Montag, 07. Juli 2008

Teil 4 - Unterwegs auf dem Great Ocean Drive und Abschied von der Turnhalle

Es war eine unruhige Nacht. Die Düsseldorfer Gruppe, die am Sonntag einen Safaripark 150 km außerhalb von Melbourne besucht hat, ist aufgehalten worden. Ein Selbstmörder hat sich vor die Bahn geworfen, nichts ging mehr. In Bussen wurden die Fahrgäste nach Melborune gebracht. Erst nach zwei Uhr waren die Ausflügler wieder im St. Monicas College.

Meer, wir kommen! (DR)
Meer, wir kommen! / ( DR )

Schlafmangel, die Aufregung, die vielen Eindrücke - für ein Mädchen war das etwas zuviel. Der Kreislauf knickte ein. Nur um etwas Ernstes auszuschließen, haben die Betreuer einen Arzt geholt. Der bestätigte die Diagnose. Einen Tag Ruhe - und alles ist wieder gut. Ein Grund noch einmal alle zu ermahnen, sich gewissenhaft an die Schlafenszeit zu halten und nicht die ganze Nacht im Treppenhaus herum zu hängen, auch wenn es noch so viel zu Quatschen und Diskutieren und andere kennen zu lernen gibt. Der Körper macht das Mammutprogramm einfach nicht mit. Die Jugendlichen sind einsichtig und versprechen Besserung. Warum erzähle ich das denn? Werden Eltern und Angehörige, wenn sie das hören, nicht beunruhigt sein? Bisher ist nichts Ernstes passiert. Alle sind wohlauf und munter. Und auch wenn ein Ernstfall droht, haben die Betreuer die Lage fest im Griff. Das erlebe ich hier und das wollte ich deutlich machen.

Heute ist ein Tag zur freien Verfügung für alle. Die meisten Jugendlichen brechen nach Melborne auf. Dort wollen sie zum Beispiel das Einwanderermuseum anschauen. Viel kann man da über Australien lernen. Eine Schiffskajüte aus der ersten Einwandererzeit ist original  nachgebaut, und man kann einen Aufnahmetest für Einwanderer nach Australien nachspielen. Andere nutzen den freien Tag für einen Ausflug ans Meer. Ich entscheide mich für die Natur.

Marcist ein forscher, mutiger Mann. Er hat kurzer Hand einen Avis Mietbus für 12 Personen aufgetan. Den steuert er sicher und selbstbewusst durch den Linksverkehr. Man vertraut ihm, obwohl es etwas unheimlich ist, wenn alles verkehrt herum fährt. Aber die Sonne geht hier ja auch nicht im Westen auf, die Osterlämmer werden im Herbst geboren und an Weihnachten biegen sich die Tannenbaumkerzen vor Hitze am Baum. Alles ist am anderen Ende der Welt anders.

Unser Ziel ist die „Great Ocean Road". Eine Straße direkt an der Küste in den Felsen gehauen. Arbeitslose Soldaten, die aus dem ersten Weltkrieg zurückkamen, haben die „Great Ocean Road" gebaut. Eine Maßnahme der australischen Regierung, um die Kriegsheimkehrer zu beschäftigen und ihnen eine sinnvolle Tätigkeit zu geben..

