Freitag, 04.06.2008

Endlich in Australien!

Maria stimmt das Lied an: "Auf geht’s , ab geht’s, drei Tage wach." Es gibt nicht wenige, die sich heute diesem Refrain in aller Aufrichtigkeit anschließen. Eine schlaftrunkene Bande schleicht sich über den Flughafen in Melbourne, Ortszeit sechs Uhr in der Früh, innere Uhrzeit 11 Uhr Abends in Deutschland, dazu das ungewohnte Klima, die Sonne geht gerade auf, das heißt sie kommt nicht so richtig dazu, denn eine graue Suppe versperrt ihr den Weg, Temperatur keine acht Grad.

Wie Fischstäbchen liegen sie alle  nebeneinander auf dem Gepäckband (DR)
Wie Fischstäbchen liegen sie alle nebeneinander auf dem Gepäckband / ( DR )

Bevor wir aber die frische Morgenluft in Melbourne atmen, verlangt die Einreisebehörde, dass wir eine komplizierte Karteikarte ausfüllen. Was die alles wissen wollen? Nicht nur ob wir Waffen dabei haben, sondern Äpfel oder Tierfelle, Medikamente oder Drogen, wie viel Kaffe und wie viel Tee? Obwohl alle ermahnt werden, die einzelnen Fragen nicht ganz so genau zu nehmen, und einfach das NEIN zu markieren, (Sind sie vorbestraft?) gibt es bald Probleme. Man muss doch ehrlich sein, denkt ein Mädchen und kreuzt ein JA bei den möglicherweise mitgebrachten Tierfellen an, schließlich ist ihr Brustbeutel aus echtem Leder, jemand anderes will seine persönlichen Medikamente unbedingt ordnungsgemäß einführen. Beide werden aus der Schlange gewunken, genauso wie das Mädchen, das noch Nüsse im Rucksack hat, die hat der kleine Beagle (wie süß) mit der Supernase, die unser Gepäck abschnüffelt, schnell erschnüffelt. Leider darf er die Nüsse nicht einmal zur Belohnung auffressen, sie werden weggeworfen.

Lange müssen wir allerdings auf die zwei Pilger warten, die ihre Karten so überaus ehrlich, dafür aber lebensunerfahren ausgefüllt haben. „Mein Gott, das Leben lässt doch Spielraum", seufzt jemand: "wenn jeder sein Uhrenarmband aus Rindsleder als Tierfell deklariert hätte, ständen wir noch morgen hier". Zwei streng uniformierte Frauen motzen uns auch noch an, weil wir Photos im geheimen Sicherheitsbereich gemacht haben, wir versprechen die Bilder sofort zu löschen, das tun aber nur die Gewissenhaften, die anderen, die denken, es gibt einen Spielraum im Leben, tun das nicht und kommen damit natürlich durch. Die Bilder sind aber auch wild und aufregend.

Die Jungs hatten damit angefangen, das Laufband für die Gepäckstücke zu stürmen und wenig später liegen alle wie die Fischstäbchen nebeneinander auf dem Gepäckband und johlen aufgekratzt in die Kameras. Pfarrer Meiering hat da lieber kurz weggeschaut. Aber gut, endlich ist es soweit, die Gewissenhaften sind wieder frei gelassen worden und kehren zur Gruppe zurück.

Herzlicher Empfang durch eine kleine Kölsche Delegation. Jugendpfarrer Mike Kolb und Ute Schmitz vom Ferienwerk lotsen uns gut gelaunt in den bereit stehenden Bus, der fährt uns zum St. Monicas College in einem Vorort von Melbourne, Epping heißt der. Alles wirkt sehr amerikanisch, die Einkaufsmall in einem Gebäudeklotz, mächtig und phantasielos wie eine Fabrikhalle, die kleinen einstöckigen Häuser fast wie in einem deutschen Schrebergarten, die breiten Straßen und die Parkplätze so groß wie Fußballfelder. Direktor Brian empfängt uns auf einem solchen Parkplatz. Neben ihm steht der lächelnde Father Eugene, der aussieht wie man sich einen  irischen Paten im Film vorstellt. Also schon Pate, das heißt große italienische Geste, aber mehlweiße Haut und strohig rotes Haar.

Für einen Iren ist er auch viel zu rund. Seine Mutter kommt aus Irland, der Vater aus dem Libanon, erzählt er. Eugene trägt eine Brille mit getönten Gläsern, er hat bauernschlaue lustige Backen, einen kleinen Bauch und einen gekämmten roten Spitzbart. Seinen festen irischen Glauben, seine Wurzeln, die Jesus und die Kirche sind, zeigt er mit seinem goldenen Christus Ring am Ringfinger. Der Originalpate hat da natürlich einen Siegelring. So einen Jesus-am-Kreuz-Ring habe ich noch nie gesehen, Christus krümmt sich am Kreuz um den gesamten Ringfinger, sehr plastischer Corpus, man muss einfach hingucken, besonders wenn Father Eugene sich mit seiner Hand durch den Bart fährt:  

„It causes me headache", seufzt er nicht ganz ernst gemeint. Bis vor zwei, drei Wochen habe sich, so erklärt der Geistliche, noch kein australischer Jugendlicher auch nur einen Pfifferling für den Weltjugendtag interessiert. Die Anmeldezahlen seien tief unten im Keller gewesen. Doch jetzt, da die munteren Pilger aus der ganzen Welt eintreffen, finden das die Mädchen und Jungs aus Australien auf einmal spannend und wollen wissen wer das ist und wollen auch in Sydney dabei sein. „Lot,s of last minute pilgrims from Australia," müssen jetzt nachnominiert werden.  Aber Father Eugene wird das sicher hin kriegen, er kennt Gott und die Welt in Australien und wird alle Pilger aus seinen Gemeinden irgendwo unterbringen. Die Turnhalle, in der wir vier Nächte schlafen, ist durch einen blauen Plastikvorhang zweigeteilt, drüben die Mädchen, hier die Jungen. Imposant wie fix die Männer eine Wagenburg aus Stühlen und dazwischen gespannt deutsch, kölschen Flaggen bauen, unter dem Basketballkorb hängt hoch oben eine Düsseldorfer Flagge, sonst ist das rot-weiß der Kölner dominierend, aber auch viele schwarz-rot-goldene Vize-EM-Meister-Farben. Bei den Mädchen hängt kein einziges Fähnchen.

Welch eine Premiere für mich. Wann habe ich das letzte Mal mit über einhundert Menschen in einer Turnhalle übernachtet. Aber die Pfarrer, Patres und anderen Betreuer habe da keine Bedenken, natürlich wird geschnarcht, versprechen sie, und haben, erfahren wie sie sind, Ohropax eingepackt, aber ich bin nicht geräuschempfindlich, glaube ich. Und dann die Sache mit den Duschen, sie sollen eiskalt sein. Jemine. Ich dachte ich sei um die Härten des Bundeswehralltags herum gekommen, bin ausgemustert worden, und nun das. Aber Fahnenflucht gilt nicht, wäre jetzt ohnehin zu spät. Nur einen Schlafsack benötige ich noch, den werde ich gleich in Melbourne kaufen. Für alle Ü 30 Gäste gibt es Gymnastikmatten als Matratze, das beruhigt ein wenig. Auf die mir zugeteilte Turnmatte würde ich mich am liebsten auch gleich fallen lassen, einfache Rolle rückwärts in den Tiefschlaf, doch das geht nicht, durchhalten bis zum Abend wird empfohlen, Kampf dem Jet Lag, den wollen wir heute schon klein kriegen, also auf in die Stadt. Denn Epping selbst hat einen begrenzten Erlebniswert, der Supermarkt, Meckes natürlich, die Mall, das ist alles sehr praktisch aber sonst wenig reizvoll. Ziel ist also die Innenstadt. Vorher spendiert Schuldirektor Brian noch ein Frühstück. Für den deutschen Geschmack etwas sperrig. Jeder bekommt eine Plastiktüte mit einer Schachtel Cornflakes, einen Müsliriegel, Orangensaft. Das kräftigt. Brötchen und Brot? Ein mitteleuropäischer Luxus?

