Interview mit einem Urlaubsseelsorger

Wegbegleitung für Getriebene

Sommer, Sonne, Strand: In der Urlaubssaison stehen für die meisten Menschen Erholung und Spaß auf dem Programm. Doch nicht immer bleiben die Ferien konfliktfrei. Hilfestellung bei Sorgen und Nöten bietet die Urlaubsseelsorge. Im Ostseebad Damp kümmert sich Kurseelsorger Georg Hillenkamp um die Feriengäste. Ein Interview über gestiegenen Beratungsbedarf und Strand-Begegnungen.

Autor/in:
Steffen Zimmermann
 (DR)

KNA: Herr Hillenkamp, die Urlaubszeit gilt bei vielen als die schönste Zeit des Jahres. Fernab der Heimat wollen die Menschen entspannen und die Sorgen des Alltags vergessen. Warum braucht es in dieser Zeit ein seelsorgerisches Angebot?

Hillenkamp: Weil die Urlaubszeit für viele Menschen eben nicht die schönste Zeit des Jahres ist, sondern eine Zeit, an die im Vorfeld hohe Erwartungen geknüpft werden, die dann vielfach unerfüllt bleiben. Alle Hoffnungen und Wünsche werden in die kurze Ferienzeit projiziert. Ehe, Familienleben, Partnerschaft, Sexualität - in den Ferien soll all das plötzlich wunderbar funktionieren, was im Alltag allzu oft eben nicht mehr funktioniert. Und das ist eine deutliche Überforderung, die im Urlaub immer wieder zu Krisen führt.

KNA: Statistiken besagen, dass die Scheidungsraten insbesondere nach den langen Sommerferien immer wieder deutlich in die Höhe gehen. Ist die von Ihnen beschriebene Überforderung der Urlaubszeit dafür ein entscheidender Grund?

Hillenkamp: Ja, denn viele Paare, die es noch einmal miteinander versuchen möchten, haben oftmals die Erwartungshaltung, dass im Urlaub alles wieder in Ordnung kommt. All das, was eigentlich im Alltag geleistet werden müsste, soll der gemeinsame Sommerurlaub richten. Diese Überforderung der Ferienzeit führt in der Konsequenz oftmals zur Scheidung.

KNA: Hat die Urlaubsseelsorge also vorrangig die Aufgabe einer Paartherapie?

Hillenkamp: Nein, natürlich nicht. Aber die Auseinandersetzung mit Krisen in Ehe und Partnerschaft ist ein wichtiges Arbeitsfeld der Urlaubsseelsorge, das auch sehr stark nachgefragt wird. Bei der Beschäftigung mit solchen Krisen zeigt sich im Übrigen ein grundsätzlicher Vorteil der Urlaubsseelsorge: Die Menschen sind im Urlaub meist deutlich offener und gesprächsbereiter als in ihrer heimatlichen Umgebung. Dies liegt zum einen daran, dass sie in den Ferien von der Last und den Normen des Alltags befreit sind und sich damit stärker mit ihrer persönlichen Situation beschäftigen können.
Zum anderen können sie sich im Urlaub an einen Seelsorger wenden, den sie nach den Ferien nicht wiedersehen - zumindest dann nicht, wenn sie dies nicht ausdrücklich wollen. Die eigenen Probleme und Sorgen zu thematisieren, erfordert sehr viel Mut. Und den bringen viele Menschen eben eher gegenüber jemandem auf, der nicht zu ihrem privaten Umfeld zählt. Die Urlaubsseelsorge senkt also die Hemmschwelle, sich mit den eigenen Krisen auseinanderzusetzen und nach Lösungen zu suchen.

KNA: Sind sie als Seelsorger also ein Problemlöser?

Hillenkamp: Nein, als Problemlöser würde ich mich nicht bezeichnen.
Lösen müssen die Menschen, die sich mir anvertrauen, ihre Probleme schon selbst. Aber vielen hilft es auf dem Weg zu einer Lösung ungemein, wenn man eine neutrale Person hat, mit der man über die eigenen Sorgen und Nöte sprechen kann. Ich stelle im Übrigen immer wieder fast, dass die Kirche in solchen Fragen nach wie vor einen großen Vertrauensvorschuss genießt.

