Pfarrer Meiering ruft: "Wo ist meine Gitarre. Könnt ihr bitte zusammen kommen! Mit Euren schwarzen Liederbüchern!" Dann streng: "Bitte!" Um dieser Aufforderung noch mehr Nachdruck zu verleihen, klatscht der Pfarrer kräftig in die Hände. Zunächst stimmt er ein "Happy Birthday" an - Markus heißt das Geburtstagskind - "Wie schön, dass Du geboren bist." Dann Morgenlob: "Jesus Christ. You are my live. Halleluja, Halleluja!" Wenn die Eltern wüssten, wie vergnügt das alle mitmachen. Als würde es sonntags nie Diskussionen geben, ob man den Messbesuch nach einer langen Partynacht nicht auch ausfallen lassen könnte. Hier schwänzt keiner, hier bleibt keiner liegen. Alle sind munter dabei. Geht doch.
Erster Termin in der City. Im Registration-Center sollen wir uns eintragen lassen, die Pilgertaschen abholen. Vom Bahnhof wandern wir ein gutes Stück durch Melbourne, vorbei an St. Patricks, dem Dom der Stadt, für Kölner natürlich ein vergleichsweise bescheidener Anblick. Imposanter dagegen die Sportstädten, die riesigen Stadien, besonders bekannt: das Rod Laver Stadium, hier finden im Januar die "Australian Open" statt. Wir lassen es jetzt links liegen. Damit niemand müde wird, stimmen die Mädchen noch einmal: "Jesus Christ, you are my live" an. Auch wenn das nicht gerade ein strammes Marschlied ist, kommen wir so gut voran. Irgendwoher hat Pfarrer Meiering eine Trillerpfeife bekommen. Das sorgt nun für Aufsehen. Denn der Pfarrer stellt sich mitten auf die Straße und spielt laut pfeifend Polizist und Schülerlotse. Das macht ihm große Freude. Die Trillerpfeife kommt jetzt häufiger zum Einsatz. Hört sich anstrengend an. Ist es manchmal auch. Gerade früh morgens liebt man die gedämpfteren Töne. Aber so schrill und schmerzlich ohrenbetäubend wie die Alarmanlage, die gestern Abend in der Turnhalle los schrillte, ist die Pfeife nicht. Zur Beruhigung. Es war ein Fehlalarm. Jemand hatte mit dem Öffnen einer verbotenen Tür das Sicherheitssystem aktiviert. Nach einer guten viertel Stunde war der laute Spuk vorbei.
"Cologne is coming", rufen zwei aus der Gruppe, die nun das Registration-Center in der katholischen Uni der Stadt stürmen. Freundliches Lachen und Händeschütteln dort. Allerdings muss man sich hier gar nicht namentlich registrieren lassen, wie vorab ausdrücklich befohlen. Sowas auch! War der lange Weg umsonst? Immerhin bekommen alle eine schwarze Pilgertasche und eine Pilgerkarte, die Ermäßigungen für den Zoo oder das Aquarium ermöglicht. Zoo? Aquarium? Gute Idee, denken einige und machen sich sogleich dorthin auf den Weg. Im Zoo von Melbourne gibt es eine Streichelwiese mit frei herumhüpfenden Kängurus. Und Tierpfleger tragen Koala Bären auf dem Arm, denen darf man dann durchs Fell fahren, oder beim Knabbern von Eukalyptusblättern zusehen. Regina schwärmt: "Ein absolutes Highlight, einen echten Koala zu streicheln." Christoph schaut staunend zwei Kängurus hinterher, später sagt er, als er die gesehen habe, "da habe ich so richtig gemerkt, jetzt bin ich in Australien angekommen."
Im Aquarium gibt es eine Vorführung mit einem Taucher, der sich zwischen den Fischen bewegt wie unter seines gleichen. Aber ob da wirklich ein Hai dabei ist? Die Tiere wirken eher possierlich und zahnlos. Begeisterung in dem begehbaren Ozean, man schlendert durch eine Art durchsichtige Röhre, drum herum Wasser, da schwimmen gigantische Rochen, Fische ohne Augen, stockblind, Seeschlangen starren einen an. Wow!
Andere fahren zum Strand. Sonne, Palmen, frischer Wind, Weite. Große Tanker in der Ferne. Lange Sandpromenade. Auch das gibt es in Melbourne und ist erfrischend wie eine Dusche. Zum Baden ist es allerdings zu kalt. Hier ist Winter, da wird es auch hier nicht wärmer als 20 Grad, und um sechs Uhr ist es bereits stockdunkel. Die Sonnenuntergänge sind allerdings wie aus dem Bilderbuch, tief hängende, weite Wolkenfelder, beleuchtet von zarten, weichen Rottönen. Wenn der Himmel so ein Schauspiel bietet, sagt man bei uns in der Adventszeit, die Engel im Himmel backen Zimtsterne. Aber bis Weihnachten ist es auch hier noch ein halbes Jahr. Langsam merken alle, dass wir hier am anderen Ende der Welt sind. Weihnachten ist eben nicht immer und überall im Winter.