Erster Zwischenstopp am Surfer Beach. Zehn Meter hohe Wellen soll es hier geben. Doch heute sind die Wellen eher lahm und rollen sanft und zahm an den Strand. Es nieselt, also kein ideales Surferwetter. Trotzdem tummeln sich gut ein dutzend unentwegte Sportsfreunde in den müden Wellen, alle in Neoprenanzügen eingepackt. Am Strand liegen haufenweise glitschige grüne Algen herum. Pfarrer Meiering nimmt einen Haufen davon auf und wirft damit um sich. Eine kleine Algenschlacht beginnt. Igitt, so eine Sauerei. Aber gegen die Kälte tut etwas Bewegung ganz gut.
Die „Great Ocean Road" gewährt einen prächtigen Blick auf den Ozean. Die türkisen Farbtöne des Meeres, die endlos weite Sicht, dort drüben sogar Pinguine auf einem Felsen, alle sind hin und weg. Und dann ruft einer im Bus: „Guck mal - auf dem Baum - ein Koala".  Marc geht in die Bremsen. Halt, alles aussteigen, das müssen wir sehen. Und tatsächlich, direkt an der Straße, in kahlem Geäst döst ein Koala vor sich hin und scheint ganz unbeeindruckt von der Schar staunender Menschen, die ihn fotografieren will. Der faule Bär wirkt als könne ihn kein Ding der Welt vom Hocker oder aus seinem Geäst werfen. „Wie wär´s denn mit Gemütlichkeit …"

Zu unserer Gruppe gesellt sich ein Tourist aus Mönchengladbach, der ebenfalls den Koala entdeckt hat. Ein charmanter blondgelockter Jüngling. Er hat nach dem Studium drei Monate in Australien gearbeitet und hängt nun noch vier Wochen Urlaub dran, erzählt er. Vom Weltjugendtag hat er allerdings hier noch nichts mitbekommen und reist leider auch, wie er bedauert, zwei Tage vor dem Papstbesuch wieder zurück nach Deutschland. Später im Bus schwärmen die Mädchen. „Wen fandest Du schöner - den blonden Jungen aus Mönchengladbach oder den Koala Bären?" - „Ach, am liebsten wäre mir der Junge mit dem Koala auf dem Arm", so das Resümee.  

Unser Ziel ist ein Naturpark, in dem man den Regenwald durchstreifen kann. Eine unglaubliche Atmosphäre. Lauter Bäume, die wir noch nie gesehen haben. Farne, so groß wie Palmen, uralte Eukalyptusbäume und Lianen, wie für Tarzan aufgehängt. Ein Traum von einem Dschungel.„Genau wie in dem Film „Piano", stellt jemand fest. Regentropfen glitzern auf allen möglichen Grüntönen. Den dreihundert Jahre alten Eukalyptusbaum hat vor vielen Jahren der Blitz getroffen. Krawumm, da brannte der Baum lichterloh, hell und gewaltig  Aber er hat das Feuer überlebt. Aus der Rinde keimten neue schmale Äste und wuchsen und wucherten rechts und links und oben. Der mächtige Stamm ist ausgebrannt und hohl, innen tot. Doch die Rinde war nicht klein zu kriegen, hat sich Überlebenstricks einfallen lassen. Wie listig das Leben ist. Ein erfrischender Spaziergang in diesem Märchenwald. Jetzt sind wir wirklich am anderen Ende der Welt angekommen, jetzt ist wirklich alles anders.

Wie müssen sich die Entdecker vor zwei-, dreihundert Jahren gefühlt haben, die sich zum ersten Mal durch diesen Urwald kämpften? Wie unheimlich das war? Die Ungewissheit, was in oder hinter dem Märchenurwald alles auftaucht. Vielleicht leben da Mammuts oder Dinosaurier? Und die Schlangen, die sehen alle giftig aus. Jeder Wasserfall ein unüberwindlich scheinendes Hindernis. Wie Zwerge fühlen wir uns unter den riesigen Eukalyptusbäumen und Farngewächsen.

Als wir in Epping wieder ankommen, ist bereits aufgetischt. Die Düsseldorfer Gruppe kocht Nudeln mit Soße. Danach bereitet eine zweite Gruppe Spaghetti Bolognese zu. Der letzte Abend in der Turnhalle. Hier ist etwas los. Gesang bis Mitternacht. Morgen geht es dann in die Privatquartiere. Komisch, ich beginne mich langsam an meinen Platz in der Halle zu gewöhnen. Der laute Schnarcher in der Ecke, wie auf mein Kommando, beginnt er mit seinem Konzert. Aber ein Bett, ein richtiges Bett, das ist doch etwas anderes.