Die Europäische Union berät die Strukturen ihres Asylsystems

Grundlagen auf dem Prüfstand

Die Grundlagen des EU-Asylsystems stehen auf dem Prüfstand. Am Dienstag will die EU-Kommission Vorschläge unterbreiten, wie es weitergehen soll. Für die geplante Harmonisierung des Asylrechts der 27 EU-Mitgliedstaaten sollen nicht nur neue Gesetze geschaffen, sondern auch die bestehenden reformiert werden. Ob es dabei nur zu Nachbesserungen der vorhandenen Regelungen kommt oder zu einer grundsätzlichen Änderung, wird sich erst später bei Verhandlungen der EU-Innenminister und des Europaparlaments zeigen.

 (DR)

Details der Pläne sind noch nicht bekannt. Die EU-Kommission hat aber bereits erklärt, dass sie ambitionierte Vorstellungen hat. Mehr Harmonisierung und zugleich besserer Schutz für Flüchtlinge seien das Ziel, erklärte EU-Kommissions-Expertin Angela Martini kürzlich in Brüssel. Auch die französische EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008 drängt auf gründliche Reformen.

Auf den Prüfstand kommt etwa das "Dublin-System", mit dem die EU-Staaten klären, welcher unter ihnen für ein Asylverfahren zuständig ist. Kirchen und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sowie
Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen kritisieren das System schon lange. Zu wenig würden humanitäre Aspekte beachtet, zu häufig Familien getrennt, und das Kindeswohl werde nicht ausreichend berücksichtigt.

Kritiker: Asylverfahren sind ein Lotteriespiel
Vor allem aber: Asylverfahren in der EU sind in den Augen der Kritiker ein Lotteriespiel. Iraker in Schweden werden fast immer als Asylbewerber anerkannt, in Griechenland praktisch nie. Tschetschenen geht es ähnlich, je nachdem, ob sie in Österreich - hohe Anerkennungsquoten - oder in der Slowakei - fast keine Anerkennung - Zuflucht suchen. Dass Asylbewerber da versuchen, entgegen der EU-Bestimmungen das Land zu erreichen, in dem ihre Chancen am besten stehen, hält nicht nur Chris Nash vom Dachverband der EU-Flüchtlingsorganisationen ECRE für verständlich.

Vor allem Griechenland war zuletzt wegen der dortigen Zustände mehrfach kritisiert worden, so unter anderem vom UNHCR. Der Nicht-EU-Staat Norwegen setzte Überstellungen von Asylbewerbern nach Griechenland aus, auch belgische Richter widerriefen jüngst eine geplante Abschiebung. Die EU-Kommission will deshalb auch Vorschläge für einheitlichere Standards der Asylverfahren machen, um die Anerkennungsquoten anzugleichen. Und dabei, so Kommissions-Fachfrau Martini, "geht es nicht um eine Angleichung nach unten".

Auch das Europaparlament befasst sich mit den geplanten Reformen.
Ein Berichtsentwurf der britischen Grünen Jean Lambert zieht in Zweifel, dass das "Dublin-System" zur Überstellung von Asylbewerbern an einen anderen EU-Staat "überhaupt für den vorgesehenen Zweck geeignet ist". In jedem Fall müsse garantiert werden, dass Asylbewerber ein echtes Verfahren erhielten. Keiner dürfe aus Verfahrensgründen ausgeschlossen werden. Das Parlamentsplenum wird sich voraussichtlich im September mit dem Forderungskatalog der Abgeordneten befassen.

Die bisherigen Regelungen taugen nur bedingt
Sicher ist: Die bisherigen Regelungen für Überstellungen von Asylbewerbern an den Ersteinreisestaat taugen nur bedingt: Mehrfachanträge von Asylbewerbern haben seit Einführung des Systems stetig zugenommen - obwohl genau sie verhindert werden sollten. Und von rund 40.000 möglichen Überführungen von Asylbewerbern in einen anderen EU-Staat fanden nur knapp 17.000 auch statt. Eine gerechte Lastenteilung beim Asyl kann und sollte das System ohnehin nicht leisten. Die aber wird von den heutigen Grenzstaaten immer heftiger gefordert.

Chancen für gründliche Reformen gibt es, weil sich die Voraussetzungen inzwischen verändert haben: Als die geltenden EU-Asyl-Regeln verabschiedet wurden, war Einstimmigkeit im EU-Ministerrat erforderlich und das Europaparlament wurde nur angehört. Mehr als eine Einigung auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner war da nicht möglich. Jetzt stimmen die EU-Minister mit qualifizierter Mehrheit ab und das Europaparlament entscheidet gleichberechtigt mit.