Palmen am Strand, Olivenbäume, Kakteen und natürlich Eukalyptus. Die Vegetation in Melbourne erinnert ein wenig an Gran Canaria. Schnee gibt es hier nie. Heute wärmt die Sonne. Maria schaut sich einen kleinen Strandtierpark mit kleinen Pinguinen an und lässt sich erklären, wie man Quallen rettet. Ein freundlicher Beach Volleyballer kommt auf uns zu. Er unterbricht extra sein Spiel, um zu fragen: "Who are you guys. I saw you everywhere in the city with these hats." Und er zeigt auf unsere Pilgerhüte. Ich erkläre ihm, dass der Papst nach Sydney kommt, dass wir hier in Melbourne den Weltjugendtag der Bistümer feiern. "Days of the Dioceses", heißen die offiziell. Davon hat der junge Kerl noch nichts gehört und wiederholt ungläubig fragend: "Oh!? The pope is coming to Sydney?" Der Weltjugendtag scheint in Australien noch für wenig Beachtung, geschweige denn Begeisterung zu sorgen. Wenn wir erklären, dass in Sydney das größte katholische Jugendtreffen der Welt stattfinden wird, dann staunen die Menschen hier: "Really in Sydney". Als ob wir gesagt hätten, der Papst lädt die Jugend der Welt nach Teheran ein. Aber Sydney ist doch nicht Teheran. Ob sich das im Laufe der Tage ändert?
Zurück in der City treffe ich einen Haufen Jungs aus Köln, die genauso verzweifelt wie ich nach einem Internetanschluss suchen. Das kann zermürbend sein. Wie golden waren die Zeiten, als es noch kein Internet gab und man ganz einfach eine Postkarte nach Hause schicken konnte. So etwas gibt es heute nicht mehr. Kaum zu glauben, aber ich habe in Sydney noch keinen Postkartenständer gesehen. Wie lange ist das her? In fast allen Cafes finden wir überall ungesicherte Internetzugänge, werden damit auch anstandslos verbunden, doch unsere Internetseiten lassen sich nicht öffnen. Komisch. Briefmarken kaufen ist einfacher. Schließlich aufatmen, es gibt auch hier recht preisgünstige spezielle Internetcafes. Damit lässt sich in Studi-VZ nachgucken, ob Carsten oder Jana sich gemeldet haben, aber auch Mama und Papa bekommen eine kurze elektronische Postkarte.
Und es gibt noch ein Ärgernis mit der elektronischen Kommunikation. Die von den WJT-Veranstaltern empfohlenen Telstra Sim Karten für Australien zicken herum. Teuer erworben - für umgerechnet 25 Euro - lassen sie sich nun nicht aktivieren. Probleme sind das, die viel Zeit kosten können.
Um halb fünf treffen sich alle wieder in St. Augustin. Messe mit den Holy Trumpets. Heute sind alle munterer, singen kräftiger mit. Das gehört zum Programm: Morgenlob, jeden Tag eine Heilige Messe, abends noch ein Gottesdienst im Aufenthaltsraum neben der Turnhalle. Es kann keiner sagen, dass das Spirituelle hier zu kurz kommt. Aber das ist für einen Weltjugendtag gerade würdig und recht.
Eine kleine historische Bimmelbahn fährt uns zu den Dock Lands. Dort soll es eine nette Gastro Meile geben. Diese Bahn scheint aus dem alten Wien geklaut, Jugendstil, ganz aus antikem Holz, mit einem stehenden Fahrer an einer Kurbel vorn, der in ebenfalls historischer Uniform. Tapfer umkreist er den Großstadtverkehr in der City. Die Mitfahrt ist kostenlos. Überall kann man zusteigen und bekommt auch noch eine Stadtführung von einem Tonband.
Der Jachthafen wird hier Dock Lands genannt und wirkt sehr geleckt, kein Kaugummi auf dem gewienerten Boden, Kippen, Aschenbecher, Raucher scheint es hier nicht zu geben. Seltsame Kunstwerke überall, Plastikbäume zum Beispiel, aus schneeweißen Lichterketten, wie hell erleuchtete Eisbäume sehen die aus, eine ganze Allee. Alles wirkt wie eine hohle Filmkulisse, steril, unbelebt, auf dem Reißbrett geplant, aus dem Boden gestampft, jede Altstadt, selbst die in Bielefeld, hat mehr Charme.
Zusammen mit dem Chefjugendseelsorger des Erzbistums Köln Pfarrer Mike Kolb und dem Leitungsteam esse ich zu Abend. Zwischenbilanz der Anreisetage. Bis auf zwei letzte Gruppen sind alle 600 Jugendlichen aus dem Erzbistum Köln heil und gesund und froh angekommen, freut sich Mike Kolb. Es gab keinen einzigen erwähnenswerten Zwischenfall. Die Betreuer der einzelnen Gruppen bestätigen das. Und auch die Unterbringung in den Gemeinden funktioniert. O.k., in manchen Gemeinden ist das Engagement nicht so groß wie in den meisten anderen. Da gibt es eben keine frischen Mandarinen aus dem Garten der Nachbarin. Aber das gleicht die gute Laune der jungen Pilger locker aus. Alle sind begeistert. Der erste Umzug der Gruppen ist für Dienstag geplant. Dann geht es von den Turnhallen in die Privatunterkünfte. Es haben sich in Australien viel mehr gastfreundliche Familien gemeldet, als nun Pilger gekommen sind. Pfarrer Kolb wundert das nicht. Denn er war nicht so begeistert, als der Papst auf dem WJT in Köln erklärte, der nächste Weltjugendtag werde in Australien stattfinden. "Das ist doch viel zu weit. Viel zu teuer. Da kommt doch keiner hin," fuhr es ihm durch den Kopf. Heute ist er ein wenig stolz, dass es trotzdem aus dem Erzbistum Köln allein 600 zentrale Anmeldungen gegeben hat. Dazu kommen noch die von den Gemeinden und katholischen Schulen organisierten Pilgerfahrten. Das sind Langzeitwirkungen der vorbereitenden Arbeit in den Kernteams, ist er überzeugt. "Aber an einem anderen Ort in Europa, nach Madrid zum Beispiel, wären allein aus dem Erzbistum Köln bestimmt zwei bis dreitausend jugendliche Pilger gefahren", glaubt Kolb. Und in Australien selbst löst der Weltjugendtag bislang alles andere als Euphorie, sondern eher eine freundlich beobachtende Distanz aus. Viele sind skeptisch: "Hier wird das Treffen nicht viel reißen". Vorbereitungen, wie die Arbeit mit Kernteamgruppen, hat es in Australien nicht gegeben. Nun ist man auf den Papst gespannt. Wie wird er auftreten? Was wird er sagen? Hoffentlich gibt er sich nicht zu professoral, hoffentlich nicht nur als Universitätsdozent der katholischen Theologie. Wie auch immer, es wird ein spannender Weltjugendtag, das steht fest. Und die Pilger aus Deutschland werden alles tun, um die Aussies mitzureißen und ihnen zu zeigen, wie froh es unter Katholiken zugehen kann, wie begeistert sie sind.
Zurück ins Quartier. Die zweite Nacht in der Turnhalle. Im Aufenthaltsraum mit der kleinen Küche wird noch ein Gottesdienst gefeiert. Fröhlicher Gesang, guter Besuch. Danach gibt es hier noch etwas Remmidemmi, Gesang, Kreisspiele, Karten sind auch dabei. Doch Pfarrer Meiering mahnt zur Ruhe: "Zimmerlautstärke bitte. Sonst gibt es Ärger. Dafür bin ich weltbekannt, dass ich das auch durchziehe". Aber es gibt keinen Ärger, alle sind vernünftig oder einfach auch nur hundemüde.
Kaum liege ich im Schlafsack und lausche, ob ich die Schnarcher von gestern wieder erkenne, oder ob gar neue dazu gekommen sind, erwische ich einen der Pfarrer, wie er ganz heimlich in der düsteren Turnhalle seine Gymnastikmatte zusammenklappt, den Schlafsack einsteckt und in das Büro des Sportlehrers schleicht. Dort ist es ruhig, dort kann man schlafen. Aber warum auch nicht? Ist schließlich noch kein anderer auf die Idee gekommen. In mir summt es noch. Zwei, drei Ohrwürmer streiten um die Vorherrschaft. Von: "Jesus, Jesus, you are my live", bis "in unserm Veddel, la la la la". Schließlich schlafe ich mit: "Mir fehlt auf dem Balkon - die Aussicht auf den Dom" ein.
Samstag, 05.07.2008
Teil 2 - "Oh!? The pope is coming to Sydney?"
Früher Vogel fängt den Wurm. Als ich mir um sieben Uhr die Augen reibe, da geht es in der Turnhalle schon rund. Gedränge auf dem Weg zur Dusche, Gelächter. Da ich nicht weit von der Tür liege, sehe ich wie eine bunte Reihe an Flip-Flops, Filzpantoffeln und Adiletten an mir vorbei schlappt. Keine Frage, die Nachtruhe ist zu Ende. Bei den Mädchen wird gegiggelt und geschwatzt. Bei den Jungen hört man Handywecker, die aktuellen Charts scheppern in ansteigernder Lautstärke. Gleich um neun Uhr beginnt das Morgenlob. Vorher aber noch: Nutri Grain auf Plastiktellern, Juicy-Extra und Spezial Kellogs. Eine Tüte voller Pampe, wie jemand feststellt. Einige holen schnell Brot aus dem Supermarkt, aber auch da gibt es nur Weißbrot, das man ohne Probleme zahnlos weglutschen könnte. Für den guten Geschmack bringt die Vize-Direktorin vom St. Monica College, Bernadette dürfen wir sie einfach nennen, einen Weidenkorb, gefüllt mit Mandarinen. Die habe sie soeben in ihrem Garten gepflückt, erstaunlich, an den Stilen hängen noch die Blätter.
Share on