KNA: Abgesehen von der Hilfe für gestresste Paare: Was kann Urlaubsseelsorge sonst noch leisten?

Hillenkamp: Eigentlich kann und soll sie genau das leisten, was Kirche sonst auch leisten soll. Kirche sollte immer da sein, wo Menschen sich versammeln. Urlaub - egal, wie man ihn verbringt - ist immer auch eine Form der Sinnsuche, deshalb muss die Kirche dort ebenso vor Ort sein und den Menschen Halt bieten, wie sie dies beispielsweise auch im Gefängnis oder im Krankenhaus tut. Die Urlaubsseelsorge will eine pastorale Wegbegleitung der Menschen sein und sie dazu anstiften, sich selbst zu finden und die Beziehung zu ihren Mitmenschen, zur Umwelt, zur Schöpfung und zu Gott in eine Balance zu bringen.

KNA: Hat der Bedarf an Seelsorge in den vergangenen Jahren zugenommen?

Hillenkamp: Ja, der Bedarf ist heute größer als noch vor ein paar Jahren. Dies liegt aber nicht in erster Linie daran, dass die Menschen heute mehr Probleme haben als früher. Entscheidender ist, dass im Alltag heute immer weniger Zeit bleibt, sich in Ruhe mit seinen ganz persönlichen Sorgen und Nöten auseinanderzusetzen. Zeit ist in unserer Gesellschaft ein limitiertes Gut. Viele Menschen sind in ihrem Alltag Getriebene, die aufpassen müssen, dass ihnen die Probleme nicht über den Kopf wachsen. Umso wichtiger ist es, dass die Urlaubsseelsorge diesen Menschen ein Angebot macht, sich Zeit nimmt und ihnen zuhört.

KNA: Wie sind die Reaktionen auf ihr Angebot?

Hillenkamp: Ganz unterschiedlich. Viele Menschen mit einem kirchlichen Hintergrund empfinden das Angebot als eine Selbstverständlichkeit. Andere wiederum sind überrascht, dass Kirche im einem Urlaubsort wie Damp präsent ist. Die meinen dann, die Kirche hätte doch eigentlich wichtigere Dinge zu tun, als sich um gestresste Urlauber zu kümmern.

KNA: Wie hat man sich ihre Arbeit im Alltag vorzustellen? Gehen sie am Strand entlang und sprechen gezielt Menschen an, oder kommen die eher von sich aus zu ihnen?

Hillenkamp: Sowohl als auch. Die Menschen, die von sich aus zu mir kommen, tun das mit einer ganz klaren Erwartung und wollen reden.
Das andere sind die zufälligen Begegnungen im Ort oder aber tatsächlich am Strand, wo man Menschen trifft und mit ihnen ins Gespräch kommt.

KNA: Was sind das für Menschen, die sich an sie als Urlaubsseelsorger wenden?

Hillenkamp: Das ist vollkommen unterschiedlich. Natürlich sind die Menschen stärker vertreten, die auch sonst einen Bezug zur Kirche haben. Aber es sind auch Personen dabei, die zu Hause mit Kirche sonst nichts am Hut haben und die im Urlaub das erste Mal Kontakt zu einem Seelsorger suchen.

KNA: Was unterscheidet die Seelsorge in Urlaubsgebieten von der Seelsorge in anderen Gemeinden?

Hillenkamp: Die Seelsorger in den klassischen Gemeinden außerhalb der Feriengebiete haben den Vorteil, dass sie auf eine feste Struktur und feste Termine im Kirchenjahr zurückgreifen können. Das haben wir hier nicht. Wir müssen in der Ferienzeit jedes Mal neue Angebote machen und uns überlegen, auf welche Weise wir die Menschen ansprechen können. Wir müssen auf uns und unser Seelsorgeangebot aufmerksam machen, nur dann kommen die Menschen auch zu uns. Die Urlaubsseelsorge ist eine Gemeinde auf Zeit und erreicht auch Menschen, die mit Kirche sonst nichts zu tun haben. Das finde ich immer wieder sehr spannend.