Mit der S-Bahn sind wir in 40 Minuten in der City. Das Erzbistum Köln bezahlt für jeden eine Zehnerkarte. Als hätte man uns etwas in den Tee geschüttet, eine gefährliche Betäubungspille, kauern wir schlaftrunken, fast bewusstlos in der Straßenbahn, die Köpfe abgeknickt, bei jeder Station aufschreckend, ist das schon die Flinders Street? Nach dem Aussteigen Gruppen bilden, keiner darf jetzt verloren gehen. Aber alle finden ihre Bezugspersonen, das ist wichtig, denn die Stadt ist riesig und dann auch noch Winterschlussverkauf, aber wer ist jetzt in Shoppinglaune. Um 17 Uhr beginnt die gemeinsame Messe in St. Augustin, bis dahin bleibt Zeit, erste Eindrücke zu sammeln. Die Eurochequekarte funktioniert, endlich australische Dollars in der Hand, nicht leicht umzurechnen, für 6 Euro gibt es 10 Dollars. Für 100 Euro kaufe ich einen einfachsten  Schlafsack, doch entdecke zwei Geschäfte weiter einen Ausverkauf in einem Campingladen und einen wunderbaren Schlafsack für 50 Euro. Fragen kostet nichts, also gehe ich zurück und erkläre dem Verkäufer meine Situation. Der nette Typ sieht aus wie einer, der im Sommer mit dem Surfbrett unterm Arm, Menschen vor Haien rettet, die Bay Watch Kerle sind Plastik dagegen. „No Problem", ohne mit der Wimper zu zucken, gibt er mir meine einhundert Dollar zurück. Australien ist keine Servicewüste, denke ich, und kaufe den Schlafsack zum halben Preis.

17 Uhr. Treffpunkt: St. Augustin Church, die klein ist und aussieht, wie eine Playmobil oder Legokirche, schwarze Legos mit weißen Legos um Dach und Fenster gezogen. Der Turm wie ein Wehrturm aus einem Cowboyfort oder einer Burg mit Zinnen um die Aussichtsplattform. Überhaupt wirken die Kirchen zwischen den Hochhäusern in der Innenstadt von Melbourne  wie Zwergenkinder zwischen Basketballspielern.

St. Augustun innen, eine gemütliche Wohnzimmeratmosphäre, die Schritte federn auf weicher dunkelgrüner Auslegeware, an den Wänden stehen Heizlüfter, die Decke ist niedrig und aus schwarzem Eichenholz, farbenfrohe Heiligenfiguren sind vergnügte Farbtupfer. Die Holy Trumpets, vier Jugendliche mit ihren Hörnern, untermalen die Messe und halten uns wach. Da lassen doch nicht einige den Kopf sinken? Schläft da jemand ein? Ich will es nicht ausschließen:  „Auf geht;s ab geht,s, drei Tage wach." Weil aber auch alle tapfer durchhalten, gibt Pfarrer Meiering noch einen Drink aus, das heißt ein Drink ist es nicht, denn wir kehren bei einem muslimischen Inder ein, also kein Alkohol im Ausschank. Darauf kommt es jetzt nicht an. Auch so sind alle vor Müdigkeit von der Rolle, dass sie sich ganz ohne Bier wie benebelt fühlen. Ich bin froh zu wissen, dass auf dem Gelände vom St. Monica College Bier und Wein und Zigaretten streng verboten sind. Das kommt der Nachtruhe entgegen, den besorgten Eltern in Deutschland sicher auch. Und die Jugendlichen scheinen auch so beseelt und bester Dinge. Man merkt es auf der Rückfahrt in der S-Bahn nach Epping. Da wird es zum Abschluss des  Tages noch einmal richtig kölsch: „In unserem Veddel, da stehenn mer zusammen, egal was auch passiert … überall nur kölsche Tön."  Woher die Energie noch kommt. Wunderkräfte?

Dann die erste Nacht in der Turnhalle. Obwohl niemand mehr schwatzt oder flüstert, ist es nicht mucksmäuschenstill. Natürlich! Bei über einhundert Menschenkindern, da wird geschnarcht, bei den Jungs sechsstimmig, nur ein Mädchen hält dagegen. Eine kleine knatternd vorgetragene Nachtmusik untermalt von gedämpftem Atmen. Angerührt schaue ich auf die sieben Jungs, die sich in ihrer Wagen- oder Stuhlburg mit den deutschen Fahnen als Palisaden verschanzt haben, wie Kinder am Strand einen Sandwall um die eigenen sieben Sachen bauen. Ob sie davon träumen, dass Kängurus und Koala Bären angreifen könnten? Unter den mindestens zwanzig Fahnen ist auch eine gelb-weiße Vatikan Flagge gehisst. Die Priester und Betreuer haben keine Sandburg um ihre Isomatten gebaut, ganz ordentlich steht neben ihrem Schlafplatz ein grauer Plastikstuhl, als Nachttisch dient der, darauf kann man gut das Stundenbuch legen aber auch den safarifarbenen Pilgerhut.