Samstag 12, Juli 2008

Teil 9 - Begegnung mit dem dunklen Kapitel in Australiens Geschichte

So langsam beginne ich mich, an die Gespräche unseres Männerkreises am Frühstückstisch der Pfarrhausküche zu gewöhnen. Ich war heute schon früh wach, aber kurz nach sieben gab es in der Küche schon reges Treiben. Father Brendan schüttete sich seinen Obstsalat aus der Dose in die Schüssel, die anderen löffelten ihr Müsli. Zunächst taucht in unserem immer noch radebrechenden Englisch die Frage auf. Wie übersetzt man wohl "senile Bettflucht?" - "Senile bed escape", das passt nicht.

 (DR)

"Senile bed run away." Hört sich auch komisch an. Auf dem dicken Bauch von Fahter Eugene lachen die vielen gelben Smileys, die seine Hosenträger verzieren. Father Dominik und Father Brendan sprechen über die Predigt. Sie sind sich einig. Ein handfestes Symbol muss für die Jugendlichen her, etwas zum Anfassen. "Man könnte doch die Geschichte vom Bettler und der Rose erzählen, und dann allen eine Blume schenken", schlägt Dominik vor. Die Geschichte handelt von einem Geschäftsmann, der jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit einem Bettler am Straßenrand einen kleinen Geldbetrag in den Hut wirft. Eines Tages ist der Bettler nicht mehr da. Der Geschäftsmann wundert sich. Auf dem Heimweg kauft er eine Rose und legt sie an die Stelle, wo der Bettler immer gesessen hat. Am nächsten Tag sitzt der Bettler wieder an seinem Platz und strahlt den Geschäftsmann an. Die Rose sei das schönste Geschenk gewesen, das er je bekommen habe, freut er sich.

Um zehn Uhr treffe ich mich mit einer Aborigines Frau, die zur katholischen Kirche übergetreten ist. Jenny Dunn heißt die resolute Person, ihre Mutter ist Aborigines, ihr Vater Ire. Wenn es darum geht zu erzählen, was den Ureinwohnern Australiens angetan worden ist, gerät Jenny Dunn schnell in Rage. Mit dem Eroberer James Cook habe das schon angefangen. Der habe an die Ureinwohner Australiens Decken verteilt, die mit Pocken infiziert waren, und noch bevor die erste Kugel auf einen ihrer Vorfahren abgefeuert worden sei, seien 80 Prozent der Aborigines bereits tot gewesen. "Wenn das kein Genozid ist?", fragt Jenny Dunn rhetorisch. Man müsse sich das einmal bewusst machen: Die Gewalt und Verfolgung der Ureinwohner Australien sei nicht ewig lange her: "Wir reden hier nicht von längst vergangen Zeiten. Meine Großmutter zum Beispiel hat mir erzählt, wie auf sie beim Baden geschossen wurde". Soldaten seien in die Häuser der Nachbarn eingedrungen und hätten die Frauen vergewaltigt, die Babys seien nur zum Spaß bei Reiterspielen getötet worden. Möglich gemacht habe das auch ein Gesetz in Australien, das die Aborigines nicht als menschliche Wesen eingestuft habe. Und dieses Gesetz sei bis 1967 in Kraft gewesen! Ihre Großmutter musste so immer erst eine Sondererlaubnis beantragen, um die Stadt überhaupt betreten zu dürfen.

Die Ureinwohner Australiens haben keine Lobby, denke ich, es interessierte sich niemand für sie, kein Hahn krähte danach, wie und warum sie ermordet und diskriminiert wurden. Jenny Dunn hat dafür einen klaren und sehr aktuellen Beweis. Jeder Australier, erzählt sie, kennt mindestens zwei, drei Indianerstämme, Apachen, Irokesen usw.: "Aber fragen sie einmal einen Australier, ob er einen Aborigines Volkstamm nennen kann? Über die Geschichte der USA wissen die meisten hier viel besser bescheid als über Australien" Dabei gibt es hunderte verschiedener Aborigines Stämme im Land. Und bis heute, so stellt Jenny Dunn fest, sind die Aborigines Bürger zweiter Klasse. "Die Arbeitslosigkeit ist ungleich höher, als bei anderen Bewohnern Australiens, und: "Wir haben eine Lebenserwartung, die 25 Jahre unter dem Durchschnitt der Bevölkerung liegt."  

