Bonner Liturgiewissenschaftler Gerhards zur alten Messe

"Klimaveränderung macht nachdenklich"

Vor einem Jahr hat der Papst verfügt, dass die tridentinische Messe als "außerordentliche Ausdrucksform" des römischen Ritus wieder überall gefeiert werden darf. Zuvor war das nur in Ausnahmefällen möglich. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert sich der Bonner katholische Liturgiewissenschafter Albert Gerhards dazu, ob das Motu proprio vom 7. Juli 2007 die Kirchengemeinden in Deutschland verändert hat.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

KNA: Herr Professor Gerhards, hat sich an der Gottesdienst-Praxis in Deutschland seit dem Motu proprio des Papstes etwas geändert?

Gerhards: Nach einer anfänglich heftigen, durch die Medien gesteuerten Diskussion ist das Interesse an der Frage schnell wieder verebbt. Die Änderung der Fürbitte für die Juden hat noch einmal für ein breiteres Medienecho gesorgt. In einzelnen Gemeinden gibt es wohl eine neue Nachdenklichkeit hinsichtlich ihrer liturgischen Praxis. In einigen Diözesen macht man sich Gedanken über die Intensivierung der liturgischen Bildung. Das wäre ein wünschenswerter positiver Effekt des Motu proprio.

KNA: Also gibt es keine großen Konflikte oder Spaltungen?

Gerhards: In einzelnen Gemeinden oder Gemeindeverbänden scheint es zu Auseinandersetzungen gekommen zu sein. Von direkten Spaltungen ist mir nichts bekannt, doch macht eine sich anbahnende Klimaveränderung nachdenklich: Was lange Zeit als positive Errungenschaft aus der Zeit der Liturgiereform galt, also beispielsweise die Zelebration "versus populum", die muttersprachliche Liturgie, die Handkommunion, die Messdienerinnen, wird nun zunehmend als Verflachung des eigentlich Katholischen dargestellt - auch von hohen kirchlichen Würdenträgern. Die Befürworter der liturgischen Erneuerung nach dem Zweiten Vatikanum geraten unter Generalverdacht. Die Häme, mit der die Gegenseite auf ihren Internetseiten vielfach zugange ist, kann schon erschrecken.

KNA: Gibt es Druck von außen, solche Gottesdienste einzuführen?

Gerhards: Anfänglich hat man versucht, einzelne Pfarrer unter Druck zu setzen. Nach wie vor wird die Einrichtung weiterer Messen und Zelebrationsorte im älteren Usus von einigen Gruppierungen wie ein Eroberungsfeldzug betrieben. Mitunter geraten auch Bischöfe, die das Motu proprio restriktiv anwenden, in die Schusslinie. Der Vatikan ist entsprechend den neuen Bestimmungen gegenüber den Wünschen traditionsverbundener Gruppen sehr weitherzig und regiert auch schon mal in die klassischen Befugnisse der Bischöfe hinein. Umgekehrt gibt das Motu proprio, wie jetzt in Norditalien geschehen, Bischöfen eine Handhabe, Pfarrer, die sich weigern, die Liturgie nach dem ordentlichen Usus zu feiern, ihres Amtes zu entheben.

KNA: Sehen Sie Probleme in der Ökumene? Wird diese Form der Messe in den evangelischen Kirchen überhaupt wahrgenommen?

Gerhards: Das ökumenische Klima ist ja schon seit längerem abgekühlt. Natürlich sehen die Partner vor allem in der westlichen Ökumene die Entwicklungen in der römisch-katholischen Kirche mit Sorge. Aus ihrer Sicht bahnt sich eine Rücknahme gerade jener Errungenschaften an, die die Ökumene der vergangenen Jahre außerordentlich beflügelt hatten, wie die Aufwertung der Wortverkündigung und des Gemeindegesangs, die Kelchkommunion der Gläubigen oder die Einführung liturgischer Laiendienste für beide Geschlechter. Verwunderlich ist das Ausbleiben des Protestes hinsichtlich der Wiedereinführung der alten Fürbitte im außerordentlichen Usus "für die Irrgläubigen und Abtrünnigen", deren Seelen "durch teuflischen Trug verführt sind". In Bezug auf die Fürbitte für die Juden kam es bekanntlich zu einer nachträglichen Revision, die aber keineswegs zur Befriedung beigetragen hat, sondern den katholisch-jüdischen Dialog in Deutschland, aber zum Beispiel auch in Italien nachhaltig belastet.

KNA: Haben sich in der Folge des Motu proprio auch die deutschsprachigen Gottesdienste verändert?

Gerhards: Bezüglich der deutschsprachigen Gottesdienste scheint sich bislang noch wenig geändert zu haben. Wünschenswerte Folgen wären eine höhere Sensibilität für das Wort insgesamt, eine stärkere geistliche Aneignung der vorgegebenen liturgischen Texte und ein Rückgang der verbreiteten Wortinflation, die mein Lehrer Balthasar Fischer als "Sermonitis" bezeichnete. Positiv zu vermerken ist eine Zunahme lateinischer Hochämter vor allem in zentralen Kirchen, sofern die Inhalte der wechselnden Teile und damit der geistliche Reichtum insbesondere der gregorianischen Gesänge den Gläubigen zugänglich gemacht werden und die tätige Teilnahme der Gemeinde sich nicht im bloßen Zuhören und Zuschauen erschöpft.