Erkunden der Umwelt, Flora und Fauna, Spiele im Freien, das stand auf dem Programm. Aber bei dem Wetter? „The whole day rosary", den ganzen Tag Rosenkranz beten, scherze ich. Father Eugenes roter Zwergenkinnbart wippt lustig, wenn er lacht. Abwarten, vielleicht klart es doch noch auf. Später beschließen die Betreuer, den Tag im Freien auf Morgen zu verschieben und heute noch einmal mit den Jugendlichen die Innenstadt zu erkunden.
Da es keine Spülmaschine im Pfarrhaus gibt, wasche ich meinen Teller und die Tasse ab. Ich werde heute auch auf die Tour mit dem Ranger in den Forest verzichten und in die City aufbrechen. Nach dem ersten Tag der internationalen Begegnung in den „Suburbs" findet heute um 14 Uhr in der Kathedrale von Melbourne ein zentraler Eröffnungsgottesdienst statt. Die Kathedrale ist nicht mit dem Kölner Dom zu vergleichen, daher gibt es auch für unsere Gruppe aus dem Erzbistum Köln nur dreißig Eintrittskarten. Mit dem Presseausweis sollte ich aber keine Probleme haben, in die Kirche zu kommen.
Lang ist die Fahrt mit der Straßenbahn in die Stadt. Doch man bekommt viel von Melbourne zu sehen. Viktorianische Architektur und Kolonialstil mischt sich mit Häusern, die mit ihrer Veranda und schmiedeeisernen Schnörkeln bis unters Dach Südstaatenflair verbreiten. Alles wirkt hier gemischt. Einwanderer aus den verschiedenen Kontinenten und Kulturen haben etwas von zuhause mitgebracht. Das geht bis zum Angebot in den Restaurants. Schnitzel gibt es auf der Pizza. Daneben auf der Speisekarte, Chili con carne, Curry oder einfach Fish and Chips.
Um 14 Uhr beginnt die Andacht mit Erzbischof Hart. Nicht weit von der Kathedrale kehren wir noch schnell zu Mittag ein. Und wer hätte das heute Morgen gedacht, die Sonne scheint, man kann sogar auf einer kleinen Veranda sitzen (zwar im Mantel) und eine Lasagne genießen. „Do you come frome France?" fragt der nette Mann, der uns das Essen bringt. Ein Kompliment, das aber wahrscheinlich mehr der Kollegin vom Kölner Stadtanzeiger gilt, die mir Gesellschaft leistet. Sie hat so einen taillierten Ledermantel an, Stiefel, trägt ihre langen Haare offen, dazu die großen Augen - sie könnte also auch aus Frankreich stammen. „Oh, Germany. And what are you doing here?" - „World Youth day. The Pope is coming to Sydney." Ein fragender, erstaunter Blick, er hat vom Weltjugendtag noch nichts gehört.
Dabei geht es keine fünfhundert Meter entfernt von unserem Restaurant direkt vor der Kathedrale von Melbourne bereits ordentlich rund. Jugendliche aus aller Welt schwingen ihre Fahnen, tanzen, singen, stellen sich zum bunt gemischten Gruppenphoto auf. Eine Parallelgesellschaft? Denn nach draußen in die Stadt dringt hier wenig. Egal ob wir Taxifahrer oder Menschen in der Straßenbahn fragen. Immer das Gleiche Schulter zucken: „World Youth Day?" Keine Ahnung. Was soll das sein? Der Alltag in Melbourne scheint bisher vom Weltjugendtag unberührt geblieben zu sein. Das kann schon erstaunen, wenn man dann zwei Minuten nach dem Restaurantbesuch zwischen Hunderten fröhlicher junger Menschen vor der Kathedrale steht, mit Fahnen aus Costa Rica, Südafrika, Brasilien, Bayern, Köln und …"What is that for a flag?", frage ich … Panama. Hier tauchen auch zum ersten Mal die Bilder auf, die alle aus Köln vom WJT 2005 kennen. Das Kulturen und Grenzen überspringende, ausgelassene Miteinander. Es werden Anstecker und Adressen getauscht, es wird getanzt, gelacht, viel gesungen, die Pilger aus Costa Rica haben Trommeln mitgebracht. In der Kathedrale das gleiche Bild. Wie die Afrikaner in den Bänken klatschen und hüpfen, die sperrigen Bänke würden sie am liebsten zur Seite schieben, mehr Platz für den Swing und die Bewegung.
Der Gottesdienst beginnt, überall stehen und sitzen Pilger, dicht gedrängt bis vor den Altar. Die Wintersonne bricht sich in den Fensterscheiben aus hellem rot und gleißt goldgelb über die Köpfe der farbenfroh gekleideten Pilger. Ein Bild, wie sagt man, für die Götter, und ein Maler alter Schule hätte so sicherlich, wenn er den theologischen Wagemut gehabt hätte, einen kollektiven Heiligenschein für eine betende Gemeinschaft von irgendwie besonderen Menschen auf die Leinwand gezaubert. Sie winken mit ihren Hüten, schwenken Fahnen, tragen rote Jacken, grüne T-Shirts, die Italiener blaue Wimpel. Die vielen Photographen und Kameramänner können von allem nicht genug bekommen.
Archbishop Hart predigt mit tiefer fester Stimme. Er freut sich, dass es endlich soweit ist - nach all den Monaten der Vorbereitung. Im Mittelpunkt stehe nun das Fest des Glaubens an Jesus und die Entscheidung zum Aufbruch. „Halleluja, Halleluja." Das Mottolied zum Schluss, mit Pauken und opulentem Orchester. Obwohl hier ja erst der offizielle Eröffnungsgottesdienst für die internationalen Tage der Begegnung in den Bistümern gefeiert wird, läuft einem jetzt schon ein Schauer von einem prächtigen Finale über den Rücken. „Das ist großes Kino", meint Daniel aus Würzburg.
Nach dem Auszug des Erzbischofs von Melbourne versuche ich mich in die Sakristei zu schleichen, um ein kurzes Interview zu führen. Ein strenger junger Herr weist mich ab. Aber zu meinem Glück treffe ich Pfarrer Ulrich Hennes aus Köln, den ehemaligen Sekretär des Weltjugendtages 2005. Er ist Pragmatiker und als der strenge Sakristei Assistent aus Melbourne kurz zur Seite schaut, rät Hennes mir, die Gunst der Minute zu nutzen und einfach durch die Tür zu schlüpfen. Zweimal rechts, zweimal links, da sehe ich den Erzbischof, wie er gerade aus dem festlichen Gewand schlüpft. „Hallo. I am from domradio, the radiostation of the archbishop of cologne," stelle ich mich freundlich vor. Und anstatt mich zu fragen, wo und wie ich denn hierher komme, und ob ich überhaupt einen Termin habe, lächelt Archbishop Hart herzlich und stimmt sofort einem Interview zu. „My first impression is - this enormous faith and hope. Just to see the faces of the young people", schwärmt er. Der Gottesdienst hat ihm Spaß gemacht, besonders beeindruckt war er von dem Wechsel zwischen Überschwang, Fest, Gesang und Tanz und dann auf einmal Atempause, Stille, Meditation und feierliche Konzentration auf die Anbetung des Allerheiligsten. „I thougt, this young people must realy love Jesus", sagt er. Für Australien sei der Weltjugendtag eine wunderbare Einladung zu entdecken, „who we are." Der Erzbischof hofft, dass der Weltjugendtag ein „reminder" sein könne, eine Erinnerung daran, dass „in Australien so viele Menschen aus der ganzen Welt leben, die den katholischen Glauben hier etabliert haben". Aber zu viele Dinge hätten heute den Glauben an Jesus zur Seite gedrängt, ist der Erzbischof überzeugt.
Die Situation der Kirche hier sei anders als in Deutschland. „We are a young country," erklärt er. Da seien die Wurzel nicht so tief verankert. „Es gibt keine lange katholische und evangelische Tradition, keine große religiöse Verankerung. Das macht alles hier viel fragiler." Aber, so resümiert Erzbischof Hart: „Unser wichtigster Botschafter für den Glauben ist die Jugend. Und ich vertraue der Jugend"
Mit einem Segen verabschiedet mich der Archbishop von Melbourne. Was für ein freundlicher, höflicher und gut gelaunter Erzbischof, denke ich. Zu einem Photo mit mir musste ich ihn gar nicht lange überreden. Dafür steckte er sogar noch seinen Bischofsring, den er beim Umziehen der Gewänder abgelegt hatte, zurück an den Finger. Später ärgere ich mich etwas, dass der Ring auf dem Photo gar nicht zu sehen ist.
In der Kathedrale treffe ich noch Nathanael Liminski, Pressesprecher und Mitbegründer der Bewegung: „Generation Benedikt." Nathanael Liminski ist ein begeisterter junger Christ, der sich auskennt, der fast alle kritischen Fragen an und um die Kirche rhetorisch geschickt und mit viel Charme beantworten kann. Schließlich hat er auch schon bei Maischberger gesessen. Mit ihm kann man gut diskutieren. Was - glaubt er - wird vom Weltjugendtag in Australien bleiben? „Etwas mehr Offenheit der Kirche hier gegenüber", antwortet er vorsichtig: „vielleicht sogar etwas Neugierde auf das, was Kirche macht."
Am Abend gibt es Fete. Obwohl es leicht regnet und ein kalter Wind durch die Straßen weht, sind Tausende Jugendliche zum Federation Square gekommen, um Father Sam zu erleben. Und wie es sich lohnt, dem unwirtlichen Wetter zu trotzen! Father Sam ist Franziskaner und kommt aus der Bronx in New York. Er versteht es die Jugendliche anzusprechen. Alle Nationen begrüßt er einzeln, und alle Nationen begrüßen ihn - und dann rappt er, bringt soviel Schwung unter die Leute, dass die meisten fast vergessen, wie kalt es ist.
Spät abends auf der Rückfahrt, treffe ich in der Tram Kaplan Andreas Süß aus Köln. Er ist mit seinen Firmlingen unterwegs, und die sind sich einig: „Jetzt kommt endlich das richtige Feeling auf." Obwohl die Gruppe auch schon ein ganz besonderes Abenteuer hinter sich hat. Vorgestern seien sie zu den „Zwölf Aposteln" gefahren, erzählt Kaplan Süß. Zwölf Apostel - so heißen in Australien die großen Monoliten, die gut drei Stunden Autofahrt von Melbourne entfernt an der Küste stolz und prächtig aus dem Ozean ragen. Mit Blick auf die Apostel haben sie dann eine Messe zelebriert: „Wie in einem Amphitheater. Mit dem offenen Meer im Hintergrund", schwärmt der Kaplan. Und ein Mädchen zeigt mir auf ihrer Digitalkamera ganz begeistert Photos von dem traumhaften Abend. Zwei Klippen - zum Meer geöffnet, die Apostel im Hintergrund: „Und dann wurde es dunkel. Ein unglaublicher Sternenhimmel über uns. Mit der Taschenlampe über dem Messbuch haben wir am Strand Gottesdienst gefeiert." Halleluja, Halleluja …receive the power. Das Mottolied des Weltjugendtages 2008 hat längst die Tram erobert. Und zwischendurch wird viel geplaudert: „Was hast Du heute gemacht? Wo seid ihr heute Abend gewesen?" - „Dance in the Dioceses", dort ging es auch rund. Live Musik und Tanz,. Oder in der Uni, der Abend mit den Aborigenes. Jugendliche konnten hier etwas über uralte Traditionen erfahren und von den australischen Ureinwohnern Tänze lernen. Endstation Mill Park. Father Eugene holt uns mit dem Auto ab. Es ist spät geworden. Im Schlafsack schwingen die Ohrwürmer aus der Tram nach: "Halleluja, Halleluja" und „I have heard you calling in the night."
Donnerstag, 10. Juli 2008 (ergänzt)
Teil 7 - Langsam "kölnt" es
Es regnet Bindfäden. Außentemperatur morgens um acht Uhr sieben Grad und wärmer als zwölf Grad soll es heute auch nicht werden. In der Pfarrhausküche sitzen Father Eugene und Father Brendan in ihren Übergangsjacken über den warmen Pullovern. In Melbourne scheint das üblich zu sein, den ganzen Tag - ob drinnen oder draußen - seine Jacke nicht auszuziehen. "Was machen wir denn heute?"
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