Captain Cook, die Eroberer Australiens und natürlich auch die Missionare, die ins Land kamen, marodierten, die Kultur der Ureinwohner vernichten wollten, waren Christen, und  trotzdem hat sich Jenny Dunn für den katholischen Glauben entschieden. Warum? Zunächst meint sie, dass es nicht viele Aborigines geben würde, die zur Kirche gehen. Der christliche Glaube sei ihnen aufgezwungen worden, während den Ureinwohnern die eigene Religion und sogar die eigene Sprache unter Strafe verboten worden sei. "Deshalb lehnen viele die christliche Religion ab." Sie selbst sieht das anders. Die Eroberer wären doch nicht der Botschaft von Jesus gefolgt, sondern seien nur habgierig ihren eigenen Interessen nachgegangen. Nicht Gott oder Jesus sei hier böse gewesen, sondern die Menschen hätten das Unheil angerichtet: "Gott hat ihnen einen freien Willen gegeben, eben auch das Böse zu tun." Sie selbst habe in der Bibel viele Parallelen zu ihrem Glauben entdeckt, den behutsamen Umgang mit der Natur, der Schöpfung Gottes zum Beispiel. Sehr beeindruckt sei sie vom Besuch von Johannes Paul II. in Australien gewesen. Der habe sich sehr respektvoll den Aborigines gegenüber verhalten und habe ihre Tradition und Spiritualität gelobt. Abschließend will ich wissen, woher Jenny Dunn diesen Mumm nimmt, diesen Mut, diese Energie, wieder und wieder für die Gleichberechtigung der Ureinwohner Australiens zu kämpfen: "Das habe ich von meiner Großmutter," sagt sie lächelnd: "Das war eine stolze Frau mit viel Hoffnung im Herzen. Sie hat immer gesagt, dass eines Tages alles gut sein wird." Wir verabschieden uns mit dem Gruß der Ureinwohner, dabei gibt man sich nicht einfach die Hand, sondern macht eine halb offene Faust und verhakt die Finger wie eine Kette fest ineinander.

Mittagessen im Pfarrhaus. Ein opulentes drei Gänge Menü. Dabei sind sechs Priester, ein Kandidat, die Kollegin vom Kölner Stadtanzeiger und ich. Das Gespräch dreht sich um die Heilige Messe, die Frage lautet: Wie lange denn eine Messe so im internationalen Vergleich dauern kann. Father Febien aus Senegal meint, dass es bei ihnen schon mal fünf Stunden werden könnten. "What? It´s much longer," erinnert sich Father Brendan an seinen letzten Besuch in Afrika. Er sei damals nach fünf Stunden gegangen, weil es ihm einfach zu lange gedauert habe. Der junge Priesteramtskandidat Lan aus Vietnam meint, vier Stunden sei bei ihnen auch üblich, wobei die Messe vorab mit Katechese und Rosenkranz eingeläutet würde. Als ich das höre, bin ich doch froh, dass es in Europa etwas straffere Formen der Liturgie zu geben scheint. Zum Nachtisch gibt es Kokusgebäck mit Vanillesoße, sehr lecker - und dann auf in die Stadt.

In der Bahn treffe ich begeisterte Jugendliche aus Köln, die zum Football fahren, australian Football. Da gibt es eine ähnliche Begeisterung wie beim Fußball in Deutschland, also genau die richtige Beschäftigung für Jungs am Samstagnachmittag. Ich selbst möchte mir am letzten Tag in Melbourne die Sammlung klassischer und moderner Kunst ansehen, verwechsele aber das Royal Exhibition Building, das zwar imposant viktorianisch aber leider leer und geschlossen im Carlton Garden steht, mit dem Viktoria Museum jenseits des Yarra Rivers und belasse es bei einem Bummel durch die Stadt. In einem Starbucks Cafe spricht mich eine aufgekratzte, lustig lachende Frau an. Woher und warum ich nach Australien gekommen sei, will sie wissen. Ich erzähle ihr vom Weltjugendtag und vom Papst der nach Sydney kommt. Da schüttelt sie verdutzt den Kopf: "Why do you come to Australia to meet the pope, when you can meet him in Rome, which is quiet more comfortable for you?"

Um 19 Uhr findet in der ältesten Kirche der Stadt, die auch St. Francis heißt, der Abschiedsgottesdienst für die Tage in Melbourne statt. 1850 ist diese Kirche gebaut worden und damit noch älter als die Kathedrale. 1850? Das soll alt sein? Die dunkle Holzdecke ist imposant, über den kunterbunt gekleideten Pilgern wirkt sie fast schlicht.

Die Kölner Jugendlichen treffen hier mit Mädchen und Jungen aus dem Partnerbistum Dresden. Verglichen mit der großen Gruppe aus dem Rheinland, fällt die kleine Schar aus Sachsen eher schmächtig aus. Und auch aus Litauen sind gut ein dutzend Jugendliche dabei. Für ein wenig Schmunzeln sorgt der Priester aus dem fernen Osteuropa. Er will "versammelte Gemeinde" sagen, dabei verrutscht ihm ein winziger Vokal und schon heißt es die "versemmelte Gemeinde". Ein Versprecher, der aber die Andacht, die würdige Atmosphäre der Messe nicht stört. Meine persönliche Meinung: Mir ist eine Messe in einer Kirche viel näher als in einer Sportarena. Der Weihrauch, das Kreuz, die Kerzen, hier gehört es hin und wirkt nicht so fremd, klein und einsam wie in einer Sporthalle. Die Jungs von den Holy Trumpets legen sich noch einmal richtig ins Zeug. Begleitet werden sie von zwei Mädchen mit Querflöten. Kalt ist es in Melbourne, so kalt, dass die Mädchen ihre Querflöten unter den Achseln vorwärmen müssen. Aber dann treffen sie den richtigen Ton. Abschied aus Melbourne - morgen geht es nach Sydney. Und was summt heute Abend, als ich wieder auf der Matratze liege in meinen Ohren: "Hab unterm Kopf ein weiches Kissen, habe Kleidung und das täglich Brot; sei über vierzig Jahre im Himmel, bevor der Teufel merkt: Du bist schon tot. Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand."