solidarität und des Mitgefühls hat das Land erfasst.

Nicht nur die Christen in Dujiangyan, sondern auch die Angehörigen der anderen Religionsgemeinschaften, die Peking offiziell anerkennt - Buddhisten, Taoisten und Muslime - verstehen ihre Hilfe aber auch als religiöse Botschaft, die sie dezent vertreten. Mission ist in China nicht erlaubt. «Wir helfen allen, nicht nur unseren eigenen Leuten, und erfahren große Dankbarkeit», sagt Kirchenvorstand Jia.

Erst vor sechs Jahren war die protestantische Gemeinde in ihre neue Kirche gezogen, aus einem baufälligen Gebäude am anderen Ende der Stadt. «Wir haben rund 1.000 Mitglieder», berichtet Pfarrerin Du. «400 kommen regelmäßig am Sonntag zum Gottesdienst.» Unter der Woche treffen sich die Gläubigen in acht Hausgemeinschaften, wie es in protestantischen Kirchen in China üblich ist.

Wie viele Christen es in Sichuan insgesamt gibt, ist nicht klar. Viele Protestanten - ebenso wie Katholiken - gehören nicht den staatlich anerkannten «Drei-Selbst» oder «patriotischen» Kirchen an. Sie ziehen es vor, unabhängig von der Kontrolle der Religionsbehörden zu bleiben. Pfarrerin Du schätzt die Zahl der Gläubigen in der Provinz auf etwa zehn Prozent der Bevölkerung, das wären acht bis neun Millionen Menschen. In der Stadt Dujiangyan leben rund 200.000 Menschen, in ihrem Umkreis weitere 400.000.

Mit der Religionsbehörde arrangiert
Dus Gemeinde hat sich mit den Religionsbehörden arrangiert. Im Vorraum der Kirche hängen staatliche Anordnungen und die «acht ehrenvollen und acht verabscheuungswürdigen» Prinzipien: Moralregeln von Staats- und Parteichef Hu Jintao.

Etwa drei Jahre werde es dauern, bis die Stadt Dujiangyan wieder aufgebaut ist, heißt es in den Örtlichen Medien. Was aus der protestantischen Kirche wird, ist noch nicht entschieden. Zu retten wird sie wohl kaum sein, zu groß sind die Brüche im Mauerwerk. Jia spricht sich und ihren Freunden Mut zu: «Dann bauen wir eben eine neue Kirche, die wird noch stabiler und noch schöner.»

Die Gemeinderätin lebt inzwischen, wie Zehntausende in Dujiangyan, in einem Zelt. «Unsere Wohnung hat zu viele Risse, zurückzugehen ist zu riskant.» Blitzschnell errichten die Stadtbehörden derzeit Städte aus Zelten und Fertig-Notunterkünften. Kleine Lieferwagen, Fahrrad- und Motorrikschas kreuzen durch die Stadt, hoch beladen mit Möbeln, Koffern und Küchengerät, die sie aus den baufälligen Häusern geholt haben, und transportieren sie in die Notunterkünfte. Viele Fahrer haben sich ein Pappschild an die Lenkstange geklemmt: «Umzug».