Zu den Hintergründen der Krise der anglikanischen Kirche

Zwischen Toleranz und Tradition

Es sind wieder dramatische Tage in der anglikanischen Kirche. Schon oft in den vergangenen Jahren stand das Menetekel einer Kirchenspaltung an der Wand. Schon oft ist es Rowan Williams, dem liberalen Ehrenprimas der rund 78 Millionen Anglikaner weltweit, gelungen, das allzu straff gespannte Band der Einheit durch immer kunstvollere Kompromissformeln doch noch vor dem Zerreißen zu bewahren.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Doch nun, kurz vor der Lambeth-Konferenz im Juli, dem obersten Beschlussgremium der anglikanischen Weltgemeinschaft, scheint der Erzbischof von Canterbury mit seinem Latein am Ende. Das konservative Kirchenlager um Williams' Antipoden und Primas von Nigeria, Erzbischof Peter Akinola, ging am Donnerstag mit der Erklärung an die Medien, dass es «keine Hoffnung mehr» für die Wahrung der Gemeinschaft mit den Liberalen sehe.

Die Wut der Traditionalisten über fehlende Kirchendisziplin in Europa und Amerika ist seit langem angestaut - und entlädt sich zwar immer wieder auch in wortgewaltigen Statements. Aber diesmal ist die Lage brenzlig. Denn in den kommenden Wochen stehen zwei entscheidende internationale Konferenzen an: Ab Sonntag werden die Konservativen beim Gipfel zur Zukunft der anglikanischen Weltkirche (GAFCON) in Jerusalem und Amman mutmaßlich ihren Kurs bei der Lambeth-Konferenz abstecken. Die tagt nur alle zehn Jahre - und wo, wenn nicht dort, soll die Entscheidung über Wohl und Wehe, Einheit oder Spaltung der anglikanischen Weltgemeinschaft fallen? Alle Kompromisse jedenfalls, alle Drohungen und Provisorien in Wort und Tat waren immer auf Lambeth 2008 ausgerichtet.

Als Spaltpilz machen die Analysten in der Rückschau die Bischofsernennung des bekennend homosexuellen Gene Robinson 2003 aus, der übrigens - uneingeladen - trotzdem bei der Lambeth-Konferenz auftauchen will. Zuletzt machte am Wochenende das öffentliche Ja-Wort zweier homosexueller anglikanischer Geistlicher in einer Kirche der Londoner City Schlagzeilen. Freilich gab es neben dem Thema Homosexualität schon früher auch andere Bau- und Bruchstellen zwischen den beiden Flügeln: die Priesterinnen- oder Bischöfinnenweihe etwa, die in vielen bzw. einigen Nationalkirchen praktiziert wird.

Seit die geschwisterliche Einheit derart in Schieflage geraten ist, befindet sich die anglikanische Weltgemeinschaft auf einer Art Rutschbahn - wobei die Extreme beider Lager darauf bestehen, das Prinzip der christlichen Nächstenliebe bestmöglich umzusetzen: die einen durch eine Priorität auf Modernität und Toleranz, die anderen auf der Bewahrung der Tradition.

Die Lambeth-Konferenz wird mutmaßlich die Klärung vieler offener Fragen erleben - auch von teils abstrusen Behelfskonstruktionen.
Dazu gehören etwa kirchliche Parallelstrukturen wie US-Gemeinden, die sich afrikanischen Erzdiözesen angeschlossen haben, weil sie nicht von einheimischen Bischöfinnen, liberalen Bischöfen oder Pfarrern geleitet werden wollen. Betreut werden sie von sogenannten Fliegenden Bischöfen, die buchstäblich irgendwo aus Amerika zur Seelsorge oder Sakramentenspendung einfliegen.

An der Frage von Spaltung oder Bewahrung der Gemeinschaft entscheidet sich womöglich auch die Zukunft ihres Ehrenoberhauptes.
Erzbischof Williams sitzt zwischen allen Stühlen: Den Konservativen ist er zu liberal - das war schon bei seiner Wahl 2002 klar. Und den Liberalen gefällt nicht die Pendeldiplomatie, mit der er sich - einem Hirten eigentlich sehr angemessen - bemüht, die auseinanderdriftenden Flügel vor dem endgültigen Bruch zu bewahren.

Konservative Blogger sägen schon eifrig an seinem Stuhl und spekulieren, ein «besiegter, wenn nicht gebrochener» Primas könnte bei der Lambeth-Konferenz das Handtuch werfen. Kein Zweifel: Rowan Williams ist die Symbolfigur der Sorge um Einheit. Er würde das prominenteste Opfer einer Spaltung werden.