Abschied von der Turnhalle. Die Verteilung in die Privatquartiere ist nicht so einfach. Wer kommt wo mit wem unter. Oft heißt es: „Nicht ohne meine beste Freundin". Diskussionen schon am frühen Morgen.
Die Verteilung in die Familien soll um 16 Uhr geschehen. Bleibt also noch Zeit für einen weiteren Ausflug nach Melbourne. Jetzt wird mir auch endlich klar, warum die Jungs neulich unbedingt in ein Geschäft für Angler mussten. Warum eine Angel kaufen? Dachte ich da. Haben wir hier so viel Zeit, um diesem Ruhesport, der eine Menge Muße verlangt, nachzugehen? Aber die Angel dient gar nicht zum Angeln. Der ewig lange Fieberglasstab wird ausgeschoben und oben die Deutsche und Kölner Flagge befestigt. Da flattern sie im Wind. Und eines ist sicher, jetzt geht niemand aus der Gruppe verloren. Diese ausziehbare Fahnenkombination wird auch in Syndey über einhundert Meter weit zu erkennen sein.
In der Straßenbahn - die Fahrt von Epping in die Innenstadt dauert vierzig Minuten, studiere ich die Fahrpläne. Da gibt es Stationen, die heißen „Heidelberg" oder „Altona". Deutsche Einwanderer scheinen etwas von ihrer Heimat mitgenommen zu haben. Wenigstens die alten gewohnten Städtenamen - mitten in Melbourne.
Der Victoria Markt in Melbourne ist uns sehr empfohlen worden. Wird ja auch mal Zeit zu shoppen. Zum Glück ist der Markt überdacht, denn es ist fieses Nieselwetter. Aber auf diesem Markt werden alle schnell glücklich. Auf einer Fläche so groß wie der Heumarkt in Köln gibt es nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch Klamotten und jede Menge Souvenirs. Und die Preise sind im Vergleich zur City unglaublich günstig. Zwei Mädchen kaufen sich warme Fließjacken. Vielleicht denken sie an die Nacht auf freiem Feld, vor der Abschlussmesse mit dem Papst in Sydney. Fünf Grad, so kalt kann es da werden. Die Jungs stocken ihr Fahnenlager auf und holen sich australische Flaggen, die sie gleich als Umhang umbinden und hinter sich her wehen lassen. Die Didgeridos sind viel zu groß, aber ein Bumerang, das geht und der kostet nur fünf Dollar. Wenn man zwei Plüschkängurus kauft, bekommt man einen Koala umsonst dazu. Für zehn Dollars. Kurzes Verhandeln, dann tun sich drei Jugendliche zusammen, kaufen die drei Tiere und teilen sich die Kosten. Ob als Mitbringsel oder für den eigenen Bedarf? Vielleicht wissen sie das selbst noch nicht. Beim Verlassen des Marktes baumelt an vielen Rucksäcken eine kleine Kompanie von Koalabären, Kängurus oder Wombats.
So muss es gewesen sein. Damals - vor einhundert Jahren in der Einwanderungsbehörde von Australien. Father Eurgene und Pfarrer Meiering sitzen hinter Tischen und beugen sich geschäftig über die langen Listen mit den Namen der Kölner Pilger. Lauter Namen, lauter Adressen. Wer geht wohin? - Und mit wem? Julian, Sebastian, Franziska … „Let´s have a look." … „Family Dango - who is that." … „Three girls go to the Durhams."…
Viele Familien sind persönlich gekommen, um ihre Gäste abzuholen und willkommen zu heißen. Pfarrer Meiering erklärt: „We changed a little bit, because someone are related to others". So also übersetzt man den Wunsch: "Nicht ohne meine beste Freundin". Hinter dem Father und dem Pfarrer stehen die „Group Leaders". … „Steffen, du hattest draußen eine Familie stehen." …. „Und die Monika geht dann nach oben zu Gomez. Dann können die los". …" No, no, die nicht, just a moment". „Vanessa and Maria gehen jetzt mit der Familie Diaz". „Who?" „This is Family Colombo, not Diaz". Jemand kann sich den Scherz nicht verkneifen: „Do you know Peter Falk?" Colombo, ach ja. „Just, go on!" In jeder Familie muss mindestens ein Pilger über 18 sein. Das australische Gesetz sieht es so vor. Also zu allen Minderjährigen - ein Volljähriger. Das ist ein zusätzliches Problem. „Also Isabelle nehmen wir hier raus und tun die rüber zu Lindenmayr." … „Kabamba. Where is Kabamba. What are the Persons you should have? Christian und Mathias?"
Wie multikulturell Australien ist. Das faellt sofort ins Auge. Menschen aller Hautfarben und aus allen Nationen stammend sind dabei, alle katholisch, alle nehmen Pilger auf. Manche Maedchen und Jungen sind aber etwas schüchtern. Stellen sich ihren Gastfamilien fast leise vor und denken wahrscheinlich, dass es doch gar nicht so schlecht war - mit allen anderen zusammen in der Turnhalle. Nun so weit weg, am anderen Ende der Welt, es ist kalt und dunkel, das fremde Land, fremde Leute, die fremde Sprache. Das ist schon etwas viel. Aber niemand geht alleine in eine Familie. So können sich die Mädchen und Jungs immer austauschen. Das ist gut, wenn man nachts Besuch vom bösen Heimweh bekommt: „Ich gehe die Sache ganz locker an", meint Tobias: „Angst habe ich nicht. Ich würde mich damit doch nur verrückt machen".
„Amazing Grace!", Dominik Meiering und Father Eugene singen laut und kraeftig. Grace, so heisst die nette junge Frau, die hier die Aufteilung auf die Familien koordiniert hat. Sie sagt, dass sie in den letzten Naechten Alptraeume gehabt haette. „Was ist denn, wenn am Ende drei Pilger ohne Unterkunft uebrig bleiben". Aber dank „amazing grace" geht die Rechnung auf. Alle sind untergebracht. Keiner bleibt alleine. Und kein Freundschaftsband musste auseinander gerissen werden. Doch irgendetwas stimmt nicht? Ich frage nach, aber ich bin auf keiner Liste zu finden. Muss ich also alleine in der großen Turnhalle übernachten? Das wäre mir jetzt unheimlich. Mindestens ein Schnarcher muss da bleiben. Unmöglich. Es gibt nur eine Lösung. Im Pfarrhaus bei den Priestern soll noch ein Eckchen frei sein. Von der Turnhalle ins Pfarrhaus, das ist ein Aufstieg.
Es regnet Cats and dogs. Grace laedt mich in ihr Auto. Bin ich übrig geblieben? Nein - denn es gibt das grosse Pfarrhaus von Father Eugene. Und dieser moderne Bau der Kirchengemeinde von St. Francis ist ein fuenf Sterne Hotel gegen die Turnhalle. Zwischen Pfarrer Dominik und Pfarrer Fabien ist eine Matratzt fuer mich hergerichtet, sogar mit Bettzeug und weisser Bettwaesche. Ich bin begeistert, als haette ich drei Jahre Wildnis hinter mir. Wie rührend - auf dem Kopfkissen liegt sogar ein Plastikfaehnachen von Australien. Und zu dritt eine Dusche. Das ist Luxus, das ist fast schon dekadent. Ich schwelge in Komfort und freue mich auf morgen, dann beginnt der DID, die "days in the dioceses" mit den Messfeiern in den Vororten von Melbourne. Es geht endlich los.
Dienstag, 08. Juli 2008
Teil 5 - Auf in die Privatquartiere - Nicht ohne Schwierigkeiten
Bis halb acht durchgeschlafen. Welch ein Wunder. Das geht also doch in einer Turnhalle. Dann aber legt einer den Schalter um und die Deckenbeleuchtung haut auch den letzten Langschläfer von der Isomatte. Alle da, alle munter. Die selbstgemachte Bolognese ist gut verdaut worden. Auf dem Weg zum "Bad", höre ich aus den Mädchenduschen schon frohen Gesang: "Jesus Christ, You are my lord."
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